Karl-Friedrich Limburg über seinen Vater Dr. Albert-Otto Limburg

16. Juli 2024

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Albert (Adi) Limburg kam 1905 in Oberhausen zur Welt, nur wenige Monate nach dem Ende des zweiten großen Bergarbeiterstreiks, der abgebrochen werden musste und am Ende doch ein Erfolg war. In der Familie wird erzählt, dass die Mutter von Albert überaus sittsam-kühl und streng katholisch, der Vater dagegen ein warmherziger Postinspektor gewesen sei, der sich in der Zentrumspartei und auch sonst für sozial Benachteiligte einsetzte.

Die Familie lebte in der Marktstraße 76 und damit nur wenige Meter entfernt vom Oberhausener Marktplatz, auf dem Albert 1914 die Kriegsbegeisterung vieler Oberhausener Bürger vor allem aus den sogenannten besseren Ständen erlebte, die mit dem von allen Kanzeln gepredigten „Gott mit uns“ in den Krieg ziehen wollten. Wohl auch unter dem Einfluss des Vaters sah Albert dagegen vor allem die Not, das Leid der Arbeiterfamilien, die hungerten für einen Krieg, den die meisten von ihnen nicht gewollt hatten, für den sie aber bezahlten. Er sah die Züge mit den Soldaten, manche zuerst siegesbegeistert, dann auf dem Rückweg viele verwundet, Gasopfer, Kriegskrüppel. Er sah die von der Kriegsproduktion erschöpften Arbeiterfrauen, die Armut, den Hunger, das Leid, das hat ihn nie mehr losgelassen, dieser Krieg hat ihn geprägt, sein ganzes Leben. Ich habe ihn einmal gefragt, warum er Kommunist geworden sei und seine Antwort war: „Ich bin gegen Hunger und gegen Krieg“.

Immer wieder sah er den Hunger, vor allem in den Arbeiterfamilien, so auch in der Zeit der französischen Besetzung, in der er politisch aktiv wurde, Flugblätter an die französischen Soldaten verfasste und verteilte, dafür lernte er Französisch. Er wollte etwas tun gegen die, die den Krieg angezettelt, an ihm verdient hatten, wie sie nun verdienten an der Inflation, die bald schon wieder Panzerkreuzer bauen ließen. Er wurde Mitglied der Naturfreunde, wechselte dann zur kommunistischen Jugend, der KPD und insbesondere der ‚Internationalen Arbeiterhilfe‘ und der ‚Liga gegen Imperialismus‘.

Noch als Abiturient fing er an zu schreiben, als Lokalreporter für die Oberhausener ‚Ruhrwacht‘, aber auch als ‚Arbeiter-Korrespondent‘ für kommunistische Zeitungen, manchmal zusammen mit seinem Mülheimer Freund und ‚Arbeiter-Photograph‘ Theo Gaudig. 1926 ging Albert zum Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft nach Köln und schrieb weiter als ‚Kölner Korrespondent‘ für die ‚Ruhrwacht‘.

Die Arbeit im Umfeld dieser für die damalige katholische Presse eher modern-populären Zeitung erlaubte Albert einen Einblick in wichtige politische Kraftfelder – einerseits die Zentrumspartei, die ab 1924 bis zum Ende der Weimarer Republik die Reichskanzler stellte und dabei immer „weiter nach rechts ins konservative und nationale Lager1“ rückte, andererseits die christlichen Gewerkschaften, die im gesamten Ruhrgebiet und gerade in Oberhausen eine große Rolle spielten und schließlich sozial engagierte, friedens- und jugendbewegte Kräfte in der katholischen Kirche. Einer ihre wichtigsten Vertreter war der Kaplan Joseph Rossaint, aus dessen Arbeit im katholischen Jungmännerverband (KJMV) sich – zunächst in
Oberhausen, dann in ganz Deutschland – die ‚Katholischen Sturmscharen‘ entwickelten. Ihr von ihrem ‚Scharführer‘ Franz Steber herausgegebenes Presse-Organ ‚Junge Front‘ wurde in der Folge in einer Auflage von bis zu 300 000 Exemplaren im Poetz-Verlag der ‚Ruhrwacht‘ gedruckt 2, der in dieser Zeit zum größten katholischen Zeitungskonzern anwuchs.

