Das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommados (IKBD) bringt seine tiefste Bestürzung über das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 1. September 2024 zum Ausdruck. Das Undenkbare ist passiert: Die rechtsextreme AfD gewinnt mit ihren neonazistischen Untertönen in Thüringen und landet in Sachsen auf dem zweiten Platz, nur knapp hinter der CDU.
Bereits der Wahlkampf für diese Parlamentswahlen wurde mit einiger Brutalität geführt. Die schlimmsten Mittel der Abschreckung wurden eingesetzt, um demokratiefreundliche Stimmen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Das IKBD dankt allen Menschen in Politik und Zivilgesellschaft, die in Thüringen und Sachsen erbittert für die Verteidigung unserer Werte gekämpft haben – den Werten des Schwurs von Buchenwald, der am 19. April 1945 gesprochen wurde, für die Zehntausende von KZ-Häftlingen aus Buchenwald, Dora und ihren Kommandos gestorben sind oder unter den schlimmsten Bedingungen überlebt haben.
Das IKBD dankt insbesondere dem beharrlichen und mutigen Handeln des Direktors der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Herrn Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, der in Ausübung seiner Funktionen und wegen seinen demokratischen Überzeugungen Opfer von Morddrohungen wurde. Ihm gilt auch weiterhin unsere volle Unterstützung. Sein und unser Kampf für eine pluralistische und respektvolle Gesellschaft muss fortgesetzt werden. Werte wie Frieden, Menschlichkeit, Brüderlichkeit und Offenheit sind der Kern dieser Gesellschaft; eine Gesellschaft, die Hass, Antisemitismus, Antiziganismus, Ausgrenzungen bekämpft; eine Gesellschaft, die sich erinnert, nicht aus Masochismus, sondern aus Liebe zu den Werten, die das Zusammenleben ermöglichen.
Die AfD, in Thüringen angeführt von Björn Höcke, bekämpft die bisherige Erinnerungspolitik Deutschlands und bedroht damit auch die Mühen heute noch lebender ehemaliger KZ-Häftlinge.
Die AfD spielt mit Identitätsängsten. Sie vergisst dabei, dass in den Nazi-Lagern zahlreiche Identitäten, zuerst Deutsche, bald gefolgt von allen Nationen Europas von einem gemeinsamen Feind, dem Nationalsozialismus, geknebelt und gemartert wurden. Sie nimmt dabei in Kauf, dass die letzten Überlebenden und ihre heute zahlreich auf der Welt verbreiteten – verstümmelten und durch den Nationalsozialismus verwüsteten – Familien dieses erinnernde Deutschland, das sie wieder lieben gelernt hatten, kaum noch wiedererkennen können.
Die Zeiten sind sehr ernst. Europa und insbesondere Deutschland, das ursprünglich darauf ausgelegt war, die Losung „Nie wieder“ umzusetzen, sind heute in Gefahr. Die AfD in Thüringen ist eine gesichert rechtsextremistische Partei, die dem Faschismus den Weg in die Parlamente bereitet.
Das IKBD ruft im Namen des Schwurs von Buchenwald und seiner Werte zu einem gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus und gegen die AfD auf. Das schulden wir den KZ-Häftlingen. Das schulden wir auch unseren Kindern. Unser Kampf ist aktueller denn je.
„An dem Tag, an dem ein Faschist eine Wahl gewinnt, erklärt der Bundespräsident die Begrenzung der Migration zur Obersten Priorität. Nicht den Kampf gegen den Faschismus.“
Erstmals seit 1945 ist es einer im Kern faschistischen Kraft in Deutschland gelungen, in zwei Bundesländern einen Großteil der Stimmen auf sich zu vereinigen.
Antifaschistische Organisation und Politik sind nötiger denn je!
Der AfD ist es in Thüringen zum ersten Mal gelungen, als eindeutig faschistisch dominierte Partei stärkste Kraft in einem Bundesland zu werden. In Sachsen belegt sie mit minimalem Abstand zur führenden CDU den zweiten Platz. Damit ist die von Antifaschist:innen seit langem befürchtete Katastrophe eingetreten. Die Auswirkungen auf die demokratische Zivilgesellschaft und emanzipatorische Projekte werden zweifellos verheerend sein.
Der AfD gelingt unter Führung des Nationalsozialisten Björn Höcke ein entscheidender Schritt zur Macht. Die Niederlage Höckes beim Kampf um das Direktmandat ist dabei nur ein schwacher Trost. Zeigt aber, dass gezielte Kampagnen gegen Kandidaten der AfD sinnvoll und erfolgreich sein können. Es bleibt abzuwarten, ob daraus innerparteiliche Verwerfungen oder Konsequenzen folgen.
Dieser Wahlsieg der AfD kommt nicht überraschend, sondern hat sich über Jahre abgezeichnet. Eine wesentliche Ursache dafür ist, dass es der AfD gelungen ist, den rechten Mythos von der Migration als „Mutter aller Probleme“ ins Zentrum der der politischen Debatte zu bringen und sämtliche Themen jenseits der Faktenlage auf den Aspekt der Migration zuzuspitzen. Dies war und ist nur möglich, weil alle relevanten Parteien der Schwerpunktsetzung der AfD folgten. Inhaltlich entsteht in der politischen Arena so ein politischer und rhetorischer Überbietungswettkampf nach rechts. Dieser ist gegen nazistische Parteien logischerweise nicht zu gewinnen.
In den Wahlkämpfen der letzten Monate überwogen eindeutig bundespolitische Themen und die dazugehörigen Forderungen. Lösungsorientierte Ansätze für die sozial- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen kamen in der öffentlichen Debatte nicht zum Tragen. Die ungehemmte Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben geht weiter: immer mehr Reiche werden von Millionären zu Milliardären, während immer mehr Menschen kaum noch ihre Miete bezahlen können und Soziales, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur chronisch unterfinanziert sind. Das sichtbare Elend in den Städten wächst. Klimaschutz und Verkehrswende bleiben auf der Strecke.
Statt hier tragfähige Konzepte zu entwickeln, werden seit Jahren rassistische und sozialdarwinistische Ressentiments bedient und dabei bis tief in die Gesellschaft legitimiert. Die weitere Abschottung Europas gegen Menschen auf der Flucht, der schändliche Umgang mit den afghanischen „Ortskräften“, Einführung von Chipkarten statt Bargeld für Geflüchtete oder das Ansinnen von FDP und Union, das sogenannte Bürgergeld (aka Hartz IV) unter das bestehende Existenzminimum zu streichen, sind Ausdruck dessen. Das politische Programm der AfD führt so schon jetzt zur wachsenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, paradoxerweise insbesondere unter ihren Wählerinnen und Wählern.
Spätestens die Resultate in Thüringen und Sachsen zeigen: es lohnt sich für die anderen Parteien nicht, die Menschenfeindlichkeit der AfD zu übernehmen. Diese Strategie kann und wird keine Erfolge liefern. Statt auf Ausgrenzung gegenüber Geflüchteten und Armen zu setzen, müssen alle demokratischen und emanzipatorischen Kräfte Werte der Solidarität und des Humanismus in den Vordergrund stellen. Dem Aufstieg der AfD als parlamentarischer Ausdruck des Faschismus in der BRD muss eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und der Verteidigung der Menschenrechte für alle entgegengesetzt werden.
Die AfD muss auf allen Ebenen bekämpft werden, persönlich, gesellschaftlich, politisch, juristisch! Macht mit bei Aufstehen gegen Rassismus, unterstützt die Kampagne „AfD-Verbot jetzt!“ und werdet zum nächsten Parteitag der AfD Teil von Widersetzen!
Vor einiger Zeit vernahm man lautstarkes Getöse aus dem Berliner Innensenat und vom hessischen Innenminister. Sie forderten die Innenministerkonferenz und die Bundesinnenministerin auf, den „roten Winkel“, den sie glaubten als „Hamas-Symbol“ denunzieren zu können, zu verbieten. Sie stützten sich dabei auf einzelne Fotos aus Kreuzberg und einigen Stadtteilen Londons, wo an öffentlichen Stellen ein längliches rotes Dreieck – angeblich zur „Feindmarkierung“ – zu sehen war. Wie wenig historische Bildung muss in den Köpfen dieser Politiker angekommen zu sein, wenn sie glauben, dies sei der „rote Winkel“?
Wir erinnern daran: Der „rote Winkel“ war die „Feindmarkierung“ des NS-Regimes gegen seine politischen Gegner und später aller Häftlinge aus den überfallenen Ländern, die in den Konzentrationslagern den roten Winkel mit einem Nationalitätenbuchstaben tragen mussten. Sie trugen ihn – nach der Befreiung von Faschismus – mit Stolz, in dem Bewusstsein, den faschistischen Terror überstanden zu haben und sich dem politischen Vermächtnis der Überlebenden – bis heute – verpflichtet zu fühlen. Wer also glaubt, den „roten Winkel“ verbieten zu können, der versucht damit das europäische antifaschistische Vermächtnis zu verbieten.
Vor einigen Jahren tönte schon einmal die Trump-Regierung, man müsse „die Antifa“ als Terrororganisation brandmarken. Damals nahmen Politiker der CDU/CSU diese „Vorlage“ gerne auf. Heute denunziert die ungarische Staatsanwaltschaft „die Antifa“ als internationales Terrornetzwerk und die bundesdeutsche Justiz liefert Beschuldigte auf fragwürdiger Grundlage nach Ungarn aus.
Solche Angriffe auf die Idee des Antifaschismus und ihre Organisationen sind in der BRD nicht neu. Immer wieder versuchten Bundes- und Länderregierungen Antifaschismus zu denunzieren und dessen Symbole zu kriminalisieren. Schon zweimal untersagte die Berliner Regierung am 8./9. Mai ein würdiges Gedenken an die Befreier und die Befreiung durch die militärischen Kräfte der Anti-Hitler-Koalition. Mit Polizeieinsatz wurde die öffentliche Präsentation deren Symbole an Gedenkorten in Berlin unterbunden.
Selbst mit dem Mittel des Steuerrechts, dem versuchten Entzug der Gemeinnützigkeit für die VVN-BdA, wurde antifaschistische Arbeit torpediert. Einer breiten gesellschaftlichen Solidarität war es zu verdanken, dass dieser Angriff auf die älteste überparteiliche antifaschistische Vereinigung in unserem Land abgewehrt werden konnte.
