Botschaft der Nachkommen von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern

12. April 2024

Unsere Eltern und Großeltern traten meist schon vor 1933 dafür ein, Faschismus und Krieg zu verhindern.
Sie kamen meist aus dem Arbeiterwiderstand – Gewerkschaft er, Sozialdemokraten, Kommunisten – und gehörten zu den ersten, deren Organisationen zerschlagen und deren Mitglieder in Konzentrationslager
verschleppt, ins Exil getrieben oder ermordet wurden, unter ihnen auch jüdisch Verfolgte. Zu ihren bittersten Erkenntnissen gehörte, dass die Faschisten 1933 nicht an die Macht kamen, weil sie stärker waren als ihre Gegner, sondern weil ihre Gegner sich nicht rechtzeitig zusammenfanden. Heute sollte
jeder wissen, was „Faschismus an der Macht“ bedeutet! Heute gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn wir den faschistischen Kräften nicht gemeinsam entschlossen entgegentreten. Viele der überlebenden Antifaschisten traten für ein demokratisches Deutschland, gegen ein Wiederaufl eben des faschistischen Ungeistes ein. Sie stellten sich gemeinsam mit jüngeren Antifaschisten gegen gewalttätige Nazis und den rassistischen Mob, der Anfang der 1990er Jahre Überfälle auf Ausländerunterkünfte und „Fremde“ organisierte. Sie kämpft en getreu dem Schwur der überlebenden Häft linge des KZ-Buchenwald: „…Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Und sie leisteten Unglaubliches als Zeitzeug*innen, indem sie jungen Menschen aus eigenem Erleben von ihren Erfahrungen aus dem antifaschistischen Kampf und von den Folgen faschistischer Herrschaft , nicht nur in unserem Land, berichteten. Wir, die Nachkommen, halten es für unsere historische Pflicht, in dieser Zeit des wachsenden Rechtsextremismus zu warnen! In ihrem Sinne sagen wir deutlich: Wir brauchen das breite politische, zivilgesellschaftliche Bündnis aller Menschen, die sich für eine demokratische, friedliche, sozial gerechte Gesellschaft einsetzen, ohne Ausgrenzung und Kriminalisierung von Migranten oder Flüchtlingen. Damals die NSdAP und heute die AfD profitieren von der Unzufriedenheit der Menschen mit der sozialen Lage. Nur bei Absicherung der Lebensgrundlage Aller, können die extremen rechten Gruppen und Parteien zurückgedrängt werden.
Wir begrüßen die zahllosen Kundgebungen und Aktionen gegen rechts und rufen dazu auf, dieses Engagement fortzusetzen. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass der Raum für die extreme Rechte auf der Straße, im Betrieb und insgesamt in der Gesellschaft enger wird. Stoppen wir den Vormarsch der AfD und anderer rechter Parteien bei der EU-Wahl und bei den kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen.

TV-Duell zwischen Mario Voigt und Björn Höcke am heutigen Gedenktag der Befreiung von Buchenwald

12. April 2024

Das TV-Duell am 11.04.2024 – dem Tag der Selbstbefreiung und Befreiung des KZ Buchenwald – der Herren Voigt (Spitzenkandidat der CDU Thüringen) und Höcke (AfD) hat der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitee wie folgt kommentiert:

Ein besonderes TV-Duell, so will man uns weismachen: Ein Hochamt der Demokratie gewissermaßen. Und dennoch wissen alle, dass dieses Gespräch für beide Partner aus rein egozentrischen Motiven entstanden ist: Herr Voigt möchte etwas bekannter werden und sich als Hauptfigur in der thüringischen Politik positionieren. Dafür geht er gerne einen temporären Bund mit Herrn Höcke ein, der verkniffen und dennoch leichtfüßig aus der rechtsextremen Schmuddelecke der Gesellschaft in den Ring von Welt TV tänzeln darf -zwei wahrhaft ideologische Schwergewichte, die Thüringen aufmischen, wie es noch nie jemand geschafft hat, außer Welt-TV natürlich, das an diesem Tag das Erbe Axel Springers ganz besonders feiert. 

Ach ja, da war doch noch was: Ja, an diesem 11. April im Jahr 1945 wurde das in Thüringen befindliche Lager Buchenwald befreit: Verdreckte, ausgehungerte und übriggebliebene Menschen entkamen in letzter Sekunde ihren deutschen Mördern: Sie verjagten sie und empfingen ihre amerikanischen Befreier genauso todmüde und traumatisiert wie in Auschwitz ihre Leidensgenossen die sowjetischen oder die Menschen in Bergen-Belsen ihre englischen Befreier empfangen hatten. Unter den Überlebenden, von denen die jüdischen und die der Sinti und Roma fast alle mutterseelenallein waren – alle ihre Familien waren in den Gaskammern der Nazis getötet worden – bestand nach diesen Befreiungen ein enges Band: Nationale Lagerkomitees von Überlebenden entstanden in vielen Ländern: Man suchte die Nähe, den Austausch, die gemeinsame Trauer und man suchte gemeinsam nach denen, auf deren Rückkehr man noch hoffte.

 Jahre der Tränen, der abgrundtiefen Verzweiflung und auch des Hasses gegenüber den Tätern und all den Gleichgültigen in Deutschland, die alles gesehen und hatten geschehen lassen. Später entstanden auf der Grundlage der nationalen Komitees internationale Lagerkomitees, die die Arbeit erweiterten, die Überlebenden über Ländergrenzen zusammenführten und denen es sogar während der Zeiten des Kalten Krieges in Europa gelang die nationalen Komitees zusammenzuhalten -wie im Fall des Internationalen Auschwitz Komitees: Was man in Auschwitz, in Buchenwald, oder in Mittelbau-Dora gemeinsam durchlitten und ertragen hatte war stärker und verbindender als das, was einem die Ideologen des Kalten Krieges an Distanz verordnen wollten. 