Albert kam aus diesem Milieu, er war in diesem zuhause, fühlte sich dem sozialen Engagement der – heute würden wir sagen linken Christen – verbunden und insbesondere ihrem Einsatz für Frieden und gegen den aufkommenden Faschismus, teilte er doch mit ihnen die Überzeugung ‚Wer Hitler wählt, wählt den Krieg‘. Und doch suchte er gerade deswegen etwas Anderes, einen grundlegenden Wandel der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse. Allem Anschein nach versuchte er, seine Arbeit als Journalist, seinen Zugang zu katholischen ‚Quellen‘ zu nutzen und wenn er bei seinen Recherchen etwas hörte, was die Kommunisten seiner Meinung nach wissen sollten, gab er diese Informationen an diese und deren Nachrichtendienst weiter.

Einerseits betonte Albert bis an sein Lebensende, er sei vor allem als Redakteur einer „katholischen, nazifeindlichen Zeitung“ verhaftet worden. Für einen Zusammenhang zur Gleichschaltung der katholischen Presse spricht unter anderem, dass er bei der Gestapo zunächst in der Abt. E „Kirchliches“ registriert wurde 3″. Andererseits gestand er laut Gestapoakte in den Verhören nach seiner Verhaftung im Februar 1936 ein, gegen Ende der zwanziger Jahre in Kontakt zum sogenannten AM-Apparat der KPD gestanden zu haben, wobei sich keinerlei Hinweise finden, was er dabei konkret weitergegeben haben sollte. Aber für die Nazis waren diese Kontakte Grund genug, um ihn im März 1936 im Düsseldorfer
Polizeigefängnis verschärften Verhören auszusetzen, um auf diese Weise Aussagen von ihm zu erpressen, v. a. um zu beweisen, dass er sich „auch nach der Machtübernahme noch in dem Nachrichtenapparat der KPD betätigt“ habe.

Als dies ohne Erfolg blieb, verlegten sie Albert in das Konzentrationslager Esterwegen, wo er weiteren Verhören, „ständigen Schikanen“ und „Misshandlungen durch das Bewachungspersonal“ ausgesetzt war und z. B. „14 Tage lang im Strafbunker ohne Decken auf dem blanken Steinfußboden schlafen“5 musste. Gleichwohl gelang es der Gestapo nicht, auf diese Weise „Beweise, nach denen ein Haftbefehl erwirkt werden könnte“ oder gar „gerichtsverwertbare Beweise“ für eine Anklage zu erbringen. Aber darauf war sie auch nicht angewiesen, hatte sie doch aufgrund ihrer Stellung im NS-Apparat die Macht, Albert
auch ohne ein ordentliches Verfahren in ein Konzentrationslager einliefern zu lassen: „Die Überwachung Limburgs hatte Beweismaterial für eine staatsfeindliche Betätigung nicht erbracht. Die Einleitung eines Strafverfahrens versprach daher keinen Erfolg. Seine politische Einstellung rechtfertigt aber vollauf die Annahme, dass er sich als Mitarbeiter der Redaktion eines ehemals führenden Zentrumsblattes nicht in staatsbejahenden Sinne betätigen wird. Aus diesem Grunde wurde Schutzhaft beantragt“.

In der Folge wurde Albert in der internen Dokumentation der Gestapo zu einem zunehmend gefährlichen KPD-Funktionär stilisiert, vielleicht um den Verfolgungserfolg aufzubauschen, vielleicht auch, um die Notwendigkeit von KZ-Haft scheinbar zu erklären: „Bei Limburg handelt es sich um einen früheren Großfunktionär der KPD, der ein besonderes Vertrauen besaß“. Unter diesen Umständen kam eine Entlassung aus dem KZ nicht infrage, stattdessen wurde Albert zunächst im August 1936 nach Sachsenhausen, im Juli 1937 dann nach Buchenwald verlegt. „Im Herbst 1937 forderte die NSDAP“, Albert solle sich „bereit erklären, in die Parteipresse einzutreten. Die Partei wolle sich dann für die Haftentlassung
einsetzen“, aber er lehnte es ab, für die Nazis zu arbeiten und blieb weiter in Haft.