Gegen solche politische Bestrebungen treten wir – gemeinsam mit anderen europäischen Antifaschisten – auf. Die Bewahrung des politischen Vermächtnisses der Überlebenden der Lager und Haftstätten, die Würdigung der Befreier und der Befreiung sind unser Leitmotiv. Der „rote Winkel“ bleibt unser Symbol. Der lässt sich nicht verbieten!
Albert (Adi) Limburg kam 1905 in Oberhausen zur Welt, nur wenige Monate nach dem Ende des zweiten großen Bergarbeiterstreiks, der abgebrochen werden musste und am Ende doch ein Erfolg war. In der Familie wird erzählt, dass die Mutter von Albert überaus sittsam-kühl und streng katholisch, der Vater dagegen ein warmherziger Postinspektor gewesen sei, der sich in der Zentrumspartei und auch sonst für sozial Benachteiligte einsetzte.
Die Familie lebte in der Marktstraße 76 und damit nur wenige Meter entfernt vom Oberhausener Marktplatz, auf dem Albert 1914 die Kriegsbegeisterung vieler Oberhausener Bürger vor allem aus den sogenannten besseren Ständen erlebte, die mit dem von allen Kanzeln gepredigten „Gott mit uns“ in den Krieg ziehen wollten. Wohl auch unter dem Einfluss des Vaters sah Albert dagegen vor allem die Not, das Leid der Arbeiterfamilien, die hungerten für einen Krieg, den die meisten von ihnen nicht gewollt hatten, für den sie aber bezahlten. Er sah die Züge mit den Soldaten, manche zuerst siegesbegeistert, dann auf dem Rückweg viele verwundet, Gasopfer, Kriegskrüppel. Er sah die von der Kriegsproduktion erschöpften Arbeiterfrauen, die Armut, den Hunger, das Leid, das hat ihn nie mehr losgelassen, dieser Krieg hat ihn geprägt, sein ganzes Leben. Ich habe ihn einmal gefragt, warum er Kommunist geworden sei und seine Antwort war: „Ich bin gegen Hunger und gegen Krieg“.
Immer wieder sah er den Hunger, vor allem in den Arbeiterfamilien, so auch in der Zeit der französischen Besetzung, in der er politisch aktiv wurde, Flugblätter an die französischen Soldaten verfasste und verteilte, dafür lernte er Französisch. Er wollte etwas tun gegen die, die den Krieg angezettelt, an ihm verdient hatten, wie sie nun verdienten an der Inflation, die bald schon wieder Panzerkreuzer bauen ließen. Er wurde Mitglied der Naturfreunde, wechselte dann zur kommunistischen Jugend, der KPD und insbesondere der ‚Internationalen Arbeiterhilfe‘ und der ‚Liga gegen Imperialismus‘.
Noch als Abiturient fing er an zu schreiben, als Lokalreporter für die Oberhausener ‚Ruhrwacht‘, aber auch als ‚Arbeiter-Korrespondent‘ für kommunistische Zeitungen, manchmal zusammen mit seinem Mülheimer Freund und ‚Arbeiter-Photograph‘ Theo Gaudig. 1926 ging Albert zum Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft nach Köln und schrieb weiter als ‚Kölner Korrespondent‘ für die ‚Ruhrwacht‘.
Die Arbeit im Umfeld dieser für die damalige katholische Presse eher modern-populären Zeitung erlaubte Albert einen Einblick in wichtige politische Kraftfelder – einerseits die Zentrumspartei, die ab 1924 bis zum Ende der Weimarer Republik die Reichskanzler stellte und dabei immer „weiter nach rechts ins konservative und nationale Lager1“ rückte, andererseits die christlichen Gewerkschaften, die im gesamten Ruhrgebiet und gerade in Oberhausen eine große Rolle spielten und schließlich sozial engagierte, friedens- und jugendbewegte Kräfte in der katholischen Kirche. Einer ihre wichtigsten Vertreter war der Kaplan Joseph Rossaint, aus dessen Arbeit im katholischen Jungmännerverband (KJMV) sich – zunächst in Oberhausen, dann in ganz Deutschland – die ‚Katholischen Sturmscharen‘ entwickelten. Ihr von ihrem ‚Scharführer‘ Franz Steber herausgegebenes Presse-Organ ‚Junge Front‘ wurde in der Folge in einer Auflage von bis zu 300 000 Exemplaren im Poetz-Verlag der ‚Ruhrwacht‘ gedruckt 2, der in dieser Zeit zum größten katholischen Zeitungskonzern anwuchs.
Albert kam aus diesem Milieu, er war in diesem zuhause, fühlte sich dem sozialen Engagement der – heute würden wir sagen linken Christen – verbunden und insbesondere ihrem Einsatz für Frieden und gegen den aufkommenden Faschismus, teilte er doch mit ihnen die Überzeugung ‚Wer Hitler wählt, wählt den Krieg‘. Und doch suchte er gerade deswegen etwas Anderes, einen grundlegenden Wandel der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse. Allem Anschein nach versuchte er, seine Arbeit als Journalist, seinen Zugang zu katholischen ‚Quellen‘ zu nutzen und wenn er bei seinen Recherchen etwas hörte, was die Kommunisten seiner Meinung nach wissen sollten, gab er diese Informationen an diese und deren Nachrichtendienst weiter.
Einerseits betonte Albert bis an sein Lebensende, er sei vor allem als Redakteur einer „katholischen, nazifeindlichen Zeitung“ verhaftet worden. Für einen Zusammenhang zur Gleichschaltung der katholischen Presse spricht unter anderem, dass er bei der Gestapo zunächst in der Abt. E „Kirchliches“ registriert wurde 3″. Andererseits gestand er laut Gestapoakte in den Verhören nach seiner Verhaftung im Februar 1936 ein, gegen Ende der zwanziger Jahre in Kontakt zum sogenannten AM-Apparat der KPD gestanden zu haben, wobei sich keinerlei Hinweise finden, was er dabei konkret weitergegeben haben sollte. Aber für die Nazis waren diese Kontakte Grund genug, um ihn im März 1936 im Düsseldorfer Polizeigefängnis verschärften Verhören auszusetzen, um auf diese Weise Aussagen von ihm zu erpressen, v. a. um zu beweisen, dass er sich „auch nach der Machtübernahme noch in dem Nachrichtenapparat der KPD betätigt“ habe.
Als dies ohne Erfolg blieb, verlegten sie Albert in das Konzentrationslager Esterwegen, wo er weiteren Verhören, „ständigen Schikanen“ und „Misshandlungen durch das Bewachungspersonal“ ausgesetzt war und z. B. „14 Tage lang im Strafbunker ohne Decken auf dem blanken Steinfußboden schlafen“5 musste. Gleichwohl gelang es der Gestapo nicht, auf diese Weise „Beweise, nach denen ein Haftbefehl erwirkt werden könnte“ oder gar „gerichtsverwertbare Beweise“ für eine Anklage zu erbringen. Aber darauf war sie auch nicht angewiesen, hatte sie doch aufgrund ihrer Stellung im NS-Apparat die Macht, Albert auch ohne ein ordentliches Verfahren in ein Konzentrationslager einliefern zu lassen: „Die Überwachung Limburgs hatte Beweismaterial für eine staatsfeindliche Betätigung nicht erbracht. Die Einleitung eines Strafverfahrens versprach daher keinen Erfolg. Seine politische Einstellung rechtfertigt aber vollauf die Annahme, dass er sich als Mitarbeiter der Redaktion eines ehemals führenden Zentrumsblattes nicht in staatsbejahenden Sinne betätigen wird. Aus diesem Grunde wurde Schutzhaft beantragt“.
In der Folge wurde Albert in der internen Dokumentation der Gestapo zu einem zunehmend gefährlichen KPD-Funktionär stilisiert, vielleicht um den Verfolgungserfolg aufzubauschen, vielleicht auch, um die Notwendigkeit von KZ-Haft scheinbar zu erklären: „Bei Limburg handelt es sich um einen früheren Großfunktionär der KPD, der ein besonderes Vertrauen besaß“. Unter diesen Umständen kam eine Entlassung aus dem KZ nicht infrage, stattdessen wurde Albert zunächst im August 1936 nach Sachsenhausen, im Juli 1937 dann nach Buchenwald verlegt. „Im Herbst 1937 forderte die NSDAP“, Albert solle sich „bereit erklären, in die Parteipresse einzutreten. Die Partei wolle sich dann für die Haftentlassung einsetzen“, aber er lehnte es ab, für die Nazis zu arbeiten und blieb weiter in Haft.
Insgesamt berichtete er sehr wenig von seinen Erfahrungen in den Konzentrationslagern, nur einmal erwähnte er, auf dem Prügel-„Bock“ ausgepeitscht worden zu sein. Ansonsten berichtete er ausschließlich von wenigen Handlungen des Widerstands. Seinen Angaben zufolge sei es ihm mit den Kameraden gelungen, sich im Baubüro einen Rundfunkempfänger zu verschaffen, der dort in der Latrine versteckt gewesen, die (Draht-) Wäscheleine habe als Antenne gedient. Sehr berührt erzählte er, was es ihnen bedeutet habe, als sie Ende 1938 einen Funkspruch von Radio Moskau „an die gefangenen Genossen in den Konzentrationslagern“ empfangen hätten.
Seine Beurteilung durch den Lagerkommandanten Koch blieb negativ: „Das politische Verhalten des L. im Lager bietet nicht die Gewähr, dass er sich nach seiner eventuellen Entlassung schon jetzt nicht mehr staatsfeindlich betätigen wird. Limburg ist ein eingefleischter Kommunist, der durch die bisherige Schutzhaft in keiner Weise umgestellt ist“.
In der Folge also weiter Terror, Ohnmacht, Hunger, frieren, die Faust in der Tasche, davon kommt man nicht los, das ganze Leben nicht, nie, aber Albert sprach am ehesten über die andere Seite, drei Jahre Solidarität, aufeinander aufpassen, sich schützen, zusammenhalten gegen die SS und ihre Spitzel, etwas Brot organisieren, ein besseres Arbeitskommando, wärmere Kleidung für sich und die Kameraden, danach weißt du um so mehr, wo du stehst, auf wen du dich verlassen kannst, wer deine Freunde sind, wer auf der anderen Seite steht.
