Erich Loch – Angeklagt wegen Vorbereitung zum Hochverrat – bei den Nazis und in der BRD, Reinhold Loch über seinen Vater
Am 26. August 1947 wurde ich als Sohn von Irma (geb. 28.11.1922) und Erich Loch (geb. 12.9.1910) in Essen – Stoppenberg geboren. Dort lebten wir bei den Eltern meiner Mutter, bis wir eine 2-Zimmer-Dachgeschosswohnung in der Geitlingstraße in Essen fanden.
Am 17. Dezember 1952 erlebte ich als Fünfjähriger das erste Mal bewusst, dass mein Vater polizeilich überwacht wurde. Vor unserer Wohnungstür standen zwei Männer mit langen Mänteln und großen Hüten. Sie hatten nicht an der Haustür geklingelt, sondern sich über das Klingeln bei einer Nachbarin Zutritt zum Haus verschafft.
Es waren zwei Mitarbeiter der politischen Polizei, die meinen Vater kurz vor Weihnachten mitnahmen und ins Gefängnis am Haumannplatz in Essen brachten. Dort waren Besuche von Kindern nicht erlaubt, so dass ich meinen Vater 10 Monate nicht sehen durfte. Mein einziger Kontakt blieb ein Arm mit einem weißen Tuch, der mir und meiner Mutter aus dem vergitterten Zellenfenster an einem verabredeten Tag und zu einer verabredeten Uhrzeit zuwinkte.
Jetzt verstand ich, ein Erlebnis aus dem Mai 1952 richtig einzuordnen. Mein Vater fuhr mit mir im Auto über die Rüttenscheider Straße nach Hause. An der Rüttenscheider Brücke konnten wir auf die Alfredstraße sehen und beobachten, wie uniformierte Polizisten mit Schlagstöcken und viel Gebrüll auf Menschen einknüppelten und versuchten, diese auf bereitstehende LKWs zu prügeln. Wir bogen links ab in Richtung Krupp Krankenhaus und trafen auf zwei junge Männer. Der Eine trug seinen Freund auf dem Rücken, weil der einen glatten Fußdurchschuss aus einer Polizeipistole hatte. Mein Vater ließ beide einsteigen, setzte mich bei meiner Mutter ab, und brachte den Verletzten und seinen Freund zu Doris Maase, einer Ärztin in Düsseldorf. Später habe ich dann erfahren, dass Doris Maase die Haft im Konzentrationslager Ravensbrück überlebt hat und nach der Befreiung aktiv für die KPD in Düsseldorf gearbeitet hat.
Mein Vater bewahrte die beiden jungen Männer vor der Verhaftung, denn sie waren Teilnehmer an der großen Demonstration am 11. Mai 1952 gegen die bundesdeutsche Wiederbewaffnung auf der Philipp Müller – ein kommunistischer Arbeiter – erschossen wurde.
Jetzt hatte ich mehr gefühlt als begriffen, dass mein Vater und meine Mutter ein sehr politisches Leben führten und ich versuchte danach, dies zu verstehen und nachzuvollziehen.
Erst als Jugendlicher begann ich richtig zu begreifen, was insbesondere mein Vater für einen Lebens- und Leidensweg hinter sich hatte und für welche Ziele er mit aller Kraft jeden Tag arbeitete.
Der Lebensweg meines Vaters – des kommunistischen Widerstandskämpfers Erich Loch – bleibt immer in meiner Erinnerung und prägt bis heute auch meine politische Haltung.
Geboren am 12.9.1910 in einer Bergmannsfamilie mit 7 Kindern in Essen. Achtjährige Volksschule, kaufmännische Lehre bei den Kellermann-Werken in Essen – Katernberg und bis Mitte 1929 kaufmännischer Mitarbeiter, danach bis März 1933 Expedient bei den Stickstoff-Werken in Castrop-Rauxel.
Ab September 1931 Mitglied der KPD, des Kampfbundes gegen den Faschismus und des RFB (Rot Frontkämpfer Bund)[2]. Beginn der Arbeit für die kommunistische Bewegung.
Erste Verhaftung in der Nacht des Reichstagsbrandes am 27./28. Februar 1933 beim Kleben von Wahlplakaten für die 5. März Wahl. Nach der Freilassung sollte auf der Arbeitsstelle seine erneute Verhaftung erfolgen. Arbeitskollegen warnten ihn, so dass er nach Haarlem in Holland emigrieren konnte. Dort war er zuständig für die Anfertigung von Flugblättern und Zeitungen.