Jetzt waren sie „Überlebende“. Die neue Identität war kein Endstadium: Vielmehr mussten sie ihre Befreiung tagtäglich neu erkämpfen. Dabei entwickelten sie eine enge Bindung an den Tag ihrer Befreiung und zu den Orten ihres Leidens: Sie wollten – gerade an den Jahrestagen der Befreiung- als freie Menschen zu diesen Orten zurückkehren, sich selbst mussten und der Welt wollten sie sagen: Wir haben überlebt. Wir sind die Sieger der Geschichte. Wir werden auf die Welt aufpassen, damit „so etwas“ nicht wieder geschehen kann: Natürlich, die Überlebenden hätten mit Flugzeugen oder Bussen nach Deutschland reisen können, koordinierte Anreise zu den Gedenkfeierlichkeiten, bei denen sie sich gegenseitig in ihren Sprachen ihre Ängste und ihre Hoffnungen, ihre Forderungen und ihre Wut hätten mitteilen können, um dann -an den Deutschen vorbei- in geschlossenen Bussen diesen Ort der deutschen Schande schnellst möglichst wieder zu verlassen: Aber -und das ist ihre Größe – sie haben sich anders entschieden: Überlebende sind auf die Angehörigen und die Nachkommen der Täter zugegangen, sie haben Gesprächsangebote gemacht, in Schulen, in Kirchengemeinden, bei den Gewerkschaften: Sie haben erzählt und erzählt, über populistischen Hass, antisemitischen Terror, die Ideologie der Nazis, die Systematik der Vernichtung in den Lagern, die Gesichter der Täter und deren Verschwinden am Ende des Krieges. Sie haben beklagt, dass die Schuldigen wieder in der Mitte der Gesellschaft ihre Plätze fanden, dass kaum ein Gerichtsverfahren gegen die Täter eröffnet wurde, dass die Gleichgültigkeit eiseskalt weiterlebte. 

Und sie haben erzählt über die Republik und die Demokratie und dass man sie schätzen und schützen muss. Ja, auf diese Weise und mit dieser Haltung haben die Überlebenden den Deutschen überhaupt erst die Tür zur Welt geöffnet und den Weg zurück in die Völkergemeinschaft geebnet. Und sie haben gehofft, dass die Deutschen und ganz besonders die jungen Deutschen nach der Wiedervereinigung den Satz leben würden, mit dem die ungarisch-jüdische Auschwitz-Überlebende Erszi Szemes jedes ihrer Zeitzeugengespräche beendete: „Ihr müsst die Republik behüten.“ 

Und nun also, am 11. April 2024, reisen Überlebende und ihre Nachkommen nach Weimar und Buchenwald, um am Tag ihrer Befreiung mit einem TV – Spektakel konfrontiert zu werden, das sich auch noch als besonderer Beitrag des Gedenkens kostümieren möchte. Die Überlebenden fragen sich, ob den Beteiligten klar ist, welche Irritationen und Verletzungen der Missbrauch dieses Tages und die Auslieferung dieses Termins an Herrn Höcke bei ihnen hervorrufen werden: Sie machen sich über die Rolle Herrn Höckes im europäischen Faschismus und dessen Pläne längst keine Illusionen mehr und es ist ihnen absolut unverständlich, wie Menschen in Thüringen bei der nächsten Wahl Höcke und seine braune Partei überhaupt in Betracht ziehen können, wo sie Buchenwald, Mittelbau-Dora und andere Gedenkstätten tagtäglich vor Augen haben. Die Überlebenden der Lager, unter ihnen die unvergessene Eva Fahidi aus Budapest, die vor wenigen Monaten starb, haben in Thüringen vor vielen Menschen gesprochen und ihnen berichtet, was ihnen widerfahren ist und welche politischen Kräfte dafür Verantwortung getragen haben. Das alles darf nicht vergebens gewesen sein.

Pressemitteilung des Internationalen Auschwitz Komitee

Programme zu Veranstaltungen/Gedenkfeiern zum 79. Jahrestages der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald

10. April 2024

Im folgenden die Programmpunkte für die Tage vom 12. – 14. April in und um Weimar:

12. April, 16:00 Uhr: 87. Baumpflanzaktion, Andersenstraße/ Ecke Kromsdorfer Straße

Das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos wird in Erinnerung an die 2023 verstorbene Weimarer Ehrenbürgerin Éva Fahidi-Pusztai, die das zum KZ Buchenwald gehörende Außenlager Münchmühle überlebte, einen Wildapfelbaum pflanzen.
2022 pflanzte Éva Fahidi-Pusztai in unmittelbarer Nähe einen Apfelbaum für ihre Schwester und ihre Eltern, die 1944 im KZ Auschwitz ums Leben kamen.

13. April, 16:30 Uhr: 88. Pflanzaktion auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes Weimar-Nohra bei Nohra

Auf dem Gelände befand sich das ehemalige Konzentrationslager Nohra, auf dem bereits am 3. März 1933 die ersten Menschen eingeliefert wurden und dass damit zu den frühsten Kon- zentrationslagern zählt.
Angehörige und Freunde werden in Erinnerung an die ehemaligen Häftlinge des KZ Buchen- wald Robert Siewert, Karel Vrkoslav, Willi Rattai sowie an die Zwangsarbeiter des KZ Buchen- wald vier Gedenkbäume pflanzen.