Am 20. April 1939 zu Adolf Hitlers 50. Geburtstag dann die Entlassung aus Buchenwald.
Erstmal arbeitslos, dann schwere körperliche Arbeit im Düsseldorfer Hafen, schließlich eingezogen zur Luftwaffe, irgendwie den Krieg überlebt. Nach der Befreiung dann Hoffnung auf ein neues Deutschland, zurück zu Brecht und Marlene, Picasso und Pankok, vorwärts zu neuen Zeitungen, ab 1947 Arbeit als ‚Geschäftsführer des rheinisch-westfälischen Zeitungsverlegerverbandes‘, für eine neue Presse ohne völkische Beobachter, zumindest zum Teil mit Journalisten, die keine Nazis waren, selbst im KZ oder Zuchthaus ‚gesessen‘ hatten, sei es als Sozialdemokraten, wie der Sachsenhausener Fritz Henzler von der Essener ‚Neuen Ruhr Zeitung‘ oder der Buchenwalder Walter Poller bei der ‚Westfälischen Rundschau‘, sei es als Kommunist, wie der Buchenwalder Freund Erich Loch von der KPD-Zeitung ‚Freies Volk‘.
Doch 1950 kam Alberts zuvor anscheinend verschollene Gestapo-Akte ‚wieder hoch‘, galt er durch die Angaben der Gestapo als politisch belastet, zumal in einer Zeit, in der Hans Globke, der Mitverfasser der Nürnberger ‚Rasse‘-Gesetze und engste Mitarbeiter von Adenauer, die Presse wieder neu ordnen und die sogenannten Altverleger aus der inneren Emigration an die Pressemacht in einer westorientierten Bundesrepublik bringen wollte. Da wurde so einer wie Albert nicht mehr gebraucht, im Vieraugengespräch sagte der Ministerialdirektor im Innenministerium zur Ehefrau von Albert: „Ihr Mann wird bei unserer freien Presse nie wieder Arbeit bekommen“. Hat er auch nicht, NIE WIEDER!
Am Sonntag, 14.04.2023, fand das inzwischen traditionelle XIII. Treffen der Nachkommen, organisiert von der LAG Buchenwald-Dora e.V., im Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald statt.
Das Thema war in diesem Jahr „Zwangsarbeit“.
Der Kinosaal war gut gefüllt – ein ermutigendes Zeichen in Zeiten von wieder erstarkendem Rechtsradikalismus, Fremdenhass, Antiziganismus und Antisemitismus.
Unter den zahlreichen Gästen waren neben Vertretern des IKBD, an der Spitze mit dem Präsidenten Naftali Fürst, Professor Jens Christian Wagner (Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora), Vertreter des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland, Antifaschisten aller Altersgruppen, Nachkommen der 2., 3. und 4. Generation.
Moderiert wurde die Veranstaltung vom Vorstandsvorsitzenden der LAG, Karl-Friedrich Limburg, Sohn des Häftlings #4 des KZ Buchenwald, Dr. Albert Otto Limburg.
Karl-Friedrich LimburgNaftali Fürst und Agnes TriebelProf. Dr. Jens Christian WagnerSiegried Lehmann
Grußworte an das Treffen der Nachkommen richteten neben Naftali Fürst Prof. Dr. Jens Christian Wagner und auch die wegen Krankheit nicht angereiste Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Petra Pau, welches durch Siegried Lehmann (Mitglied der LAG Buchenwald-Dora e.V.) verlesen wurde.
Im Anschluss an die Grußworte trug André Goldstein (Sohn des Spanienkämpfers, Auschwitz- und Buchenwaldüberlebenden Kurt Julius Goldstein, Häftlingsnummer 58866, Mitglied des Vorstands der LAG Buchenwald-Dora e.V. und des Internationalen Auschwitz Komitee) einen Kommentar von Christoph Heubner (Executiv Vizepräsindent des IAK) zum TV-Duell Voigt-Höcke vor. TV-Duell zwischen Mario Voigt und Björn Höcke am heutigen Gedenktag der Befreiung von Buchenwald
André GoldsteinDr. Michael Löffelsender
Den thematischen Hauptvortrag zum Thema „Zwangsarbeit“ hielt Dr. Michael Löffelsender, Kurator der Gedenkstätte Buchenwald.
An den Hauptvortrag schloss sich die Präsentation eines Textes von Karl-Friedrich Limburg zu „Zwangsarbeit in Buchenwald – Widerstand und Sabotage“ an, der vom Autor gemeinsam mit Rebekka Goldstein und Jessica Simon Schlößer als Vertreterinnen der 3. und 4. Generation verlesen wurde.
Karl-Friedrich LimburgJessica Simon SchlößerRebekka Goldstein
Die Veranstaltung endete mit der Verlesung der „Erklärung“ durch André Goldstein und dem gemeinsamen Gesang des Buchenwald-Lieds.
Erklärung: „Überlebende und wir, die Nachkommen von politischen Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald und anderer Konzentrations- und Vernichtungslager des deutschen NS-Regimes, Antifaschistinnen und Antifaschisten, Freundinnen und Freunde und Gäste, die sich heute hier versammelt haben zum 13. „Treffen der Nachkommen“ aus Anlass des 79. Jahrestages der Selbstbefreiung, nehmen dies zum Anlass, eindringlich zu erinnern an den Schwur von Buchenwald, den die befreiten Häftlinge am 19. April 1945 geleistet haben: „…Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig…“
Wenn wir uns in unserem Land, in Europa und der Welt umschauen, so sehen wir ein nie dagewesenes Erstarken ultrarechter und nationalistischer Bewegungen, kriegerische Auseinandersetzungen, Fremdenhass, Antisemitismus, Antiziganismus…. Die Welt stand seit dem Ende des 2. Weltkrieges nie so kurz vor einem 3. Weltkrieg!
Angesichts dessen erfüllt es uns mit großer Sorge, dass aus der Losung „Schwerter zu Pflugscharen, Frieden schaffen ohne Waffen“ eine Bewegung entstanden ist nach dem Motto „Frieden schaffen mit noch mehr Waffen“ – ein Festtag für die Rüstungslobby. Das führt einzig zu weiterer sozialer Spaltung der Gesellschaft und maßlosen Profiten des militärisch-industriellen Komplexes. An dieser Stelle sei an Karl Marx erinnert: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn… für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.“
Wir verurteilen jeden Krieg, sei es der feige Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, das Töten von Zivilisten im Gaza-Streifen, der Konflikt im Roten Meer oder der völkerrechtswidrige Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine. Wir vermissen den Weg der Diplomatie zur Beendigung dieses Konfliktes – die Bereitschaft hierzu ist auf beiden Seiten offensichtlich auch nach 2 Jahren noch immer nicht vorhanden.
Von hier rufen wir – wie schon in den Jahren 2022 und 2023 – alle politisch Verantwortlichen in der Welt, Demokratinnen und Demokraten und Bürger auf, ihre Stimme gegen jede Form von Ausgrenzung, Kriegstreiberei und Kriegshetze zu erheben.
Wir fordern – Verhandlungen jetzt, ohne Vorbedingungen, so schnell wie möglich!
Auch der US-Präsident John F. Kennedy wusste: „Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.“
Im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten zum 79. Jahrestages der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald wurden wieder 4 Erinnerungsbäume im Projekt 1000 Buchen des Lebenshilfewerks Weimar/Apolda gepflanzt.Damit erhielten wieder Opfer der NS-Schreckensherrschaft ein Gesicht.
Am Samstag 13. April bei der 88. Pflanzaktion im Landschaftspark Nohra waren zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer, u.a. auch aus Frankreich, Italien, Norwegen, Spanien, Tschechien, Ukraine anwesend, um der ehemaligen Häftlinge zu gedenken.
Justus Lencer, Aufsichtsratsvorsitzender des Lebenshilfe Werks Weimar Apolda, begrüßte die Baumpaten und Gäste.
Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Ralf Kirsten, Bürgermeister der Stadt Weimar und Roland Bodechtel, Bürgermeister der Gemeinde Grammetal, wiesen in ihren Grußworten mit eindringlichen Worten auf die Rechtsentwicklung in Deutschland hin. Es war zu spüren, dass dies nicht nur ihnen, sondern allen Anwesenden große Sorgen bereitet.
Sabine Stein, ehemalige Archivleiterin der Gedenkstätte Buchenwald informierte über die historische Bedeutung des Pflanzortes im Landschaftspark Dora. Dort wurde das erste Konzentrationslager Deutschlands errichtet und vom Flugplatz Nohra wurden nach der Lagerbefreiung von Buchenwald ehemalige Häftlinge zurück in ihre Heimat geflogen.
“ Vielleicht taucht bei einigen von Ihnen die Frage auf, warum wir heute hier, an diesem Ort die vier Erinnerungsbäume für ehemalige Häftlinge des KZ Buchenwald pflanzen. Einem Ort, der scheinbar nichts mit der Geschichte des Lagers zu tun hat – außer der Blick auf den Ettersberg mit dem Glockenturm zwischen den Bäumen. Doch es gibt mindestens vier Berührungspunkte zwischen dem Pflanzort und Buchenwald. Der erste, und den möchte ich etwas ausführlicher beleuchten, betrifft den Standort des Sammellagers Nohra auf dem Gelände des heutigen Landschaftsparks.
Während der Jahre des 1. Weltkrieges entstand der Militärflugplatz Nohra. Er wurde aber nach kurzer Nutzung im Zuge der Entmilitarisierung wieder stillgelegt und teilweise abgerissen. In einem der Restgebäude mietete sich 1928 die sogenannte Heimatschule Mitteldeutschland ein. Das war ein republikfeindlicher Verein mit völkischen und militaristischen Zielen. Die Heimatschule wurde von einem ehemaligen Reichswehroffizier geleitet. In den Jahren der großen Wirtschaftskrise rekrutierten sie junge Unterstützungsempfänger für einen Freiwilligen Arbeitsdienst. Die Heimatschule wurde zum Arbeitsdienstlager mit rechtsextremer Ausrichtung. Über hundert junge Arbeitsdienstwillige wurden hier mit körperlicher Arbeit und wehrsportlichen Übungen erzogen. „Deutsch sein heißt treu sein“, stand in goldenen Lettern über dem Eingang. Das Foto von einer Feier im Herbst 1932 zeigt einen Teil der Kursanten bereits mit Hakenkreuzbinden, die unter einer Hakenkreuzfahne posieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Thüringen bereits eine faschistische Regierung.