Bei der Übergabe von illegalem Material erfolgte die Verhaftung im März 1934 in Aachen und im Dezember 1934 die Verurteilung zu 4 ½ Jahren Zuchthaus vom 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat.
März 1934 bis Dezember 1934 Gefängnis Aachen
Dezember 1934 bis Oktober 1935 Zuchthaus Münster
Oktober 1935 bis Januar 1936 Zuchthauslager Neu-Sustrum
Januar 1936 bis März 1936 Zuchthauslager Aschendorf
März 1936 bis September 1938 Zuchthaus Freiendiez
September 1938 bis zur Selbstbefreiung am 11.4.1945 Konzentrationslager Buchenwald
Im Lager Buchenwald war mein Vater Mitglied der illegalen internationalen Lagerorganisationen. Diese Organisationen (ILK internationales Lagerkomitee und IMO internationale Militärorganisation) wurde auf Initiative von überwiegend kommunistischen Häftlingen gebildet, auch mit dem Ziel, Funktionsstellen, die von den SS-Wachmannschaften an Häftlinge übergeben wurden, zu bekommen. Diese Kapo-Funktionen, z.B. im Lazarett, im Lebensmittelmagazin, in der Effektenkammer, in der Apotheke, in der Elektrowerkstatt usw. wurden dazu genutzt, um im Rahmen einer begrenzten Selbstverwaltung, das Leben der Häftlinge im Lager erträglicher zu machen und einen, wenn auch kleinen, Handlungsspielraum zu gewinnen.
Auszug aus dem Lebenslauf von Erich Loch, 15.02.1946
Ein großer Teil der Häftlinge musste in den Rüstungsfabriken der Gustloff – Werke in Weimar und später auch in unmittelbarer Nähe zum Lager arbeiten. Dies eröffnete die Möglichkeit, Einzelteile von Pistolen, Gewehren, Handgranaten und Munition ins Lager zu schmuggeln. Bei Entdeckung bedeutete das immer den sicheren Tod. Wie so viele Widerstandskämpfer hat auch mein Vater nicht über seine schrecklichen Erlebnisse erzählt und ich habe auch nicht gefragt. In den fünfziger und sechziger Jahren habe ich viele Buchenwaldkameraden meines Vaters persönlich kennengelernt. Sie waren sich immer noch sehr freundschaftlich verbunden und halfen sich gegenseitig, wo und wann immer es möglich war. Die Freundschaft zwischen meinem Vater und Reinhold Lochmann (Häftlings-Nr. 2455) muss so intensiv gewesen sein, dass ich den Vornamen Reinhold erhielt. Ich bin stolz darauf und freue mich, dass sich der gute Kontakt zu seiner Tochter Gisela über die Jahre erhalten hat und wir gemeinsam in der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald/Dora e.V. im Sinne unserer Väter politisch arbeiten.
Viele waren Mitglieder des illegalen internationalen Lagerkomitees (ILK) und der internationalen Militärorganisation (IMO) gewesen. Alle waren geprägt durch die Erfahrungen in ihrer Jugend, die durch soziale Umbrüche, soziale Ungerechtigkeit und große Not, auch im ganz persönlichen Umfeld gekennzeichnet war. Alle hatten sich durch die Erklärungen der aktuellen Situation und durch die Entwicklung von Perspektiven von der kommunistischen Lehre angesprochen gefühlt. Sie haben sich mit der Theorie auseinandergesetzt, haben eine Überzeugung entwickelt, für die sie politisch eingetreten sind. Dies war in der Endphase der Weimarer Republik und in der Nazidiktatur eine mutige, lebensbedrohliche Entscheidung. Alle sind lange inhaftiert gewesen, teilweise von 1933 bis zur Selbstbefreiung des Lagers am 11.04.1945.
Jedes Mal, wenn ich in Buchenwald war, habe ich mir die Frage gestellt: Wie haben die Häftlinge diese unmenschlichen Lebensumstände ausgehalten? Was hat ihnen Kraft und Stärke gegeben?
An Normen und Grundwerten festhalten, sich verantwortlich fühlen, Verantwortung leben, helfen, zusammenhalten, Kameradschaft, Freundschaft und Disziplin bewahren, leiden und kämpfen für eine gerechte Sache, eine bessere Zukunft, eine friedliche Welt, sich Gefühle leisten und die Würde wahren – dafür steht der Einsatz der Häftlinge, in der illegalen Lagerorganisation, im Widerstand unter täglicher Lebensgefahr.