14. April, 10:00 Uhr: 13. Treffen der Nachkommen im Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald

Das Thema des diesjährigen Treffens ist „Zwangsarbeit im KZ Buchenwald

Programm:

„Die Moorsoldaten“
Chor „Pir-Moll“ 

Begrüßung: Karl-Friedrich Limburg
Vorsitzender des Vorstandes der LAG Buchenwald-Dora e.V.

„Die Wilden Gesellen“ – von den Kameraden schon im KZ gesungen
Chor „Pir-Moll“  

Grußworte: Petra Pau
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestage
Herr Bodo Ramelow (angefragt)
Ministerpräsident des Freistaates Thüringen
Herr Prof. Dr. Jens-Christian Wagner (angefragt)
Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora 
Naftali Fürst   
Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos

„Tsu eyns, tsvey, dray“ – jiddisches Lied aus dem Ghetto Wilna
„Gefüget aus Beton und Stahl“  – Sachsenburg-Lied
Chor „Pir-Moll“  

Hauptvortrag: „Zwangsarbeit im KZ Buchenwald“
Dr. Michael Löffelsender
Kurator der Gedenkstätte Buchenwald

Baumbach-Duo

Beitrag: „Zwangsarbeit im KZ Buchenwald – Widerstand und Sabotage“                                   
Karl-Friedrich Limburg gemeinsam mit Nachkommen von Häftlingen

Baumbach-Duo

Erklärung der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V.
André Goldstein
Mitglied des Vorstandes der LAG Buchenwald-Dora e.V.

Buchenwaldlied              
Gemeinsam mit dem Chor „Pir-Moll“

Im Anschluss lädt die LAG Nachkommen von Buchenwald-Häftlingen herzlich zu einem Gedankenaustausch ein –  Ort wird dann mitgeteilt – Treffen vor dem Kinosaal

Die LAG Buchenwald-Dora schließt sich der Trauer um das Buchenwaldkind Stefan Jerzy Zweig an

31. März 2024

Trauer um das Buchenwaldkind“ Stefan Jerzy Zweig.
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist er bereits im Februar in Wien im Alter von 83 Jahren verstorben. 

Bereits im Februar verstarb in Wien Stefan Jerzy Zweig. Als das Buchenwaldkind“ in Bruno Apitz‘ fiktionalisierten Roman „Nackt unter Wölfen“ (1958) wurde er weltberühmt.

Informationen zu Stefan Jerzy Zweig

Pressemitteilung des Internationalen Auschwitz Komitees zur geplanten Fernsehdiskussion zwischen Mario Voigt (CDU) und Björn Höcke (AfD) am 11. April, dem Tag der Befreiung von Buchenwald und Mittelbau-Dora

6. März 2024

Zur geplanten Wahlkampf-Diskussion zwischen dem Thüringer CDU-Vorsitzenden Mario Voigt und dem Thüringer AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke am 11. April, dem Tag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora, betonte in Berlin Christoph Heubner, der Exekutiv Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees:

„Die Entscheidung des Thüringer CDU-Vorsitzenden, einem der bekanntesten Gallionsfiguren rechtsextremer Hetze in Europa ausgerechnet an diesem Gedenktag einen weithin beachteten Auftritt zu ermöglichen, mutet Überlebenden des Holocaust politisch völlig instinktlos und makaber an.
Sie empfinden dies als Beschädigung der von allen demokratischen Parteien geförderten und geforderten Erinnerungskultur in Deutschland und auch als Beschädigung des Vertrauens, das zwischen Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager und Thüringen und Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist.“

Zur Pressemitteilung des IAK Berlin

Save the Date für Veranstaltungen/Gedenkfeiern zum 79. Jahrestages der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald

18. Februar 2024

Freitag 12.04.2024, 16:00 Uhr, Andersenstraße, 99427 Weimar:
Baumpflanzung im Projekt „1000 Buchen für Buchenwald“ des Lebenshilfewerks Weimar/Apolda e.V. 
Erinnerungsbaum für Eva Fahidi-Pusztai

Samstag 13.04.2024, 16:30 Uhr, Erfurter Str. 40, 99428 Nohra:
Baumpflanzung im Projekt „1000 Buchen für Buchenwald“ des Lebenshilfewerks Weimar/Apolda e.V. 
Erinnerungsbäume für:
Robert Siewert
Karel Vrkoslav
Willi Rattai
Häftlinge, die Zwangsarbeit leisten mussten u.a. bei Krupp, Carl Zeiss, Siemens, BMW

Sonntag 14.04.2024, 10:00 Uhr, Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald
XIII. Treffen der Nachkommen der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V.
Diesjähriges Thema: Zwangsarbeit

Sonntag 14.04. 2024, 12:00 Uhr, Eingang Bühne des Kinosaals der Gedenkstätte Buchenwald
Die LAG Buchenwald-Dora e.V. lädt alle Nachkommen von Buchenwald-Häftlingen und andere Interessierte zu einem Gedankenaustausch ein:

Was heißt es für uns heute persönlich und politisch, dass unsere Vorfahren in Buchenwald eingesperrt waren und den Schwur von Buchenwald geleistet haben? Können wir uns gegenseitig bei der Spurensuche unterstützen und vernetzen? Treffen wir eventuell auf Menschen die mit unseren Vorfahren im gleichen Block waren? Oder, oder, oder….? 

