Gedanken zum Schwur von Buchenwald

20. Februar 2018

Seit einiger Zeit ist festzustellen, dass der Schwur von Buchenwald unerträglichen Angriffen ausgesetzt ist. Zugleich werden Versuche unternommen, ihn zu verfälschen und zu interpretieren.

Ich habe darauf anlässlich meiner Ernennung zum Kommandeur der Ehrenlegion Frankreichs im Januar 2017 und auf der Gedenkkundgebung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos im April 2017 auf dem ehemaligen Appellplatz in Buchenwald hingewiesen. Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass die »Deklaration« der befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald vom 19. April 1945 unter den komplizierten Bedingungen des Lagers entstand, die Zustimmung aller am Internationalen Lagerkomitee beteiligten Nationen erhielt und ein von 21.000 Überlebenden beschworenes historisches Dokument wurde, das keiner Deutung bedarf.

Jegliche Diskreditierung dieses Schwurs ist eine einundzwanzigtausendfache Beleidigung der Überlebenden und zugleich eine Schändung der 56.000 Opfer von Buchenwald. Die »Deklaration« ist als Schwur von Buchenwald in die Geschichte eingegangen und sehr viele, die von den deutschen Faschisten in Gefängnissen, Zuchthäusern, Konzentrationslagern gemartert wurden, die Zwangsarbeit leisten, die emigrieren mussten, die der Verfolgung ausgesetzt waren, die in Spanien oder in den alliierten Streitkräften gegen die Nazis gekämpft hatten, machten sich die Grundaussagen dieses Schwurs zu eigen und sie lebten dafür, dass er eines Tages Wirklichkeit werde. Der Schwur wurde zum Fanal des Neuanfangs und wirkte auf nachfolgende Generationen.

Die von hoher politischer Verantwortung getragene Aussage, dass der Kampf erst einzustellen sei, wenn »auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht«, dass »die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln unsere Losung (ist)« und der » Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit (…) unser Ziel« ist so beschworen worden. Das befreite Aufatmen nach zwölf bitteren Jahren Faschismus war alternativlos und es gibt bis heute nichts Vernünftigeres als eine Welt ohne Faschismus und Krieg. Da weder der Faschismus vernichtet, noch der Frieden gesichert ist, besitzt der Schwur höchste Aktualität.

Deshalb haben wir Überlebende im April 2017 in Buchenwald unser Vermächtnis in die Hände nachfolgender Generationen gegeben und wir sind überzeugt, dass das Richtige getan wird, um die Gedanken des Schwurs Wirklichkeit werden zu lassen. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass der zu gehende Weg steinig ist. Mit der Zuversicht, dass Vernunft sich durchsetzen wird, lohnt es sich, diesen Weg zu gehen.

Jenen, die heute in bequemen Sesseln an hessischen Verfassungschutzschreibtischen Steuergelder vergeuden und es unternehmen, pseudowissenschaftlich zu begründen, dass der Schwur von Buchenwald »kommunistische Faschismustheorie« stütze und damit die Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung in Frage stelle, sei ins Stammbuch geschrieben:

Sie sind folgsame Schüler ihrer Lehrer geworden, jener, die uns einsperrten und folterten. Nach unserer Befreiung taten sie eine Zeit lang, als hätten sie von nichts gewusst. Nachdem sie sich unter den Schwingen des Bundesadlers sicher fühlten, bekleideten sie wieder ihre Ämter. Das blinde rechte Auge blieb blind und im Kalten Bürgerkrieg1 lebten sie auf.

In seiner ersten Regierungserklärung erklärte Bundeskanzler Adenauer, die Bundesregierung sei entschlossen, »dort, wo es ihr vertretbar erscheint, Vergangenes vergangen sein zu lassen, in der Überzeugung, dass Viele für subjektiv nicht schwerwiegende Schuld gebüßt haben.«2

»Die Arme zur Integration ehemaliger NSDAP-Mitglieder, NS-Eliten und NS-Täter wurden weit geöffnet.«3

Während Adenauer im Februar 1946 an einen katholischen Geistlichen in Bonn schrieb:

»Nach meiner Meinung trägt das deutsche Volk und tragen auch die Bischöfe und der Klerus eine große Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern«4 sagte er in der Bundestagdebatte im Oktober 1952:

»Wir sollten jetzt mit der Naziriecherei einmal Schluss machen, denn, verlassen Sie sich darauf, wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört.«5

Bereitwillig wurde dem Gedanken gefolgt, es kam zu umfangreichen Revisionen in Kriegsverbrecherprozessen, Ämter und Würden wurden wieder hergestellt, nichts ging verloren.

Daran muss erinnert werden, genau so wie an den von Anfang an verfassungswidrigen KPD-Prozess, »dessen (…) Ziel es war, die KPD und mit ihr alle Kommunisten und solche, die dafür gehalten wurden, ein für alle Mal aus dem öffentlichen Leben Westdeutschlands zu verbannen.«6

Heute reiben sich manche die Augen über Anmaßungen der AfD in den Landesparlamenten und im Bundestag. Geflissentlich übersehen wird, dass die Führenden bereits in der CDU dienten. Gaulands Gaunerstück als Staatssekretär und Chef der hessischen Staatskanzlei ist doch nicht vergessen.7

Seit 1964 gibt es in der Bundesrepublik Deutschland eine mit Steuergeldern finanzierte neofaschistische und, gerichtsnotorisch festgestellt, verfassungsfeindliche NPD, die zu verbieten und ihr die Legalität zu nehmen politisch nicht gewollt ist. Inzwischen sind funktionierende Ersatzorganisationen entstanden wie die Identitären. Sie sind ungehindert die Fußtruppen der AfD geworden. Ein Nationalsozialistischer Untergrund konnte sieben Jahre unerkannt morden. Eine gefährliche, zum Teil bewaffnete so genannte Reichsbürgerbewegung wird seit Jahren geduldet.

Hass, Aufrufe zu Gewalt wabern im Internet

Juden, vermeintliche Ausländer und andere zum Feindbild zu erklären, Muslime als »abstoßendes, hinterhältiges Menschenmaterial«, Migranten als »Ungeziefer« zu bezeichnen, bleibt nahezu folgenlos.8

Was ich hier nur andeutungsweise erwähne, scheint mir ertragreiches Betätigungsfeld für Verfassungsschützer.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass zumindest neue Fragwürdigkeiten während der zu erwartenden Regierungszeit der Großen Koalition erheblich zunehmen werden.

Wir haben uns darauf einzustellen, dass wir unsere antifaschistischen Positionen sachlich und konsequent verteidigen müssen.

Die Angriffe auf den Schwur von Buchenwald nehmen wir nicht hin, von niemandem!

Diese nationale Schande ist in hohem Grade unwürdig. Das zu benennen, bleibt unsere Pflicht – auch gegenüber den noch Lebenden anderer Nationen und ihnen Nachfolgenden.

Günter Pappenheim Februar 2018

1Vgl. Josef Foschepoth: Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg. Göttingen, 2017.

2Zitiert nach Foschepoth, a.a.O. S. 15.

3Zitiert nach Foschepoth, a.a.O. S.16.

4Zitiert nach: wikipedia.org/wiki/Konrad_Adenauer. Abfrage G.H. 10. Februar 2018.

5Zitiert nach: wikipedia a.a.O.

6Zitiert nach Foschepoth, a.a.O. S.228.

7Vgl.wikipedia.org/wiki/Alexander_Gauland. Abfrage G.H.10. Februar 2018.

8Vgl. Sebastian Lipp: »Traum von >völkischer Mafia<«, in: junge Welt, 10. Februar 2018.