Mit der Machtübergabe an Hitler begann die brutale Unterdrückung der linken Gegner. Nach dem Reichstagsbrand entfesselten die Nationalsozialisten einen blutigen Terror gegen sie. Die Verordnung des Reichspräsidenten Hindenburg „zum Schutze von Volk und Staat“, die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“, setzte wesentliche Persönlichkeitsrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft und begründete einen nie beendeten Ausnahmezustand. Gegner konnten in Haft genommen werden, ohne Rechtsanspruch und Begründung. Aus Parteigliedern der NSDAP wie der SA oder der SS rekrutierte der faschistische Thüringer Staat Hilfspolizisten. Selbst die „Schüler“ der Heimatschule wurden zu Hilfspolizisten und Wachleuten, die unter dem Kommando der Weimarer Schutzpolizei standen. Sie bewachten das erste staatliche Konzentrationslager für sogenannte Schutzhäftlinge in Deutschland.
Noch am Tag der Reichstagsbrandverordnung wies das Thüringer Innenministerium alle Polizeistellen an, Kommunisten zu verhaften. Recht schnell fiel die Entscheidung, sie in den Räumen der Heimatschule Nohra zu inhaftieren. Bereits drei Tage später, am 3. März 1933, trafen die ersten Gefangenen in Nohra ein. Ihre Zahl stieg schnell auf 170 und nach einer Woche auf 220. Unter ihnen waren gewählte Stadt- und Gemeinderäte der KPD, Parteifunktionäre und sogar Landtagsabgeordnete, sechs der zehn kommunistischen Abgeordneten im Thüringer Landtag. Sie alle wurden in drei Räumen im Obergeschoss der Heimatschule mehr als beengt untergebracht. Willy Gebhardt/Jena, Leander Kröber/Meuselwitz, Richard Zimmermann/Jena, Arno Voigt /Großbreitenbach und Richard Eyermann/Bad Salzungen waren wenige Jahre später politische Häftlinge im KZ Buchenwald erneut inhaftiert.
Am 5. März 1933 sollte die Reichstagswahl stattfinden, der Terror gegen Kommunisten diente der direkten Einschüchterung vor dem Wahlgang. Doch die Inhaftierten, noch nicht ganz ohne Rechte wie in späteren Konzentrationslagern, erzwangen ihre Wahlbeteiligung. So war das Dorf Nohra, der Ort der Stimmabgabe für das Lager, wohl der einzige Ort in Thüringen, wo am 5. März 1933 die KPD zur stärksten Partei wurde und die überwiegend nationalsozialistisch wählenden Heimatschüler und Dorfbewohner abhängte.
Fritz Sauckel, Gauleiter der NSDAP in Thüringen, inspizierte am Wahltag das sogenannte Sammellager Nohra, die Presse berichtete davon. Bis Ende März 1933 ging die Zahl der Insassen auf ein Viertel (60) zurück, Ende Juli 1933 wurde das Konzentrationslager Nohra aufgelöst.
Im historischen Rückblick – mit dem Wissen von Buchenwald und Auschwitz – erscheint es nurmehr als Episode einer langen Verbrechensgeschichte. Doch das Lager existierte zu einem Zeitpunkt, als diese Entwicklung noch nicht abzusehen und auch nicht unumkehrbar war. Zu wenige verteidigten die Verfassung und die Republik. Deshalb heißt es auch immer wieder: Wehret den Anfängen.
Nach der Befreiung des KZ Buchenwald nutzte die 9. Airforce der US Armee den Feldflugplatz Nohra bis zum Juli 1945.
Ausländische Delegationen, Pressevertreter und Militärs landeten mit ihren Maschinen, um das bereite Lager zu besichtigen. Aber auch ehemalige Häftlinge wurden über den Flugplatz in ihre Heimatländer zurückgeflogen. Am 27. April 1945 verließ der letzte Transport der französischen Kameraden das Lager, wie in einer Ausgabe der „Buchenwalder Nachrichten“, der Zeitung der befreiten Häftlinge berichtet wurde. Oberst Manheś, der Vorsitzende des französischen Komitees und Marcel Paul bestiegen hier das Flugzeug, welches sie nach Paris zurückbrachte. Über die Repatriierung belgischer Staatsangehöriger und die Überführung kranker befreiter Häftlinge durch das 120th Evacuation Hospital im April 1945 existiert in der Sammlung der Gedenkstätte eine Fotoserie.
Lassen Sie mich zum Schluss über ein mich sehr bewegendes Erlebnis sprechen. Nach Abzug der Amerikaner aus Thüringen nutzte die Rote Armee viele Jahre den Flugplatz als Hubschrauberbasis. Nach der politischen Wende verließen im Sommer 1992 die letzten 16 Kampfhubschrauber die Militärbasis. Am 12. August 1992, am späten Mittwochnachmittag, wir waren gerade auf dem Nachhauseweg zur Bushaltestelle, kreisten diese 16 Hubschrauber über dem Appellplatz. Einer von ihnen stand in der Luft und warf genau über dem Gelände des ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenenlagers einen Rosenstrauß ab. Danach zogen sie noch eine Schleife und flogen davon. Am Rosenstrauß war ein handgeschriebener Zettel befestigt. Seine Übersetzung lautet: „Ewiges Gedenken den Häftlingen von Buchenwald. Heute, am 12. August 1992, geben wir Euch – nach Russland fliegend – einen letzten Gruß und wir verneigen uns ein letztes Mal vor Euch. Die Piloten des Selbständigen Hubschrauberregiments „Unter Nohra“. Der Regimentskommandant Oberst N. Safronov“ Nikolaj Gennad’evič Safronov war zwischen 1990 und 1992 der Regimentskommandeur.
Sie sehen, den Pflanzort hier im Landschaftspark und Buchenwald verbindet einiges.“
Eindrucksvoll berichtete Gisela Döring, Landesvorsitzende der VVN-BdA Sachsen-Anhalt über das Leben von Robert Siewert und seine Einsatz zur Rettung der Kinder im KZ Buchenwald.
„Bäume wurden geschändet. Ein Baum wird heute und hier zum Gedenken an Robert Siewert (1887-1973) gepflanzt. Der Politiker, Widerstandskämpfer und Gründungsmitglied der VVN war nach illegaler Tätigkeit gegen den faschistischen Terror acht Jahre Häftling im KZ Buchenwald. Dr. Eugen Kogon, Mithäftling, bürgerlicher Demokrat, rühmte ihn in seinem, schon 1947 erschienenem Buch „Der SS-Staat“, als „ein Beispiel der Sauberkeit, Menschlichkeit und persönlichen Mutes“.
Der von Idealen erfüllte Kommunist, Robert Siewert, rettete als Kapo Hunderten von überwiegend polnischen und jüdischen Kindern und Jugendlichen das Leben durch Arbeit und Ausbildung in dem von ihm geleiteten Baukommando I. Zum gefährlichen politischen Häftling gestempelt, überlebte er seine von der SS geplante Hinrichtung im April 1945 in einem von seinen Mithäftlingen gesicherten Versteck. Am 18. Mai 1945 traf er mit einer Gruppe ehemaliger Buchenwaldhäftlinge in Halle an der Saale ein. Ohne sich zu schonen stellte er sich mit Sachkenntnis und Humanismus dem Wiederaufbau des materiell und geistig am Boden liegenden Landes zur Verfügung. Gegründet auf seine politische Integrität und sein charismatisches Auftreten gelang es ihm, besonders bei der Jugend, Mut und Zuversicht zu verbreiten, die Menschen aufzurichten und Nachsicht gegenüber sogenannten Mitläufern zu üben. In hoher Regierungsverantwortung als 1. Vizepräsident der neu gebildeten Provinz Sachsen stehend hatte er, gemeinsam mit dem Präsidenten, Prof. Hübner, bürgerlicher Demokrat, hohen Anteil an der konsequenten Entnazifizierung, aber auch daran, junge Menschen als Neulehrer:innen und Volksrichter:innen zu gewinnen.
Später als Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt unterstützte er, im Zuge der Bodenreform, Hunderte von umgesiedelten Bauern beim Aufbau von Neubauernwirtschaften. Im Gefolge von stalinistischen Repressionen , gegründet auf den Vorwurf der Zugehörigkeit zur kommunistischen Opposition in der Weimarer Republik, wurde Robert Siewert seiner Regierungsämter enthoben. Langjährig war er danach in verantwortlichen Funktionen im Bauministerium der DDR tätig.
Als Mitglied des Präsidiums des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer:innen setzte er sich voll Engagement für den Aufbau von würdigen Gedenkstätten, besonders der ehemaligen KZ Sachsenhausen, Ravensbrück und Buchenwald ein. Hochgeachtet von seinen ehemaligen Kameraden aus dem KZ Buchenwald arbeitete er ehrenamtlich als Präsidiumsmitglied der International Federation of Resistants Fighters (FIR). Als Zeitzeuge, seinen sozialistischen Idealen treu geblieben, vermittelte er jungen Menschen lebendiges Wissen über das Wesen des deutschen Faschismus, machte ihnen Mut, sich dagegen zu wappnen und legte ihnen nahe, im Sinne der in den KZ und Zuchthäusern Ermordeten stets für Humanismus und Völkerverständigung einzutreten.“
Katinka Poensgen, Baumpatin des Erinnerungsbaumes für Karel Vrkoslav, schilderte die Freundschaft zwischen Karel Vrkoslav und ihrem Großvater Karl Vögtel, die in der gemeinsamen Lagerhaft gewachsen war.