Sonntag 14.04.2024, 15:00 Uhr, Apellplatz des Lagers Buchenwald
Gedenkfeier des IKBD, Internationales Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos

Sonntag 14.04.2024, 17:00 Uhr, Glockenturm
Kranzniederlegung

Weitere Termine sind auf der Website der Gedenkstätte zu finden

Reinhold Loch

1. Februar 2024

,

Sohn von Erich und Irma Loch

Am 26. August 1947 wurde ich als Sohn von Irma (geb. 28.11.1922) und Erich Loch (geb. 12.9.1910) in Essen – Stoppenberg geboren. Dort lebten wir bei den Eltern meiner Mutter, bis wir eine 2-Zimmer-Dachgeschosswohnung in der Geitlingstraße in Essen fanden.

Am 17. Dezember 1952 erlebte ich als Fünfjähriger das erste Mal bewusst, dass mein Vater polizeilich überwacht wurde. Vor unserer Wohnungstür standen zwei Männer mit langen Mänteln und großen Hüten. Sie hatten nicht an der Haustür geklingelt, sondern sich über das Klingeln bei einer Nachbarin Zutritt zum Haus verschafft.

Es waren zwei Mitarbeiter der politischen Polizei, die meinen Vater kurz vor Weihnachten mitnahmen und ins Gefängnis am Haumannplatz in Essen brachten. Dort waren Besuche von Kindern nicht erlaubt, so dass ich meinen Vater 10 Monate nicht sehen durfte. Mein einziger Kontakt blieb ein Arm mit einem weißen Tuch, der mir und meiner Mutter aus dem vergitterten Zellenfenster an einem verabredeten Tag und zu einer verabredeten Uhrzeit zuwinkte.

Jetzt verstand ich, ein Erlebnis aus dem Mai 1952 richtig einzuordnen. Mein Vater fuhr mit mir im Auto über die Rüttenscheider Straße nach Hause. An der Rüttenscheider Brücke konnten wir auf die Alfredstraße sehen und beobachten, wie uniformierte Polizisten mit Schlagstöcken und viel Gebrüll auf Menschen einknüppelten und versuchten, diese auf bereitstehende LKWs zu prügeln. Wir bogen links ab in Richtung Krupp Krankenhaus und trafen auf zwei junge Männer. Der Eine trug seinen Freund auf dem Rücken, weil der einen glatten Fußdurchschuss aus einer Polizeipistole hatte. Mein Vater ließ beide einsteigen, setzte mich bei meiner Mutter ab, und brachte den Verletzten und seinen Freund zu Doris Maase, einer Ärztin in Düsseldorf. Später habe ich dann erfahren, dass Doris Maase die Haft im Konzentrationslager Ravensbrück überlebt hat und nach der Befreiung aktiv für die KPD in Düsseldorf gearbeitet hat.

Mein Vater bewahrte die beiden jungen Männer vor der Verhaftung, denn sie waren Teilnehmer an der großen Demonstration am 11. Mai 1952 gegen die bundesdeutsche Wiederbewaffnung auf der Philipp Müller – ein kommunistischer Arbeiter –  erschossen wurde.

Jetzt hatte ich mehr gefühlt als begriffen, dass mein Vater und meine Mutter ein sehr politisches Leben führten und ich versuchte danach, dies zu verstehen und nachzuvollziehen.

Erst als Jugendlicher begann ich richtig zu begreifen, was insbesondere mein Vater für einen Lebens- und Leidensweg hinter sich hatte und für welche Ziele er mit aller Kraft jeden Tag arbeitete.

Der Lebensweg meines Vaters – des kommunistischen Widerstandskämpfers Erich Loch –  bleibt immer in meiner Erinnerung und prägt bis heute auch meine politische Haltung.

Geboren am 12.9.1910 in einer Bergmannsfamilie mit 7 Kindern in Essen. Achtjährige Volksschule, kaufmännische Lehre bei den Kellermann-Werken in Essen – Katernberg und bis Mitte 1929 kaufmännischer Mitarbeiter, danach bis März 1933 Expedient bei den Stickstoff-Werken in Castrop-Rauxel.

Ab September 1931 Mitglied der KPD, des Kampfbundes gegen den Faschismus und des RFB (Rot Frontkämpfer Bund)[2]. Beginn der Arbeit für die kommunistische Bewegung.

Erste Verhaftung in der Nacht des Reichstagsbrandes am 27./28. Februar 1933 beim Kleben von Wahlplakaten für die 5. März Wahl. Nach der Freilassung sollte auf der Arbeitsstelle seine erneute Verhaftung erfolgen. Arbeitskollegen warnten ihn, so dass er nach Haarlem in Holland emigrieren konnte. Dort war er zuständig für die Anfertigung von Flugblättern und Zeitungen.

Bei der Übergabe von illegalem Material erfolgte die Verhaftung im März 1934 in Aachen und im Dezember 1934 die Verurteilung zu 4 ½ Jahren Zuchthaus vom 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat.

März 1934 bis Dezember 1934 Gefängnis Aachen
Dezember 1934 bis Oktober 1935 Zuchthaus Münster
Oktober 1935 bis Januar 1936 Zuchthauslager Neu-Sustrum
Januar 1936 bis März 1936 Zuchthauslager Aschendorf
März 1936 bis September 1938 Zuchthaus Freiendiez
September 1938 bis zur Selbstbefreiung am 11.4.1945 Konzentrationslager Buchenwald

Im Lager Buchenwald war mein Vater Mitglied der illegalen internationalen Lagerorganisationen. Diese Organisationen (ILK internationales Lagerkomitee und IMO internationale Militärorganisation) wurde auf Initiative von überwiegend kommunistischen Häftlingen gebildet, auch mit dem Ziel, Funktionsstellen, die von den SS-Wachmannschaften an Häftlinge übergeben wurden, zu bekommen. Diese Kapo-Funktionen, z.B. im Lazarett, im Lebensmittelmagazin, in der Effektenkammer, in der Apotheke, in der Elektrowerkstatt usw. wurden dazu genutzt, um im Rahmen einer begrenzten Selbstverwaltung, das Leben der Häftlinge im Lager erträglicher zu machen und einen, wenn auch kleinen, Handlungsspielraum zu gewinnen.