Selbst eingesperrt waren sie Handelnde und haben sich durch die Bildung und Aufrechterhaltung einer Organisation und durch Disziplin einen, wenn auch häufig nur kleinen Handlungsspielraum geschaffen und erhalten. Ihre Gesinnung schützte sie vor Demoralisierung.
Immer wenn sie sich trafen, ging es um die positiven Erlebnisse während ihrer Gefangenschaft, um Solidarität und gegenseitige Hilfe.
Hier ein Beispiel aus dem Buch von Theo Gaudig (Häftlings-Nr. 7/2073) Das 20. Jahrhundert der Gaudigs, S. 101, Klartext Verlag Essen:
„… Darin befand sich eine Küche und auch der Lagerraum der Apotheke. Dort musste ich nun auch sauber machen, alle Pötte raus, um dahinter zu fegen. Da stoße ich dann auf so Pötte, da war eine komische Masse drin, sah etwa aus wie dicke Marmelade oder irgendein Fruchtextrakt. Als ich fertig war, fragte ich: Was habt ihr denn dahinten für Marmelade stehen? Die vergammelt ja. Hast du denn mal probiert? Probiere die Marmelade mal! Ich gehe also hin und probiere es: War das sauer! So sauer, das kann man sich gar nicht vorstellen, dass es so etwas Saures überhaupt gibt! Es kam dann raus, dass es Zitronenmark war. Man wusste nicht, was man damit machen soll. Doch einer sagte: „Mensch, du bringst mich auf einen Gedanken“. Es vergingen ein paar Tage, dann hieß es auf einmal: „Da draußen ist ein Sack, den sollst du reinholen.“ „Ja, was ist das denn?“ „Das ist Zucker.“
Es war tatsächlich ein halber Zentner Zucker. „Ja, wo kommt denn so viel Zucker her? Und wieso kann man den so einfach über die Straße transportieren und keiner fällt drüber her, obwohl alle halb verhungert sind?“
Ich habe es nicht begriffen. Es verriet mir auch keiner. Jedenfalls war der Zucker für das Zitronenmark bestimmt. Ich sollte das Mark versüßen, ein wenig Wasser dazu tun und dann sollten die operierten Häftlinge etwas Saures bekommen, das aber noch genießbar war.
Ich fragte mich immer wieder, wo ein halber Zentner Zucker in einem so ausgehungerten Loch, wie es Buchenwald war, herkam. Später kam ich dahinter: Es gab einen Kameraden, ein Essener, der Erich Loch hieß. Dieser Erich Loch war eigentlich der „Ernährungsminister“ Buchenwalds. Nicht nur für die Häftlinge, sondern auch für die SS-Kasernen. Er hatte einen ganzen Stab, er war natürlich der entsprechende Organisator, der es auch konnte. Er hatte natürlich eine SS-Aufsicht, die aber wenig Ahnung hatte. Der Häftling machte es. Diesen Erich Loch habe ich dann später mal gefragt: „Mensch, der halbe Zentner Zucker geht mir nicht aus dem Kopf.“ „Ja“, sagte er, „ ganz einfach. Jeder SS-Mann hatte ein Recht auf 25 Gramm Zucker pro Tag.“ Ich habe ihm aber nur 23 Gramm Zucker gegeben. Jetzt kannst du ausrechnen wie viel Gramm Zucker bei 8.000 SS-Leuten dann auf einmal da waren. Das war der Zucker, den ich euch dann in die Krankenbaracke gebracht habe. ……..„
Anfang April 1945 befanden sich noch über 50.000 Häftlinge im Lager. Jeden Tag versuchte die SS möglichst viele Häftlinge auf die Todesmärsche in Richtung der noch von Deutschen kontrollierten Gebiete zu schicken. Von Osten näherte sich die rote Armee und von Westen die amerikanischen Soldaten dem Lager Buchenwald auf dem Ettersberg in der Nähe von Weimar. Die Mitglieder des illegalen internationalen Lagerkomitees versuchten, in Verbindung mit den Kapos und den Blockältesten, möglichst viele Häftlinge vor den Todesmärschen zu schützen und im Lager zu behalten.