„Karel Vrkoslav ist am 2. Mai 1902 geboren. Er lebte mit seiner Frau Anna in Jilemnice, im heutigen Tschechien. Dort war der gelernte Schmied in einer antifaschistischen bewaffneten Organisation aktiv. Im Juni 1940 wurde Karel von den Nazis verhaftet und nach Dachau verschleppt. Von dort deportierten sie ihn im Dezember 1940 nach Buchenwald. Er bekam die Häftlingsnummer 1585 und wurde im Block 45 untergebracht, schräg hinter dem Block 39, in dem mein Großvater, Karl Vögtel, inhaftiert war. Nach verschiedensten Arbeitskommandos wurde Karel ab dem 30. April 1942 in den Deutschen Ausrüstungswerken (DAW), einem Rüstungsbetrieb der SS, direkt angrenzend ans Häftlingsgelände, zur Zwangsarbeit verpflichtet. Mein Großvater, ein deutscher Kommunist, war dort bereits seit einigen Wochen als Schlossermeister im Einsatz. Spätestens hier haben die beiden, Karel und Karl, sich kennengelernt und angefreundet. Nach der Befreiung kehrte Karel zu seine Frau Anna nach Jilemnice zurück und mein Großvater zu seiner Frau Luise nach Mettmann. Bei meiner Recherche zum Leben meiner Großeltern habe ich Fotos und Briefe gefunden. In einem Brief, datiert auf den 28. April 1970 schreibt Karel: „Wir hatten am 11. und 12. April 70 Feierversammlung der Widerstandskämpfer in Prag aus verschiedenen KZ gehalten, auch von Buchenwald sind sehr viele von uns dabei…Viele Kameraden, die dich Karl, in Buchenwald gekannt haben und bei dir arbeiteten, sehr gerne an dich denken und dich herzlich grüßen.“ Je intensiver ich mich mit dieser Freundschaft beschäftigt habe – den Fotos aus dieser Zeit und den gegenseitigen Briefen, in denen auch etliches von Besuchen meiner Großeltern bei Karel und Anna in Jilemnice zu finden ist, umso tiefer war ich berührt. Hält sich doch in manchen Köpfen immer noch die Legende, die deutschen Kommunisten in Buchenwald wären nur auf ihren persönlichen Vorteil aus gewesen. Letztes Jahr, bei der Baumpflanzung für meinen Großvater, kam mir die Idee, dass Karel unbedingt auch einen Baum braucht. Ob Anna und Karel Kinder hatten wusste ich nicht. Ich habe Kontakt nach Jilemnice aufgenommen und per Zufall Václava Benesová per Mail kennengelernt. Sie hat den Bürgermeister von Jilemnice, David Hlavác, und das tschechische Fernsehen über die heutige Baumpflanzung für Karel informiert. Václava hat sich auf Spurensuche begeben: So weiß ich jetzt, dass Anna und Karel einmal ein kleines Mädchen hatten, das direkt nach der Geburt gestorben ist. Weitere Kinder hatten sie nicht. Es gab einen Neffen, der leider auch nicht mehr lebt. Václava hat alte Menschen getroffen, die noch wussten, dass Karel bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv war und dass er Jäger war. Dass er gerne auf die Jagd ging, wusste ich bereits von den Briefen und Fotos. Einmal schrieb er meinen Großeltern: “Wildbrett haben wir da immer genug und manchmal ist schade schießen, besser anschauen“. Auf dem Friedhof von Jilemnice gibt es kein Grab mehr. Wie lange Anna gelebt hat, weiß ich bis heute nicht. Karel ist am 17. September 1976 gestorben. Vier Jahre vorher schrieb er zum Tod meines Großvaters an meine Oma: „Es tut dir freilich Schmerz und Weh, gerade wie auch uns hier, denn wir liebten Karl sehr wie einen sehr guten Freund schon in schlimmen Zeiten, wo man am besten Menschen kennen lernt, und werden drum ihn stets ehren. Wir waren ihm für seine Güte viel schuld, vor allem fühlte er die unmenschliche Ungerechtigkeit gegen ihn selbst, aber auch gegen uns, die einer anderen Nation gehörten. Ehre und ewigen Frieden seiner Seele! Wir müssen alle hin, aber nicht mit schwerer Sünde und Schande.“
Margret Rest und ihre Tochter Annette Magdeburg machten uns mit dem bewegtenLeben ihres Vaters/Großvaters Willi Rattai Buchenwaldhäftling-Nr.4 vertraut.
Annette Magdeburg: “ Mit 19 Jahren habe ich mein Abitur gemacht und startete in eine Ausbildung. Meine Zukunft war aufregend und hoffnungsvoll. Mein Opa Willi Rattai, Bergarbeitersohn aus Essen, war ebenfalls 19 Jahre, als die Nazis die Macht übertragen bekamen. Da er schon vor 1933 aktiv im kommunistischen Jugendverband in seinem Stadtteil den aufkommenden Faschismus bekämpft hatte, musste er sofort in die Illegalität gehen. Aber schon im August wurde er verhaftet und im Essener Polizeipräsidium 3 Wochen fürchterlich gefoltert. Dann kam er, ohne jegliches Gerichtsurteil, 1 Jahr in Gefängniseinzelhaft. Erst dann verurteilte ihn das Oberlandesgericht Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 2 ¼ Jahren Haft. Die Strafe saß er mit vielen anderen jungen Genossen aus dem Ruhrgebiet im Gefängnis in Bochum ab. Als ihn seine Mutter nach Strafende abholen wollte, bekam sie ihn nicht zu Gesicht. Er wurde am Heiligen Abend 1935 in eines der berüchtigten Moorlager nach Esterwegen bei Papenburg gebracht. Die schwere Arbeit setzt ihm dort sehr zu. Alte Freunde aus der Heimat, die schon länger inhaftiert waren, halfen ihm jedoch immer wieder auf. Im Juli 1936 erfolgte die Überführung in das KZ Sachsenhausen, wo er anfangs im Klinkerwerk Schwerstarbeit leisten musste, später kam er in die Effektenkammer. Nach genau einem Jahr, am 15. Juli 1937 gehörte er zu den ersten Häftlingen, die hier nach Buchenwald kamen. Seine Häftlingsnummer war die 16. Die ersten Häftlinge mussten zuerst den Zaun ziehen, der sie selber einsperrte. In der Baracke 13 wurde er bis zum 21. Dezember 1937 inhaftiert. Dann erfolgte aber plötzlich die Entlassung nach Hause, wo er sich jedoch jeden 2. Tag bei der Gestapo melden musste. Als am 1. September 1939 Deutschland den Krieg begann, wurde er an seinem Arbeitsplatz verhaftet. Im Gestapokeller in Essen sah er viele seiner Genossen, die dann in der Folge in den Folterkammern der Nazis umkamen. Bis Weihnachten dann noch einmal Haft im KZ Sachsenhausen Da die faschistische Wehrmacht Soldaten brauchte, wurde er erneut gemustert. Beim ersten Mal war er als wehrunwürdig eingestuft worden, jetzt aber musste er in den Krieg ziehen. Als Deutschland 1945 befreit wurde, hatten die Faschisten meinem Opa fast die ganze Jugend gestohlen.“
Margret Rest: “ Nach dem Krieg setzte sich mein Vater, Willi Rattai sofort gegen die alten und neuen Nazis ein. Er wurde Gründungsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in NRW und war lange ihr Vorsitzender in Essen. Bis zu seinem Tod 1997 handelte er nach der Maxime: Die Verpflichtung, den Faschismus mit seinen Wurzeln auszurotten, steht nach wie vor! Mein Vater und seine Kameraden sind nicht mehr unter uns, so dass wir, ihre Kinder , Enkelkinder und andere Nachkommen ihre Arbeit übernehmen müssen. Heute, mehr denn je!“
Falk Bindheim, Gewerkschaftssekretär IG Metall Jena-Saalfeld gab den Gästen einen Einblick in die Zwangsarbeit bei Carl Zeiss.
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Zuallererst möchte ich mich für die Einladung und die Möglichkeit hier sprechen zu können bedanken.
Mein Name ist Falk Bindheim, ich arbeite als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall in der Region Saalfeld-Jena-Gera und bin unter anderem für die ZEISS Betriebe in Jena zuständig.
Reinhold hat mich eingeladen zum Thema Zwangsarbeit bei ZEISS etwas zu sagen und mir und den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten, Aktiven und Betriebsräten bei ZEISS damit die unschätzbare wertvolle Aufgabe mit auf den Weg gegeben erneut zu Gedenken und zu Erinnern. Für diesen Stein, den du lieber Reinhold und alle die an diesem großartigen Projekt beteiligt sind, angestoßen hast, möchte ich mich ein zweites Mal bedanken.
ZEISS hat sich in seiner Geschichte als Unternehmen seit der Gründung der ZEISS Stiftung im Jahr 1889 eine besondere soziale Verantwortung in die Unternehmensphilosophie geschrieben. ZEISS als Stiftungsunternehmen hatte eine für damalige Verhältnisse sehr liberale Einstellpolitik und über das Statut auch eine gewisse Absicherung für die Autonomie des Unternehmens gegenüber staatlichen und privaten Einflüssen. Anfängliche Angriffe auf das Statut konnten noch abgewehrt werden – natürlich wurde versucht ZEISS in eine NS- konforme staatlich gelenkte Organisation umzuwandeln. Nach dem die Geschäftsleitung sich ihren Status behaupten konnte und viel stärker noch Verlauf des Krieges hat, war man aber um ein gutes Verhältnis mit den Machthabern bemüht. Die Geschäftsleitung passte sich an und trug auch weitreichende Änderungen im Stiftungsstatut mit. Der massive Einsatz von Zwangsarbeit in den Unternehmen der ZEISS Stiftung hat gegen die eigenen Prinzipien des Unternehmens verstoßen.
So gesehen hat ZEISS im Dritten Reich die Stiftungsverfassung gegen Angriffe von außen verteidigt, einen Teil der Grundsätze aber auch abgelegt und hat sich vor allem auf wirtschaftliche Interessen beschränkt. Bei ZEISS ließ sich die Produktion während des Krieges nur mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern steigern, ein großer Teil der Stammbelegschaft war zur Wehrmacht eingezogen. Kriegsgefangene und sogenannte Zivilarbeiter – verschleppt oder angeworben – waren im Grunde die einzigen verfügbaren zusätzlichen Arbeitskräfte. Zusätzlich machten die Produktionsprozesse bei ZEISS einen hohen Anteil an Facharbeiten notwendig und auch die Neuerrichtung von Ausweichstätten in den besetzten Gebieten spielte bei ZEISS keine Rolle.