Auszug aus dem Lebenslauf von Erich Loch, 15.02.1946

Ein großer Teil der Häftlinge musste in den Rüstungsfabriken der Gustloff – Werke in Weimar und später auch in unmittelbarer Nähe zum Lager arbeiten. Dies eröffnete die Möglichkeit, Einzelteile von Pistolen, Gewehren, Handgranaten und Munition ins Lager zu schmuggeln. Bei Entdeckung bedeutete das immer den sicheren Tod. Wie so viele Widerstandskämpfer hat auch mein Vater nicht über seine schrecklichen Erlebnisse erzählt und ich habe auch nicht gefragt. In den fünfziger und sechziger Jahren habe ich viele Buchenwaldkameraden meines Vaters persönlich kennengelernt. Sie waren sich immer noch sehr freundschaftlich verbunden und halfen sich gegenseitig, wo und wann immer es möglich war. Die Freundschaft zwischen meinem Vater und Reinhold Lochmann (Häftlings-Nr. 2455) muss so intensiv gewesen sein, dass ich den Vornamen Reinhold erhielt. Ich bin stolz darauf und freue mich, dass sich der gute Kontakt zu seiner Tochter Gisela über die Jahre erhalten hat und wir gemeinsam in der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald/Dora e.V. im Sinne unserer Väter politisch arbeiten.

Viele waren Mitglieder des illegalen internationalen Lagerkomitees (ILK) und der internationalen Militärorganisation (IMO) gewesen. Alle waren geprägt durch die Erfahrungen in ihrer Jugend, die durch soziale Umbrüche, soziale Ungerechtigkeit und große Not, auch im ganz persönlichen Umfeld gekennzeichnet war. Alle hatten sich durch die Erklärungen der aktuellen Situation und durch die Entwicklung von Perspektiven von der kommunistischen Lehre angesprochen gefühlt. Sie haben sich mit der Theorie auseinandergesetzt, haben eine Überzeugung entwickelt, für die sie politisch eingetreten sind. Dies war in der Endphase der Weimarer Republik und in der Nazidiktatur eine mutige, lebensbedrohliche Entscheidung. Alle sind lange inhaftiert gewesen, teilweise von 1933 bis zur Selbstbefreiung des Lagers am 11.04.1945.

Jedes Mal, wenn ich in Buchenwald war, habe ich mir die Frage gestellt: Wie haben die Häftlinge diese unmenschlichen Lebensumstände ausgehalten? Was hat ihnen Kraft und Stärke gegeben?

An Normen und Grundwerten festhalten, sich verantwortlich fühlen, Verantwortung leben, helfen, zusammenhalten, Kameradschaft, Freundschaft und Disziplin bewahren, leiden und kämpfen für eine gerechte Sache, eine bessere Zukunft, eine friedliche Welt, sich Gefühle leisten und die Würde wahren – dafür steht der Einsatz der Häftlinge, in der illegalen Lagerorganisation, im Widerstand unter täglicher Lebensgefahr.

Selbst eingesperrt waren sie Handelnde und haben sich durch die Bildung und Aufrechterhaltung einer Organisation und durch Disziplin einen, wenn auch häufig nur kleinen Handlungsspielraum geschaffen und erhalten. Ihre Gesinnung schützte sie vor Demoralisierung.

Immer wenn sie sich trafen, ging es um die positiven Erlebnisse während ihrer Gefangenschaft, um Solidarität und gegenseitige Hilfe.

Hier ein Beispiel aus dem Buch von Theo Gaudig (Häftlings-Nr. 7/2073) Das 20. Jahrhundert der Gaudigs, S. 101, Klartext Verlag Essen:
… Darin befand sich eine Küche und auch der Lagerraum der Apotheke. Dort musste ich nun auch sauber machen, alle Pötte raus, um dahinter zu fegen. Da stoße ich dann auf so Pötte, da war eine komische Masse drin, sah etwa aus wie dicke Marmelade oder irgendein Fruchtextrakt. Als ich fertig war, fragte ich: Was habt ihr denn dahinten für Marmelade stehen? Die vergammelt ja. Hast du denn mal probiert? Probiere die Marmelade mal! Ich gehe also hin und probiere es: War das sauer! So sauer, das kann man sich gar nicht vorstellen, dass es so etwas Saures überhaupt gibt! Es kam dann raus, dass es Zitronenmark war. Man wusste nicht, was man damit machen soll. Doch einer sagte: „Mensch, du bringst mich auf einen Gedanken“. Es vergingen ein paar Tage, dann hieß es auf einmal: „Da draußen ist ein Sack, den sollst du reinholen.“ „Ja, was ist das denn?“ „Das ist Zucker.“
Es war tatsächlich ein halber Zentner Zucker. „Ja, wo kommt denn so viel Zucker her? Und wieso kann man den so einfach über die Straße transportieren und keiner fällt drüber her, obwohl alle halb verhungert sind?“
Ich habe es nicht begriffen. Es verriet mir auch keiner. Jedenfalls war der Zucker für das Zitronenmark bestimmt. Ich sollte das Mark versüßen, ein wenig Wasser dazu tun und dann sollten die operierten Häftlinge etwas Saures bekommen, das aber noch genießbar war.
Ich fragte mich immer wieder, wo ein halber Zentner Zucker in einem so ausgehungerten Loch, wie es Buchenwald war, herkam. Später kam ich dahinter: Es gab einen Kameraden, ein Essener, der Erich Loch hieß. Dieser Erich Loch war eigentlich der „Ernährungsminister“ Buchenwalds. Nicht nur für die Häftlinge, sondern auch für die SS-Kasernen. Er hatte einen ganzen Stab, er war natürlich der entsprechende Organisator, der es auch konnte. Er hatte natürlich eine SS-Aufsicht, die aber wenig Ahnung hatte. Der Häftling machte es. Diesen Erich Loch habe ich dann später mal gefragt: „Mensch, der halbe Zentner Zucker geht mir nicht aus dem Kopf.“ „Ja“, sagte er, „ ganz einfach. Jeder SS-Mann hatte ein Recht auf 25 Gramm Zucker pro Tag.“ Ich habe ihm aber nur 23 Gramm Zucker gegeben. Jetzt kannst du ausrechnen wie viel Gramm Zucker bei 8.000 SS-Leuten dann auf einmal da waren. Das war der Zucker, den ich euch dann in die Krankenbaracke gebracht habe. ……..