Mein Vater hat mir erzählt, dass die Lagerleitung der SS Pläne hatte, dass gesamte Lager zu vernichten. Hierzu waren u.a. Maschinengewehre auf den Wachtürmen installiert. Am 11. April 1945 gab deshalb die Leitung der illegalen Militärorganisation die Weisung zum Aufstand. Die Häftlinge der internationalen Militärorganisation überwältigten die letzten verbliebenen Wachmannschaften der SS und befreiten das Lager mit noch ca. 21.000 Häftlingen. Um 15.15 Uhr verkündete der Lagerälteste Hans Eiden: „Kameraden wir sind frei“.
Am 13. April 1945 wurde das Lager vom Internationalen Lagerkomitee an die 4. US-Panzerdivision übergeben.
Mein Vater erhielt von den Amerikanern den Auftrag zur Versorgung des gesamten Lagers mit Verpflegung. Das amerikanische Militär nutzte den Umstand, dass durch die Mitglieder des nunmehr legalen internationalen Lagerkomitees eine Struktur zur Verwaltung des Lagers existierte.
Das führte dazu, dass die Verpflegung des Lagers vom 1. Tag der Befreiung an gewährleistet war, wenn auch nach wie vor zu sehr geschwächte Häftlinge verstarben. Nach der Befreiung anderer Konzentrationslager wie Ravensbrück, Sachsenhausen usw. starben noch viele Häftlinge an Hunger und fehlender medizinischer Versorgung. Hier dauerte es Tage, bis eine einigermaßen stabile Versorgung möglich war. Viele Häftlinge versuchten dort deshalb, das Lager auf eigene Faust zu verlassen und sich irgendwie durchzuschlagen.
In Buchenwald wurde es über die bestehenden Strukturen des Lagerkomitees mit Unterstützung des amerikanischen Militärs geschafft, eine geordnete Räumung des Lagers zu organisieren. Hier ging es vor allem um Verpflegung, Transportmittel und Kleidung. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass durch die gezielte Zerstörung, Bombardements, fehlende Kommunikationsmittel usw. eine funktionierende Infrastruktur in Deutschland nicht vorhanden war.
Das Anerkennungs- /Empfehlungsschreiben der amerikanischen Militärverwaltung
Ich bin immer wieder überrascht, welche Leistungen das internationale Lagerkomitee mit Walter Bartel an der Spitze in Buchenwald vollbracht hat. Es macht mich betroffen wie die Tätigkeit von Häftlingen in sogenannten Leitungsfunktionen bewertet wird, bis hin zu der Behauptung, dass sie nur überlebt hätten, weil für sie andere sterben mussten. Leider habe ich auch hier keine Fragen an meinen Vater gestellt.
Foto mit Kurt Goldstein (2. von links), Walter Veigel (stehend ganz rechts), Erich Loch (stehend, 6. von links ) nach der Befreiung; Gruppenfoto des Arbeitskommandos Magazin – Nachlass Erich Loch
Die schrecklichen Erlebnisse während der Verfolgung und der Haft im Konzentrationslager Buchenwald hielten ihn nach seiner Rückkehr nach Essen im Juli 1945 nicht davon ab, nach der Befreiung vom Faschismus weiter in der kommunistischen Bewegung für eine Welt ohne Krieg zu kämpfen. Er arbeitete als Verlagsleiter bei der Zeitung Freies Volk, ab 1.9.1949 das Zentralorgan der KPD. Er war Vorstandsmitglied des Rheinisch-Westfälischen Zeitungsverleger-Vereins und Mitglied im beratenden Ausschuss für das Pressewesen in Düsseldorf u.a. mit Dietrich Oppenberg, Dr. Kurt Neven-Dumont, die im weiteren Verlauf Nachkriegsdeutschlands das Zeitungs- und Verlagswesen mitprägten.
Die erste Seite des Protokolls der Vorstandssitzung des Rheinisch-Westfälischen Zeitungsverleger-Vereins vom 8.11.1949 ist als Datei beigefügt)
Mit der Wende in der amerikanischen Außenpolitik und der Entstehung des „Kalten Krieges“ veränderte sich die Situation für meinen Vater: statt Zusammenarbeit folgte eine massive Ausgrenzung.