Wie in der gesamten deutschen Wirtschaft begann der systematische Zwangsarbeitereinsatz mit der Besetzung Frankreichs, Belgiens und der Niederlande im Sommer 1940. Waren es am Anfang noch Kriegsgefangene in den Stiftungsbetrieben wurden es nach und nach immer mehr Zivilarbeiter aus den besetzten Ländern. Ab 1942 dann auch immer mehr Zwangsarbeiter aus den besetzten Ostgebieten – sogenannte Ostarbeiter.
Im September 1942 klagte die ZEISS Geschäftsführung an den Generalbevollmächtigten des NS-Regimes in Thüringen der für die Arbeitseinsätze zuständig war: „Mit Ostarbeitern lässt sich auf Dauer kein hochwertiges Messgerät herstellen.“
Skrupel die Zwangsarbeiter einzusetzen, obwohl es gegen das Völkerrecht verstößt und auch die Haager Landkriegsordnung den Einsatz von kriegsgefangenen zur Zwangsarbeit verbietet, hatte man in der ZEISS GF allerdings nicht. Zusätzlich hatte man bei ZEISS durch die eigene Betriebsordnung auch eine kollektive Regelung die Zwangsarbeiter von der Stammbelegschaft ausgrenzte. Das galt auch für Deutsche, die während des Krieges eingestellt worden waren. Auch diese waren von den Bestimmungen des Statuts ausgeschlossen – befristete Beschäftigte sah das Statut nicht vor. Bei ZEISS rechtfertigte man den Ausschluss nach dem Krieg damit, dass auch der Stifter Ernst Abbe, wenn er das Wesen des total geführten und absoluten Krieges je kennengelernt hätte, befristet für den Krieg Beschäftigte von den Bestimmungen des Statuts ausgeschlossen hätte.
Der Einsatz von Zwangsarbeitern war durch behördliche Vorgaben reglementiert. Zwangsarbeiter aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden wurden besser bezahlt und waren weniger Zwängen ausgesetzt als Ostarbeiter, die in der Regel ihr Lager nicht verlassen durften und willkürlicher Gewalt ausgesetzt waren. Völlig entrechtet waren die KZ-Häftlinge die zur Rüstungsproduktion eingesetzt wurden. ZEISS hatte keinen Einfluss auf die Grundmuster der Zwangsarbeit aber durch die Zuteilung von Essenrationen, der Organisation von Arbeit und der Ausgestaltung der Lager durchaus Spielraum. Inwieweit ZEISS konkret die Zuweisung von Zwangsarbeitern verfolgt hat, lässt sich heute nicht mehr generell beantworten. Allerdings wusste ab 1942 jedes Unternehmen das, wenn es weitere Arbeitskräfte beantragt, nur noch Zwangsarbeiter zugewiesen werden konnten. Bei den Zwangsarbeitern, die während der ersten Kriegsjahre bei ZEISS eingesetzt wurden, handelte es sich überwiegend um Menschen aus Belgien. Insgesamt hat ZEISS während des Krieges rund 2300 Belgier als Zwangsarbeiter eingesetzt, die meisten davon Zivilarbeiter. Der Anteil der Kriegsgefangenen Zwangsarbeiter war bei ZEISS niedriger als in der gesamten deutschen Wirtschaft und auch der Einsatz von sogenannten Ostarbeitern war prozentual geringer. Insgesamt gab es einen hohen Anteil an Facharbeitern und angelernten Kräften die über Zwangsarbeit bei ZEISS ausgebeutet wurden.
Nach den Abschriften im Jenaer Stadtarchiv gab es bei ZEISS in Jena von 1940 bis 1945 insgesamt 8081 Zwangsarbeiter. Im Jenaer Glaswerk Schott waren es 3500. Zu Höchstzeiten des Zwangsarbeitereinsatzes, im Oktober 1944 entsprach der Anteil der Zwangsarbeiter an der Gesamtbelegschaft bei dem Glashersteller Schott 44%. Bei ZEISS lag der Anteil der bei 29%. Die Behandlung der Zwangsarbeiter lag nicht allein an der Auslebung der behördlichen Anordnungen, sondern häufig auch an dem praktischen Verhalten von Betriebsleitern, Werkmeistern und Lageraufsehern. Vorstand und Geschäftsleitung hatten in der Regel sehr wenig mit dem konkreten Arbeitseinsatz von Zwangsarbeitern befasst. Allerdings hat das Heinz Küppenbender – Teil der Geschäftsführung bei ZEISS seit 1941, nicht davon abgehalten vor wörtlich „falschen Sentimentalitäten“ im Umgang mit Zwangsarbeitern zu warnen. Weiterhin hat er als Teil der ZEISS GF die Verschleppung und den Einsatz von Zivilarbeitern in Deutschland ausdrücklich befürwortet, weil so: „ein höherer Wirkungsgrad“ bei ZEISS erzielt werden könne.
Allerdings wurden bei ZEISS wie bei SCHOTT Übergriffe und Gewalttaten gegenüber Zwangsarbeitern geahndet – keine Selbstverständlichkeit im Gegenteil, aber eben auch eine Seltenheit und prinzipiell war es allen Betrieben möglich. Der Betriebspolizist Ernst Fasold, wurde im März 1944 von einem Sondergericht in Weimar zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er als Aufseher für das Ostarbeiterlager bei ZEISS russische Zwangsarbeiter mit einem Gummiknüppel geschlagen hat und ihm die Unterschlagung von Lebensmitteln nachgewiesen wurde. Bei SCHOTT hatte der Geschäftsführer Erich Schott jedem mit fristloser Entlassung gedroht, der Zwangsarbeiter schlägt – mindestens in einem Fall wurde ein sogenannter Ausländerbetreuer entlassen, weil er russische Zwangsarbeiter geschlagen hatte.
KZ-Häftlinge wurden in den Jenaer Stiftungsbetrieben nicht eingesetzt. Nachweislich aber bei vier Tochtergesellschaften. Der massivste Einsatz KZ-Häftlingen zur Zwangsarbeit für ZEISS erfolgte bei ZEISS IKON in Dresden. Im Goehle Werk und im Reick Werk mussten über 900 Frauen aus dem KZ Ravensbrück Zwangsarbeit leisten. Hauptsächlich für Zündvorrichtungen für die Rüstungsproduktion. Besonders schlimm entwickelte sich die Situation im Goehle Werk – hier gab es keine Stammbelegschaft, sondern ausschließlich den Einsatzes von Zwangsarbeitern. Misshandlungen und die katastrophale Versorgungslage führten unzähligen Toten. Auch mehrere Fluchtversuche von Zwangsarbeitern und ein Hungerstreik der Frauen aus dem KZ Ravensbrück – legen Zeugnis ab über den unmenschlichen Zustand bei ZEISS IKON im Umgang mit Zwangsarbeit.
Das waren die zugegeben stark verkürzten Schlaglichter auf die Geschichte von ZEISS im Dritten Reich und den Einsatz von Zwangsarbeit im ZEISS Konzern – dich ich euch und Ihnen heute nahelegen wollte. Dabei sind auch diese Schlaglichter nur Teile der gesamten Geschichte von Gewerkschaften, Belegschaften und Unternehmen im Nationalsozialismus. Die Frage nach der Bedeutung für unser Handeln im Hier und Heute für uns als Gewerkschaft ist dabei, und deshalb empfinde ich es auch als ein so großes Privileg heute hier sprechen zu können, eine ständige Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als politischer Mensch und dem Wollen & Handeln unserer Mitglieder als Gemeinschaft. Diese Auseinandersetzung in die Zukunft zu übertragen – eine Zukunft und so formuliert es die Satzung der IG Metall einer weiteren Demokratisierung und Teilhabe Aller Menschen an Wirtschaft und Gesellschaft, und zwar unter Fernhalten von neofaschistischen, militaristischen und reaktionären Elementen ist sowohl Aufgabe als auch Ziel der IG Metall.
Wir haben heute hier durch euch und durch Sie meine sehr geehrten Damen und Herren die Möglichkeit bekommen diese Auseinandersetzung auch gemeinsam fortzuführen können. Dafür am Schluss von mir noch ein herzliches Dankeschön.“
Reinhold Loch, zusammen mit seinen Brüdern Ulrich und Florian Baumpate für den Baum zur Erinnerung an alle Menschen, die während der Naziherrschaft Zwangsarbeit leisten musste, erinnerte daran, dass Zwangsarbeit vor aller Augen stattfand und an die Verstrickung der deutschen Wirtschaft in die unmenschliche Zwangsarbeit.
„Mein Name ist Reinhold Loch, ich bin Sohn des ehemaligen Buchenwaldhäftlings Erich Loch Häftlingsnummer 1393, bin Mitglied in der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V, koordiniere in ihrem Auftrag seit 2015 die Baumpflanzungen zu den Jahrestagen der Lagerbefreiung zwischen den Baumpaten und dem Lebenshilfe-Werk. Zusammen mit meinen Brüdern Ulrich und Florian pflanze ich den Erinnerungsbaum für alle Menschen, die Zwangsarbeit zur Aufrechterhaltung des deutschen Angriffskrieges leisten mussten.
Zwei Aspekte sind uns als Baumpaten besonders wichtig:
1. Zwangsarbeit gehörte zum Alltag der deutschen Bevölkerung und fand vor aller Augen statt.
2. Wem nutzte diese unmenschliche Zwangsarbeit? Auf der Erinnerungstafel sind stellvertretend für alle Profiteure drei Firmen genannt, nämlich Krupp, Siemens und BMW.
Wenn wir die aktuellen Kriege und Konflikte betrachten, müssen wir leider feststellen, dass viele der Firmen, die bereits unter der Naziherrschaft zu den Profiteuren gehörten, heute wieder an den Kriegen und Konflikten in aller Welt außerordentlich verdienen.
Herzlichen Dank an das Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda mit Frau Heller und Frau Jung, dass sie mit ihrem Projektteam 1000 Buchen für Buchenwald diese beeindruckende Pflanzzeremonie ermöglichen. Herzlichen Dank an alle Sprecherinnen und Sprecher, an alle Gäste und ich hoffe darauf, viele von ihnen im nächsten Jahr zum 80. Jahrestages der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald wieder zu sehen.