Anfang April 1945 befanden sich noch über 50.000 Häftlinge im Lager. Jeden Tag versuchte die SS möglichst viele Häftlinge auf die Todesmärsche in Richtung der noch von Deutschen kontrollierten Gebiete zu schicken. Von Osten näherte sich die rote Armee und von Westen die amerikanischen Soldaten dem Lager Buchenwald auf dem Ettersberg in der Nähe von Weimar. Die Mitglieder des illegalen internationalen Lagerkomitees versuchten, in Verbindung mit den Kapos und den Blockältesten, möglichst viele Häftlinge vor den Todesmärschen zu schützen und im Lager zu behalten.

Mein Vater hat mir erzählt, dass die Lagerleitung der SS Pläne hatte, dass gesamte Lager zu vernichten. Hierzu waren u.a. Maschinengewehre auf den Wachtürmen installiert. Am 11. April 1945 gab deshalb die Leitung der illegalen Militärorganisation die Weisung zum Aufstand. Die Häftlinge der internationalen Militärorganisation überwältigten die letzten verbliebenen Wachmannschaften der SS und befreiten das Lager mit noch ca. 21.000 Häftlingen. Um 15.15 Uhr verkündete der Lagerälteste Hans Eiden: „Kameraden wir sind frei“.

Am 13. April 1945 wurde das Lager vom Internationalen Lagerkomitee an die 4. US-Panzerdivision übergeben.

Mein Vater erhielt von den Amerikanern den Auftrag zur Versorgung des gesamten Lagers mit Verpflegung. Das amerikanische Militär nutzte den Umstand, dass durch die Mitglieder des nunmehr legalen internationalen Lagerkomitees eine Struktur zur Verwaltung des Lagers existierte.

Das führte dazu, dass die Verpflegung des Lagers vom 1. Tag der Befreiung an gewährleistet war, wenn auch nach wie vor zu sehr geschwächte Häftlinge verstarben. Nach der Befreiung anderer Konzentrationslager wie Ravensbrück, Sachsenhausen usw. starben noch viele Häftlinge an Hunger und fehlender medizinischer Versorgung. Hier dauerte es Tage, bis eine einigermaßen stabile Versorgung möglich war. Viele Häftlinge versuchten dort deshalb, das Lager auf eigene Faust zu verlassen und sich irgendwie durchzuschlagen.

In Buchenwald wurde es über die bestehenden Strukturen des Lagerkomitees mit Unterstützung des amerikanischen Militärs geschafft, eine geordnete Räumung des Lagers zu organisieren. Hier ging es vor allem um Verpflegung, Transportmittel und Kleidung. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass durch die gezielte Zerstörung, Bombardements, fehlende Kommunikationsmittel usw. eine funktionierende Infrastruktur in Deutschland nicht vorhanden war.

Das Anerkennungs- /Empfehlungsschreiben der  amerikanischen Militärverwaltung

Ich bin immer wieder überrascht, welche Leistungen das internationale Lagerkomitee mit Walter Bartel an der Spitze in Buchenwald vollbracht hat. Es macht mich betroffen wie die Tätigkeit von  Häftlingen in sogenannten Leitungsfunktionen bewertet wird, bis hin zu der Behauptung, dass sie nur überlebt hätten, weil für sie andere sterben mussten. Leider habe ich auch hier keine Fragen an meinen Vater gestellt.

Foto mit Kurt Goldstein (2. von links), Walter Veigel (stehend ganz rechts), Erich Loch (stehend, 6. von links ) nach der Befreiung; Gruppenfoto des Arbeitskommandos Magazin – Nachlass Erich Loch

Die schrecklichen Erlebnisse während der Verfolgung und der Haft im Konzentrationslager Buchenwald hielten ihn nach seiner Rückkehr nach Essen im Juli 1945 nicht davon ab, nach der Befreiung vom Faschismus weiter in der kommunistischen Bewegung für eine Welt ohne Krieg zu kämpfen. Er arbeitete als Verlagsleiter bei der Zeitung Freies Volk, ab 1.9.1949 das Zentralorgan der KPD. Er war Vorstandsmitglied des Rheinisch-Westfälischen Zeitungsverleger-Vereins und Mitglied im beratenden Ausschuss für das Pressewesen in Düsseldorf u.a. mit Dietrich Oppenberg, Dr. Kurt Neven-Dumont, die im weiteren Verlauf Nachkriegsdeutschlands das Zeitungs- und Verlagswesen mitprägten.