Insgesamt berichtete er sehr wenig von seinen Erfahrungen in den Konzentrationslagern, nur einmal erwähnte er, auf dem Prügel-„Bock“ ausgepeitscht worden zu sein. Ansonsten berichtete er ausschließlich von wenigen Handlungen des Widerstands. Seinen Angaben zufolge sei es ihm mit den Kameraden gelungen, sich im Baubüro einen Rundfunkempfänger zu verschaffen, der dort in der Latrine versteckt gewesen, die (Draht-) Wäscheleine habe als Antenne gedient. Sehr berührt erzählte er, was es ihnen bedeutet habe, als sie Ende 1938 einen Funkspruch von Radio Moskau „an die gefangenen Genossen in den Konzentrationslagern“ empfangen hätten.

Seine Beurteilung durch den Lagerkommandanten Koch blieb negativ: „Das politische Verhalten des L. im Lager bietet nicht die Gewähr, dass er sich nach seiner eventuellen Entlassung schon jetzt nicht mehr staatsfeindlich betätigen wird. Limburg ist ein eingefleischter Kommunist, der durch die bisherige Schutzhaft in keiner Weise umgestellt ist“.

In der Folge also weiter Terror, Ohnmacht, Hunger, frieren, die Faust in der Tasche, davon kommt man nicht los, das ganze Leben nicht, nie, aber Albert sprach am ehesten über die andere Seite, drei Jahre Solidarität, aufeinander aufpassen, sich schützen, zusammenhalten gegen die SS und ihre Spitzel, etwas Brot organisieren, ein besseres Arbeitskommando, wärmere Kleidung für sich und die Kameraden, danach weißt du um so mehr, wo du stehst, auf wen du dich verlassen kannst, wer deine Freunde sind, wer auf der anderen Seite steht.

Am 20. April 1939 zu Adolf Hitlers 50. Geburtstag dann die Entlassung aus Buchenwald.

Erstmal arbeitslos, dann schwere körperliche Arbeit im Düsseldorfer Hafen, schließlich eingezogen zur Luftwaffe, irgendwie den Krieg überlebt. Nach der Befreiung dann Hoffnung auf ein neues Deutschland, zurück zu Brecht und Marlene, Picasso und Pankok, vorwärts zu neuen Zeitungen, ab 1947 Arbeit als ‚Geschäftsführer des rheinisch-westfälischen Zeitungsverlegerverbandes‘, für eine neue Presse ohne völkische Beobachter, zumindest zum Teil mit Journalisten, die keine Nazis waren, selbst im KZ oder Zuchthaus ‚gesessen‘ hatten, sei es als Sozialdemokraten, wie der Sachsenhausener Fritz Henzler von der Essener ‚Neuen
Ruhr Zeitung‘ oder der Buchenwalder Walter Poller bei der ‚Westfälischen Rundschau‘, sei es als Kommunist, wie der Buchenwalder Freund Erich Loch von der KPD-Zeitung ‚Freies Volk‘.

Doch 1950 kam Alberts zuvor anscheinend verschollene Gestapo-Akte ‚wieder hoch‘, galt er durch die Angaben der Gestapo als politisch belastet, zumal in einer Zeit, in der Hans Globke, der Mitverfasser der Nürnberger ‚Rasse‘-Gesetze und engste Mitarbeiter von Adenauer, die Presse wieder neu ordnen und die sogenannten Altverleger aus der inneren Emigration an die Pressemacht in einer westorientierten Bundesrepublik bringen wollte. Da wurde so einer wie Albert nicht mehr gebraucht, im Vieraugengespräch sagte der Ministerialdirektor im Innenministerium zur Ehefrau von Albert: „Ihr Mann wird bei unserer freien Presse nie wieder Arbeit bekommen“.
Hat er auch nicht,
NIE WIEDER!

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