Bleiben sie gesund und optimistisch. Im Ruhrpott sagt man am Ende „Glück auf““
Roswitha Loch zur Zwangsarbeit
„Da die Deutschen als Soldaten der Wehrmacht auf den Schlachtfeldern eingesetzt waren, setzte das NS-System zur Aufrechterhaltung und Ausweitung der Kriegswirtschaft zunehmend auf Zwangsarbeit. Nach Kriegsbeginn gab es ca. 8,4 Millionen zivile Zwangsarbeiter:innen aus Europa, ca. 4,6 Millionen Kriegsgefangene, sowie ca. 1,1 Millionen KZ-Häftlinge, die in einem unmenschlichen Unterdrückungs- und Ausbeutungssystem für das Deutsche Reich in der Großindustrie, in mittelständischen Betrieben, im Bergbau, in der Bauindustrie, in der Landwirtschaft, in staatlichen Institutionen und Betrieben sowie auch in Privathaushalten arbeiten mussten. Die Zahl der Zwangsarbeiter:innen in den besetzten Gebieten wird auf 13 Millionen geschätzt.
Diese europäische Dimension der Zwangsarbeit war geprägt von einem Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen Ausbeutungsinteressen und rassenideologischen Vorgaben. Innerhalb der Opfergruppe der Zwangsarbeiter:innen (z.B. sogenannte Asoziale, Sinti und Roma, Ostarbeiter, Arbeiter aus Westeuropa, sowjetische und andere Kriegsgefangene, Juden, Frauen, KZ-Häftlinge) gab es eine Hierarchie, die sich auf die brutalen und leidvollen Lebens- und Arbeitsbedingungen und somit auf die Überlebenschancen auswirkte. Am Ende der Hierarchie standen die KZ-Häftlinge.
Der Alltag der Zwangsarbeiter:innen war von steigender Arbeitszeit (bei KZ Häftlingen 11-12- Stunden) bei Hungerrationen, mangelhafter Kleidung und Ausrüstung, Kälte, Gewalt und Furcht von Bestrafungen geprägt. Die Überlebenschancen hingen auch von Entscheidungen der Polizei, Justizbehörden und der SS ab. Sondergerichte beschlossen Todesurteile bei kleinsten Vergehen. Es gab Arbeitserziehungslager mit KZ-ähnlichen Bedingungen und die sogenannte Sonderbehandlung, d.h. Hinrichtung ohne Verfahren. Zahlreiche nationale, regionale und kommunale Dienststellen, sowie NS-Organisationen (Rüstungsministerium, Arbeitsämter, Reichssicherheitshauptamt, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel) waren für die Organisation der Zwangsarbeit zuständig, um die steigenden Bedürfnisse der Rüstungsindustrie zu erfüllen.
Im Verlauf des Krieges wurden zahlreiche KZ-Häftlinge außerhalb der Konzentrationslager in der Rüstungsproduktion eingesetzt. Dafür entstanden zahlreiche KZ-Außenlager in der Nähe der Arbeitsorte, so auch in unserer Heimatstadt Essen. In Buchenwald waren ab Juli 1942 Häftlinge im Gustloffwerk II eingesetzt und ab August 1943 in Dora zum Bau der sogenannten Wunderwaffe V2 in unterirdischen Stollen. Auf Grund der entsetzlichen Lebensbedingungen in Dora überlebten bis Ende März 1944 ca. 6.000 der etwa 17.000 bis dahin nach Dora deportierten Häftlinge nicht. Zwangsarbeit gehörte zum Alltag der deutschen Bevölkerung, war allgegenwärtig und fand vor aller Augen statt. Es gab Täter, Helfer, Profiteure und Zuschauer.
Die Zwangsarbeiter:innen waren lange Zeit eine vergessene Opfergruppe. Der einzige zentrale Erinnerungsort in Deutschland und Europa ist das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide auf dem Gelände eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers mitten im Wohngebiet.
Beschämend ist der lange Weg bis zu einer Entschädigungsregelung und das lange fehlende Unrechtsbewusstsein. Zwar waren die Strafen für die Organisatoren im Nürnbergprozess hoch (Todesstrafe für Fritz Sauckel), jedoch fielen sie in den sogenannten Nachfolgeprozessen für Nutznießer wie Industrielle, Manager, Banker milder aus. In den westdeutschen Nachfolgeprozessen wurde Zwangsarbeit als unvermeidbare Begleiterscheinung des Krieges bewertet, die Verantwortlichen seien vom NS-Staat gezwungen worden, Zwangsarbeiter:innen einzusetzen.
Im Sommer 2000, erst 55 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, gründeten der deutsche Staat und 6.500 Unternehmen, bei weitem nicht alle Profiteure, die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit einem Entschädigungsfond, in den freiwillig 5 Milliarden DM eingezahlt wurden.
Der hier gepflanzte Baum steht für die Erinnerung an die Opfergruppe der Zwangsarbeiter:innen als gesellschaftliche Aufgabe.“
Rica Gottwald sang zum Abschluss die Mauthausenkantate mit dem Text von Iakovos Kamanellis und der Musik von Mikis Theodorakis. Mit großem Beifall für dieses Lied endete eine beeindruckende Pflanzzeremonie.
“ Die ich liebe, ist schön, unsagbar schön, ich seh sie vor mir in ihrem Sommerkleid mit einem Kamm im schwarzen Haar. Man hat sie fortgebracht, und keiner sieht, wie schön sie ist. Man hat sie fortgebracht, und keiner weiß wohin, wohin. Ihr Mädchen von Auschwitz, ihr Mädchen von Dachau. Ich frage, wer sie getroffen hat, ich frage, wer sie gesprochen hat, ich frage euch, wer sie sah, wer sie sah. Wir trafen sie auf einer langen Reise. Ihr Kleidchen hatte sie verloren, lang schon zerbrochen war ihr Kamm.
Die ich liebe ist schön, unsagbar schön, wenn sie die Mutter sanft gestreichelt hat, wenn sie der Bruder zärtlich küsst. Man hat sie fortgebracht und keiner sieht, wie schön sie ist. Man hat sie fortgebracht und keiner weiß wohin, wohin. Ihr Mädchen von Mauthausen und ihr von Bergen-Belsen. Ich frage, wer sie getroffen hat, ich frage, wer sie gesprochen hat, ich frage euch, wer sie sah, wer sie sah. Wir trafen sie auf kahlem Platz im Eiswind, ihr Arm trügende schwarze Nummer, ihr Herz schlug noch unterm gelben Stern“
Unsere Eltern und Großeltern traten meist schon vor 1933 dafür ein, Faschismus und Krieg zu verhindern. Sie kamen meist aus dem Arbeiterwiderstand – Gewerkschaft er, Sozialdemokraten, Kommunisten – und gehörten zu den ersten, deren Organisationen zerschlagen und deren Mitglieder in Konzentrationslager verschleppt, ins Exil getrieben oder ermordet wurden, unter ihnen auch jüdisch Verfolgte. Zu ihren bittersten Erkenntnissen gehörte, dass die Faschisten 1933 nicht an die Macht kamen, weil sie stärker waren als ihre Gegner, sondern weil ihre Gegner sich nicht rechtzeitig zusammenfanden. Heute sollte jeder wissen, was „Faschismus an der Macht“ bedeutet! Heute gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn wir den faschistischen Kräften nicht gemeinsam entschlossen entgegentreten. Viele der überlebenden Antifaschisten traten für ein demokratisches Deutschland, gegen ein Wiederaufl eben des faschistischen Ungeistes ein. Sie stellten sich gemeinsam mit jüngeren Antifaschisten gegen gewalttätige Nazis und den rassistischen Mob, der Anfang der 1990er Jahre Überfälle auf Ausländerunterkünfte und „Fremde“ organisierte. Sie kämpft en getreu dem Schwur der überlebenden Häft linge des KZ-Buchenwald: „…Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Und sie leisteten Unglaubliches als Zeitzeug*innen, indem sie jungen Menschen aus eigenem Erleben von ihren Erfahrungen aus dem antifaschistischen Kampf und von den Folgen faschistischer Herrschaft , nicht nur in unserem Land, berichteten. Wir, die Nachkommen, halten es für unsere historische Pflicht, in dieser Zeit des wachsenden Rechtsextremismus zu warnen! In ihrem Sinne sagen wir deutlich: Wir brauchen das breite politische, zivilgesellschaftliche Bündnis aller Menschen, die sich für eine demokratische, friedliche, sozial gerechte Gesellschaft einsetzen, ohne Ausgrenzung und Kriminalisierung von Migranten oder Flüchtlingen. Damals die NSdAP und heute die AfD profitieren von der Unzufriedenheit der Menschen mit der sozialen Lage. Nur bei Absicherung der Lebensgrundlage Aller, können die extremen rechten Gruppen und Parteien zurückgedrängt werden. Wir begrüßen die zahllosen Kundgebungen und Aktionen gegen rechts und rufen dazu auf, dieses Engagement fortzusetzen. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass der Raum für die extreme Rechte auf der Straße, im Betrieb und insgesamt in der Gesellschaft enger wird. Stoppen wir den Vormarsch der AfD und anderer rechter Parteien bei der EU-Wahl und bei den kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen.
Das TV-Duell am 11.04.2024 – dem Tag der Selbstbefreiung und Befreiung des KZ Buchenwald – der Herren Voigt (Spitzenkandidat der CDU Thüringen) und Höcke (AfD) hat der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitee wie folgt kommentiert:
Ein besonderes TV-Duell, so will man uns weismachen: Ein Hochamt der Demokratie gewissermaßen. Und dennoch wissen alle, dass dieses Gespräch für beide Partner aus rein egozentrischen Motiven entstanden ist: Herr Voigt möchte etwas bekannter werden und sich als Hauptfigur in der thüringischen Politik positionieren. Dafür geht er gerne einen temporären Bund mit Herrn Höcke ein, der verkniffen und dennoch leichtfüßig aus der rechtsextremen Schmuddelecke der Gesellschaft in den Ring von Welt TV tänzeln darf -zwei wahrhaft ideologische Schwergewichte, die Thüringen aufmischen, wie es noch nie jemand geschafft hat, außer Welt-TV natürlich, das an diesem Tag das Erbe Axel Springers ganz besonders feiert.
