Ansprache von Romani Rose anlässlich der Gedenkfeier in der Gedenkstätte Buchenwald am 11. April 2008

17. April 2008

Sehr geehrter Herr Minister Goebel,

sehr geehrter Herr Prof. Knigge,

sehr geehrter Herr Graumann,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

ganz besonders herzlich begrüße ich die ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald, die unter uns sind.

Wir gedenken am heutigen Befreiungstag all jener Menschen, die der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer fielen: weil sie Sinti, Roma, Juden oder Schwarze waren, weil sie behindert oder krank waren, weil sie eine andere politische oder religiöse Überzeugung vertraten, weil sie sich zur ihrer Homosexualität bekannten oder weil sie sich in den besetzten Staaten Europas gegen den nationalsozialistischen Terror zur Wehr setzten. All diese Menschen verbindet das erlittene Unrecht, und ihr gemeinsames Vermächtnis gilt es auch künftig zu bewahren.

Der Name des Konzentrationslagers Buchenwald ist zu einem Symbol geworden auch für den systematischen Völkermord an 500.000 Angehörigen unserer Minderheit im national-sozialistisch besetzten Europa.

Das ehemalige Lagergelände ist für uns Sinti und Roma in erster Linie ein riesiger Friedhof. Die wenigen Überlebenden sind bis heute gefangen in qualvollen Erinnerungen, die sich unauslöschlich in das Gedächtnis eingegraben haben – eine Wunde, die niemals wirklich heilen kann. Und auch das Bewusstsein und die Identität unserer künftigen Generationen wird geprägt sein von jenem schrecklichsten Verbrechen, das die Geschichte der Menschheit kennt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir erleben derzeit eine intensive gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der deutschen Erinnerungspolitik. Die notwendige Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus darf nicht dazu führen, dass die historische Einmaligkeit des Holocaust an den Sinti und Roma sowie an den Juden relativiert wird. Formulierungen wie jene von den „beiden deutschen Diktaturen“ verwischen die fundamentalen Unterschiede zwischen dem rassenideologischen Vernichtungskrieg im nationalsozialistischen besetzten Europa, der im deutschen Namen begangen wurde und dem Millionen unschuldiger Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fielen, und dem Unrecht nach 1945.

Ich teile ausdrücklich die Position der „Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten“ und ihrem Sprecher Prof. Knigge, dass die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen und der Erhalt der historischen Orte, also der KZ-Gedenkstätten, weiterhin im Zentrum bundesdeutscher Erinnerungspolitik stehen muss.

Das System der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager, das weite Teil Europas umspannte, markiert einen Zivilisationsbruch, der sich allen historischen Vergleichen entzieht. Die Verantwortung, die unserem Land aus der historischen Erfahrung des Holocaust zuwächst, ist fundamentaler Bestandteil unserer politischen Kultur und unseres nationalen Selbstverständnisses.

Ich habe dreizehn meiner Angehörigen in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern verloren, darunter meinen Großvater und meine Großmutter. Viele Sinti aus der Generation meiner Großeltern waren deutsche Patrioten, sie trugen voller Stolz ihre Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Ebenso wenig wie die deutschen Juden bewahrte sie dies davor, von selbst ernannten „Herrenmenschen“ entrechtet, gettoisiert und schließlich in eigens errichteten Todesfabriken deportiert zu werden.

Sinti und Roma sowie Juden wurde vom NS-Staat nur aufgrund ihrer Abstammung in ihrer Gesamtheit das bloße Menschsein abgesprochen. An ihrer systematischen Ermordung war nahezu der gesamte Staatsapparat beteiligt, ebenso die wissenschaftlichen Eliten des damaligen „Dritten Reiches“.

An dieses beispiellose Verbrechen zu erinnern hat nichts mit dem Beharren auf einer spezifisch deutschen Schuld zu tun. Vielmehr geht es um unsere gemeinsame Verpflichtung, diesen Abgrund von Unmenschlichkeit niemals wieder zuzulassen. Es ist gerade diese historisch begründete Verantwortung, die einen elementaren Bestandteil unserer nationalen Identität ausmacht.

Wir haben allen Grund, auf die Errungenschaften unserer Demokratie und unserer Zivilgesellschaft stolz zu sein, und diese Werte selbstbewusst zu verteidigen. Dies gilt nicht zuletzt für die friedliche Revolution von 1989, mit der die Bürger der DDR ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung erkämpft haben.

Dennoch können wir nicht die Augen davor verschließen, dass unsere Demokratie durch die Ausbreitung rechten Gedankenguts und die dramatische Zunahme rechtsradikaler Gewalttaten, die sich auch gegen Angehörige unserer Minderheit richten, zunehmend gefährdet ist.

Unser besonderes Augenmerk muss der schleichenden, jenseits der öffentlichen Wahrnehmung erfolgenden Aushöhlung unserer demokratischen Kultur durch Rechtsradikale, Neonazis und deren intellektuellen Vordenker gelten, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Staatsapparat gezielt zu unterwandern und schrittweise öffentliche Positionen zu besetzten.

Mit der grenzüberschreitenden und unkontrollierten Ausbreitung rassistischen Gedankenguts über das Internet ist eine völlig neue Form der Bedrohung gerade der jungen Generation entstanden. Es ist unerträglich, wenn in einschlägigen Internetforen – unter Rückgriff auf die menschenverachtende Nazi-Diktion – die (ich zitiere) „Sonderbehandlung der Zigeuner“ gefordert wird, ohne das die zumeist im Ausland ansässigen Betreiberfirmen zur Verantwortung gezogen werden können. Längst hat sich das Internet zum wichtigsten Medium rassistischer und neonazistischer Hetze entwickelt. Die Politik ist gefordert, wirksame Instrumente gegen diese Form geistiger Brandstiftung zu entwickeln.

Darüber hinaus ist es wichtig, die sich herausbildenden lokalen Netzwerke, die sich gegen den dumpfen Rassismus von Rechts engagieren, auch staatlicherseits zu unterstützen.

Die schwierige Lage der öffentlichen Kassen darf nicht dazu führen, dass dieser fundamentalen gesellschaftspolitischen Aufgabe die materielle Grundlage entzogen wird.

Bei der Entwicklung langfristiger Strategien gegen die rechte Bedrohung spielt historische Aufklärung eine Schlüsselrolle. Das Erinnern an die nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen muss zentraler Bestandteil schulischer wie außerschulischer Bildungsarbeit sein. Gedenken an die Opfer des Holocaust bedeutet immer auch, gegenüber heutigen Formen von Diskriminierung sensibel zu sein.

Wir müssen jungen Menschen vermitteln und vorleben, dass Demokratie und Menschlichkeit nicht selbstverständlich sind, sondern dass es Menschen bedarf, die engagiert für diese Werte eintreten. In einer Zeit, in der ökonomische Gesichtspunkte und Zwänge immer mehr Lebensbereiche durchdringen, ist es umso wichtiger, grundlegende Werte der Solidarität und Mitmenschlichkeit glaubhaft zu vermitteln, damit Menschenverachtung und Rassismus in unserer Gesellschaft künftig keine Chance mehr haben.

Ich danke Ihnen.