Die erste Seite des Protokolls der Vorstandssitzung des Rheinisch-Westfälischen Zeitungsverleger-Vereins vom 8.11.1949 ist als Datei beigefügt)

Mit der Wende in der amerikanischen Außenpolitik und der Entstehung des „Kalten Krieges“ veränderte sich die Situation für meinen Vater: statt Zusammenarbeit folgte eine massive Ausgrenzung.

Es ist fast eine Ironie des Schicksals. 1934 wurde mein Vater angeklagt und verurteilt wegen der Vorbereitung zum Hochverrat. 1952/1953 mit 10-monatiger Untersuchungshaft und 1955 /1956 mit 5 Monaten Untersuchungshaft in Landau (Pfalz) wurde er in der Bundesrepublik wieder wegen der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Allerdings wurde er nicht verurteilt und im April 1959 freigesprochen.

Auch nach dem Verbot der KPD im Jahre 1956 ging die Überwachung meines Vaters und unserer Familie weiter. Nach meinem Betriebs- und Volkswirtschaftsstudium stellte ich einen Antrag für die Zulassung zum Referendariat als Studienrat an berufsbildenden Schulen. Das Referendariat schloss ich mit der im Januar 1975 erfolgreich bestandenen 2. Staatsprüfung zum Studienrat ab.

Der Schulleiter meiner Ausbildungsschule hatte mich bereits als vollwertige Lehrkraft im Stundenplan eingeplant. An meinem ersten Arbeitstag nach der bestandenen Prüfung trat ich meinen Dienst an der berufsbildenden Schule in Duisburg wie laut Stundenplan vorgesehen an. Meine Ernennungsurkunde lag noch nicht vor, der Schulleiter telefonierte mit dem Regierungspräsidenten in Düsseldorf und in der 1. großen Pause teilte er mir mit, dass die vorgesetzte Behörde ihm erklärt habe, dass ich nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehe und ein Verfassungsfeind sei. Er bemerkte kurz, dass er dies aus seiner Sicht überhaupt nicht nachvollziehen oder gar bestätigen könne.

Der Radikalenerlass und das Berufsverbot hatten zugeschlagen. In der Anhörung beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf, der Teilnehmer des Innenministeriums stellte sich als Dr. Spitzel vor, wurde mir unter anderem vorgehalten, dass ich Mitglied der VVN sei, dass ich an einer Maiveranstaltung der DKP teilgenommen und dass mein Auto mit der Nummer E – KP 262 (damals bekam man seine Autonummer vom Straßenverkehrsamt bei der Anmeldung zugeteilt) in der Nähe des Steeler Stadtgartens in Essen geparkt hätte. Dort habe eine Veranstaltung der DKP stattgefunden.
Da sind mir dann doch die Gedanken an die Sippenhaft der NS – Zeit gekommen.

Nach dem Tod meines Vaters besuchte mich ein Mitarbeiter  des Verfassungsschutzes aus Düsseldorf. Dies habe ich damals als „Anwerbeversuch“ interpretiert. Seit dieser Zeit sind mir und meiner Familie allerdings weitere Schwierigkeiten und Kontakte erspart geblieben.

Den Untergang der DDR 1989/90 und der Sowjetunion 1991, d.h. des real existierenden Sozialismus, führte bei mir dazu, eine „Auszeit“ von der politischen Arbeit zu nehmen, meine Gedanken neu zu ordnen und mich auf meine Familie zu konzentrieren. Doch die Familiengeschichte meines Vaters und seiner Buchenwaldkameraden hat mich nie losgelassen. Der Besuch der Gedenkveranstaltungen zum Befreiungstag des KZ Buchenwald im April eines jeden Jahres, meist initiiert und unterstützt von meiner Mutter Irma, war für mich und meine Familie Verpflichtung.

Gerade die Entwicklung in den letzten Jahren, geduldete Aufmärsche von Neo- und Altnazis, einer AfD im Bundestag und allen Landtagen, die Lösung von Konflikten durch Waffenproduktion und damit Krieg, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat mich veranlasst, wieder in der VVN/BdA, den Kindern des Widerstandes und der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald/Dora aktiv zu sein.

Der Schwur von Buchenwald, den die befreiten Häftlinge am 19. April 1945 schworen ist aktueller den je.

Auszugsweise:
„wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“

Jetzt wird sogar versucht, Menschen, die sich für den Schwur von Buchenwald einsetzen, zu Verfassungsfeinden zu erklären und wie Silvia Gingold vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Ich wünsche mir, dass viele Menschen wachsam sind, sich einmischen und für eine gerechte Welt ohne Krieg eintreten. Mein Vater und seine Mitstreiter haben dafür sogar ihr Leben riskiert. Wir in der Bundesrepublik Deutschland können dies im Moment noch tun, ohne Angst um Leib und Leben zu haben. Es wäre tragisch, wenn wir erst wieder unter lebensbedrohlichen Umständen lernen müssten, über alle ideologischen Grenzen hinweg solidarisch zu sein und Widerstand zu leisten.

Präsident des IKBD Naftali Fürst zum Holocaust-Gedenken 2024 im Thüringer Landtag

27. Januar 2024

Im Thüringer Landtag wurde am Vormittag des 26.01.2024 der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.
Im Mittelpunkt des Gedenkens steht in diesem Jahr die Zwangsarbeit. Neben den Abgeordneten erinnerten Schülerinnen und Schüler sowie Gäste aus Frankreich und Israel an die Millionen Opfer des Nazi-Regimes. Unter den Gästen und Rednern war auch der Holocaust-Überlebende und Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora: Naftali Fürst.

Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung im Thüringer Landtag fand eine Kranzniederlegung in der Gedenkstätte Mittel-Dora statt.

https://www.mdr.de/mdr-thueringen/audio-gedenken-naftali-fuerst-zeitzeuge-ns-kz-100.html

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/weimar/video-naftali-fuerst-kz-nationalsozialismus-ueberlebender-buchenwald-100.html

Pressemitteilung zur geplanten Verhinderung der Straßenbennenung nach Kurt Goldstein

5. Dezember 2023

Zur geplanten Verhinderung der Straßenbenennung nach Kurt Goldstein betonte in Berlin Christoph Heubner, der Exekutiv Vizepräsident des Int. Auschwitz Komitees:

„Im Gegensatz zu vielen anderen an der Diskussion beteiligten, haben wir Kurt Goldstein gekannt – mit all seinen Lebensbrüchen, Lebensschmerzen und Lebenshoffnungen. Kurt Goldstein war ein Kommunist, der seine Heimat sein ganzes Leben lang intensiv geliebt hat und immer und überall von den Prägungen erzählt hat, die er in seiner Kindheit und Jugend in und um Scharnhorst erfahren hat – und dazu gehörte auch die schon sehr frühe Diffamierung als „Judenbengel“ und nicht dazugehöriger „Bastard“.
Kurt Goldstein hat sich davon nie irre machen lassen: Sein Bekenntnis „Deutscher, Jude, Kommunist“ wird ihm auch heute kein AfD Repräsentant abspenstig machen können, der aus der tief braunen Ecke der AfD heraus die CDU ins Boot zu holen versucht, um die Straßenbenennung zu verhindern. Kurt Goldstein war in der DDR, in die er 1951 ging, um politischer Verfolgung in der BRD zu entgehen (damals wurden Kommunisten eingesperrt), kein Denunziant, aber immer von der Überzeugung geprägt, dass dieser sozialistische deutsche Staat die bessere Alternative ist. Der Zusammenbruch der DDR auf Grund des Spitzelsystems und der Abkehr der eigenen Bevölkerung, das war im hohen Alter seine tiefe selbstkritische Lebenskrise, an der er selbst fast zerbrochen wäre: Immer wieder hat er nach eigenen Fehlern beim Anteil dieses Zusammenbruchs gesucht und sein quälendes Nachdenken hierüber in Gesprächen mit jungen Menschen öffentlich gemacht. Aber er blieb auch in jenen Monaten ein treuer Freund der Auschwitz Überlebenden in aller Welt, der sich jenseits aller ideologischen Differenzen für ihre Entschädigung und ihr Wohlergehen einsetzte. Und so war er doch eigentlich ein Deutscher Patriot, ein Weltbürger und ein Europäer, der die Schrecken und Mordstätten seiner Zeit am eigenen jüdischen Leib erfahren hatte. Vielen hat er in Auschwitz geholfen, als „helfen“ immer mit Lebensgefahr verbunden war: Ein Mensch mit einem moralischen Kompass, einem Kompass, der nicht von der Religion sondern von der Erziehung durch seine Mutter und seiner kommunistischen Grundüberzeugung geprägt war. Es wäre Kurt Goldstein ein Greul, mit Stimmen der AfD zum Träger einer Straße ausgewählt zu werden, aber auf den Anstand und die Solidarität der Demokratinnen und Demokraten in dieser Frage hätte er gehofft. Kurt Goldstein hat mit seinem politischen Wirken und seiner menschlichen Haltung Deutschland ein großes Stück Würde zurückgegeben.“

Pressemitteilung des Internationalen Auschwitz Komitees zur Vertagung der Straßenbenennung nach Kurt Goldstein in der Bezirksvertretung Dortmund-ScharnhorstPressemitteilung des

15. November 2023

Mit Mehrheit beschloss vor wenigen Tagen nach der Intervention eines AfD-Abgeordneten und des Antrages eines CDU-Abgeordneten die Bezirksvertretung Dortmund Scharnhorst, die beabsichtige Benennung einer Straße nach dem 1914 in Scharnhorst geborenen Widerstandskämpfer und Ehrenpräsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees Kurt Goldstein zu vertagen und das politische und persönliche Leben Goldsteins und insbesondere sein Wirken in der DDR einer Überprüfung zu unterziehen.
Hierzu betonte in Berlin Christoph Heubner, der Exekutiv Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees: „Von einem Vertreter der AfD denunziert zu werden ist für jeden Demokraten eine Ehre: Kurt Goldstein hätte es gegraust, mit den Stimmen der AfD auf einem Straßenschild seiner heimatlichen Welt zu landen, die er nie vergessen hat und von deren Geschichte er in vielen Berichten als Zeitzeuge immer wieder erzählte. Kurt Goldstein wurde von Auschwitz-Überlebenden in vielen Ländern hoch geachtet, weil er jenseits von unterschiedlichen politischen Einstellungen immer der Auffassung war, dass es eine gemeinsame Aufgaben aller Demokratinnen und Demokraten sei, Rechtsextremen und neuen Nazis nie mehr die Straßen und die Köpfe der Menschen zu überlassen. Dafür hat er fast bis zum letzten Tag seines Lebens gearbeitet. Das sollte auch die Bezirksvertretung in Dortmund Scharnhorst verstehen.“

Pressemitteilung des Internationalen Auschwitz Komittee am 03. November 2023

Pressemitteilung im nd „Keine Straße für Kurt Goldstein in Dortmund?“ vom 02. November 2023

Pressemitteilung in den Ruhr Nachrichten „Straße sollte nach Nazi-Verfolgtem benannt werden Bezirksvertretung Scharnhorst tut sich schwer“ vom 01. November 2023

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