Ach ja, da war doch noch was: Ja, an diesem 11. April im Jahr 1945 wurde das in Thüringen befindliche Lager Buchenwald befreit: Verdreckte, ausgehungerte und übriggebliebene Menschen entkamen in letzter Sekunde ihren deutschen Mördern: Sie verjagten sie und empfingen ihre amerikanischen Befreier genauso todmüde und traumatisiert wie in Auschwitz ihre Leidensgenossen die sowjetischen oder die Menschen in Bergen-Belsen ihre englischen Befreier empfangen hatten. Unter den Überlebenden, von denen die jüdischen und die der Sinti und Roma fast alle mutterseelenallein waren – alle ihre Familien waren in den Gaskammern der Nazis getötet worden – bestand nach diesen Befreiungen ein enges Band: Nationale Lagerkomitees von Überlebenden entstanden in vielen Ländern: Man suchte die Nähe, den Austausch, die gemeinsame Trauer und man suchte gemeinsam nach denen, auf deren Rückkehr man noch hoffte.
Jahre der Tränen, der abgrundtiefen Verzweiflung und auch des Hasses gegenüber den Tätern und all den Gleichgültigen in Deutschland, die alles gesehen und hatten geschehen lassen. Später entstanden auf der Grundlage der nationalen Komitees internationale Lagerkomitees, die die Arbeit erweiterten, die Überlebenden über Ländergrenzen zusammenführten und denen es sogar während der Zeiten des Kalten Krieges in Europa gelang die nationalen Komitees zusammenzuhalten -wie im Fall des Internationalen Auschwitz Komitees: Was man in Auschwitz, in Buchenwald, oder in Mittelbau-Dora gemeinsam durchlitten und ertragen hatte war stärker und verbindender als das, was einem die Ideologen des Kalten Krieges an Distanz verordnen wollten.
Jetzt waren sie „Überlebende“. Die neue Identität war kein Endstadium: Vielmehr mussten sie ihre Befreiung tagtäglich neu erkämpfen. Dabei entwickelten sie eine enge Bindung an den Tag ihrer Befreiung und zu den Orten ihres Leidens: Sie wollten – gerade an den Jahrestagen der Befreiung- als freie Menschen zu diesen Orten zurückkehren, sich selbst mussten und der Welt wollten sie sagen: Wir haben überlebt. Wir sind die Sieger der Geschichte. Wir werden auf die Welt aufpassen, damit „so etwas“ nicht wieder geschehen kann: Natürlich, die Überlebenden hätten mit Flugzeugen oder Bussen nach Deutschland reisen können, koordinierte Anreise zu den Gedenkfeierlichkeiten, bei denen sie sich gegenseitig in ihren Sprachen ihre Ängste und ihre Hoffnungen, ihre Forderungen und ihre Wut hätten mitteilen können, um dann -an den Deutschen vorbei- in geschlossenen Bussen diesen Ort der deutschen Schande schnellst möglichst wieder zu verlassen: Aber -und das ist ihre Größe – sie haben sich anders entschieden: Überlebende sind auf die Angehörigen und die Nachkommen der Täter zugegangen, sie haben Gesprächsangebote gemacht, in Schulen, in Kirchengemeinden, bei den Gewerkschaften: Sie haben erzählt und erzählt, über populistischen Hass, antisemitischen Terror, die Ideologie der Nazis, die Systematik der Vernichtung in den Lagern, die Gesichter der Täter und deren Verschwinden am Ende des Krieges. Sie haben beklagt, dass die Schuldigen wieder in der Mitte der Gesellschaft ihre Plätze fanden, dass kaum ein Gerichtsverfahren gegen die Täter eröffnet wurde, dass die Gleichgültigkeit eiseskalt weiterlebte.
Und sie haben erzählt über die Republik und die Demokratie und dass man sie schätzen und schützen muss. Ja, auf diese Weise und mit dieser Haltung haben die Überlebenden den Deutschen überhaupt erst die Tür zur Welt geöffnet und den Weg zurück in die Völkergemeinschaft geebnet. Und sie haben gehofft, dass die Deutschen und ganz besonders die jungen Deutschen nach der Wiedervereinigung den Satz leben würden, mit dem die ungarisch-jüdische Auschwitz-Überlebende Erszi Szemes jedes ihrer Zeitzeugengespräche beendete: „Ihr müsst die Republik behüten.“
Und nun also, am 11. April 2024, reisen Überlebende und ihre Nachkommen nach Weimar und Buchenwald, um am Tag ihrer Befreiung mit einem TV – Spektakel konfrontiert zu werden, das sich auch noch als besonderer Beitrag des Gedenkens kostümieren möchte. Die Überlebenden fragen sich, ob den Beteiligten klar ist, welche Irritationen und Verletzungen der Missbrauch dieses Tages und die Auslieferung dieses Termins an Herrn Höcke bei ihnen hervorrufen werden: Sie machen sich über die Rolle Herrn Höckes im europäischen Faschismus und dessen Pläne längst keine Illusionen mehr und es ist ihnen absolut unverständlich, wie Menschen in Thüringen bei der nächsten Wahl Höcke und seine braune Partei überhaupt in Betracht ziehen können, wo sie Buchenwald, Mittelbau-Dora und andere Gedenkstätten tagtäglich vor Augen haben. Die Überlebenden der Lager, unter ihnen die unvergessene Eva Fahidi aus Budapest, die vor wenigen Monaten starb, haben in Thüringen vor vielen Menschen gesprochen und ihnen berichtet, was ihnen widerfahren ist und welche politischen Kräfte dafür Verantwortung getragen haben. Das alles darf nicht vergebens gewesen sein.
Am Freitag 12. April trafen sich an der Andersenstrasse in Weimar zahlreiche Mitglieder des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD), der LAG Buchenwald-Dora e.V. und Unterstützer des Projektes 1000 Buchen. Unter ihnen befand sich auch der Lebensgefährte Andor Andrási von Éva Fahidi Pusztai.
Als Baumpate pflanzte das IKBD den Baum zur Erinnerung an Éva Fahidi Pusztai, vis á vis des Erinnerungsbaums für ihre Schwester und ihre Familie, den Éva Fahidi Pusztai persönlich im Jahr 2022 gepflanzt hat.
Justus Lencer, Aufsichtsratsvorsitzender des Lebenshilfe Werks Weimar Apolda, begrüßte die Baumpaten und Gäste.
Naftali Fürst, Präsident des IKBD und langjähriger Freund und Weggefährte von ihr, Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar, und Prof. Dr. Jens-Christian Wagner würdigten noch einmal das Leben von Éva Fahidi Pusztai und ihren unermüdlichen Einsatz, als Zeitzeugin insbesondere jungen Menschen von den Verbrechen der Nazis zu berichten.
„Liebe Feunde von Eva,
Eva Fahidi Pusztai hat uns am 11. September 2023 in Budapest verlassen. Wir alle hier kennen ihren schmerzhaften Lebensweg zunächst im Lager von Auschwitz-Birkenau, dann in einem der 27 Außenkommandos von Buchenwald. Wir alle bedauern ihre strahlende Kraft und Persönlichkeit.
Sechzig Jahre hat sie gebraucht, bevor sie anfing zu sprechen: “Ich habe mich befreit, sagte sie, an jenem Tag, wo ich erkannte, dass Hass meine Seele vergiftete”.
Die Fatalität ihres Schicksals hat sie in Büchern beschrieben; unermüdlich hat sie in Schulen, in Gedenkstätten, 2015 im Gerichthof gegen Oskar Gröning erzählt, und sogar auf Theaterbühnen, wo sie ihre Holocaustgeschichte in einer unsagbar schönen Choreographie bis zu ihrem 93. Lebensjahr getanzt hat.
Eine ihrer zahlreichen Botschaften war: „Man lebt nur einmal, aber wenn man stirbt, ist es für immer. Lasst uns den Hass ablehnen. Nur unter dieser Bedingung können wir dann den Grundstein für ein würdiges menschliches Leben und eine Welt des Friedens legen“.
Eva ist drei Wochen vor den Massakern vom 7. Oktober 2023 gestorben. Zumindest wurde ihr das erspart. Wir erinnern ihre Worte: „Ein ganzes Leben wird nicht ausreichen, um zu mahnen, dass sich die Verbrechen des Holocaust nie wiederholen dürfen“. Leider hatte sie recht.
Sei gedankt und geehrt, liebe Eva.
Mit diesem Baum bestätigt Dir das Internationale Komitee Buchenwald Dora seine unendliche Dankbarkeit. Wir werden Dich nie vergessen.“
Ihr Lebensgefährte Andor Andrási fand bewegende Worte und erinnerte an ihren Satz „einer muß aufhören zu hassen“, der immer ihre Maxime allen Handelns war.
„Seit Évas Tod werde ich so oft damit konfrontiert, wie nach ihrem Abschied alles auseinandergerissen wurde. Ihre authentischen Reden und besorgniserregenden Worte waren verschwunden, um einem Wiederaufleben einer Welle des Hasses entgegenzuwirken. Trotz aller Vorzeichen und vernünftigen Überlegungen haben wir nie berücksichtigt, dass die Endlichkeit des Lebens auch für uns gilt. Und jetzt sind wir hier, wo wir vor zwei Jahren an einer Baumpflanzung zum Gedenken an Gilike und an die ganze Familie von Éva teilgenommen haben. Damals hätten wir nicht gedacht, dass es so bald wieder zu Baumpflanzungen kommen würde. Versuchen wir, dies mit Optimismus zu betrachten, sehen wir es so, dass Éva nun wieder mit ihrer Familie vereint ist. Sie nimmt hier eine andere Existenzform an, in der Eva sozusagen wiedergeboren wurde und weiterlebt, in Form eines Apfelbaums. Mit seiner Existenz erinnert uns dieser Baum an Evas Botschaft, die sich durch ihn manifestiert und weiter warnt. Und es ist sehr passend, dass das in Evas Lieblingsstadt Weimar passiert. Ich habe das Gefühl, dass Évas Seele jetzt bei uns ist und sie ist zufrieden, dass Weimar sich so an sie erinnert.
Danke an diejenigen, die diese Baumpflanzung ermöglicht und umgesetzt haben.“
Die Stimme von Éva Fahidi Pusztai wird uns allen fehlen. Die Erfüllung Ihres Vermächtnisses „NIE WIEDER“ ist unsere Aufgabe.