Es ist fast eine Ironie des Schicksals. 1934 wurde mein Vater angeklagt und verurteilt wegen der Vorbereitung zum Hochverrat. 1952/1953 mit 10-monatiger Untersuchungshaft und 1955 /1956 mit 5 Monaten Untersuchungshaft in Landau (Pfalz) wurde er in der Bundesrepublik wieder wegen der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Allerdings wurde er nicht verurteilt und im April 1959 freigesprochen.
Auch nach dem Verbot der KPD im Jahre 1956 ging die Überwachung meines Vaters und unserer Familie weiter. Nach meinem Betriebs- und Volkswirtschaftsstudium stellte ich einen Antrag für die Zulassung zum Referendariat als Studienrat an berufsbildenden Schulen. Das Referendariat schloss ich mit der im Januar 1975 erfolgreich bestandenen 2. Staatsprüfung zum Studienrat ab.
Der Schulleiter meiner Ausbildungsschule hatte mich bereits als vollwertige Lehrkraft im Stundenplan eingeplant. An meinem ersten Arbeitstag nach der bestandenen Prüfung trat ich meinen Dienst an der berufsbildenden Schule in Duisburg wie laut Stundenplan vorgesehen an. Meine Ernennungsurkunde lag noch nicht vor, der Schulleiter telefonierte mit dem Regierungspräsidenten in Düsseldorf und in der 1. großen Pause teilte er mir mit, dass die vorgesetzte Behörde ihm erklärt habe, dass ich nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehe und ein Verfassungsfeind sei. Er bemerkte kurz, dass er dies aus seiner Sicht überhaupt nicht nachvollziehen oder gar bestätigen könne.
Der Radikalenerlass und das Berufsverbot hatten zugeschlagen. In der Anhörung beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf, der Teilnehmer des Innenministeriums stellte sich als Dr. Spitzel vor, wurde mir unter anderem vorgehalten, dass ich Mitglied der VVN sei, dass ich an einer Maiveranstaltung der DKP teilgenommen und dass mein Auto mit der Nummer E – KP 262 (damals bekam man seine Autonummer vom Straßenverkehrsamt bei der Anmeldung zugeteilt) in der Nähe des Steeler Stadtgartens in Essen geparkt hätte. Dort habe eine Veranstaltung der DKP stattgefunden.
Da sind mir dann doch die Gedanken an die Sippenhaft der NS – Zeit gekommen.
Nach dem Tod meines Vaters besuchte mich ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes aus Düsseldorf. Dies habe ich damals als „Anwerbeversuch“ interpretiert. Seit dieser Zeit sind mir und meiner Familie allerdings weitere Schwierigkeiten und Kontakte erspart geblieben.
Den Untergang der DDR 1989/90 und der Sowjetunion 1991, d.h. des real existierenden Sozialismus, führte bei mir dazu, eine „Auszeit“ von der politischen Arbeit zu nehmen, meine Gedanken neu zu ordnen und mich auf meine Familie zu konzentrieren. Doch die Familiengeschichte meines Vaters und seiner Buchenwaldkameraden hat mich nie losgelassen. Der Besuch der Gedenkveranstaltungen zum Befreiungstag des KZ Buchenwald im April eines jeden Jahres, meist initiiert und unterstützt von meiner Mutter Irma, war für mich und meine Familie Verpflichtung.
Gerade die Entwicklung in den letzten Jahren, geduldete Aufmärsche von Neo- und Altnazis, einer AfD im Bundestag und allen Landtagen, die Lösung von Konflikten durch Waffenproduktion und damit Krieg, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat mich veranlasst, wieder in der VVN/BdA, den Kindern des Widerstandes und der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald/Dora aktiv zu sein.
Der Schwur von Buchenwald, den die befreiten Häftlinge am 19. April 1945 schworen ist aktueller den je.
Auszugsweise:
„wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“
Jetzt wird sogar versucht, Menschen, die sich für den Schwur von Buchenwald einsetzen, zu Verfassungsfeinden zu erklären und wie Silvia Gingold vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Ich wünsche mir, dass viele Menschen wachsam sind, sich einmischen und für eine gerechte Welt ohne Krieg eintreten. Mein Vater und seine Mitstreiter haben dafür sogar ihr Leben riskiert. Wir in der Bundesrepublik Deutschland können dies im Moment noch tun, ohne Angst um Leib und Leben zu haben. Es wäre tragisch, wenn wir erst wieder unter lebensbedrohlichen Umständen lernen müssten, über alle ideologischen Grenzen hinweg solidarisch zu sein und Widerstand zu leisten.