Günter Pappenheim: Grußwort an die TeilnehmerInnen des IX. Treffens der Nachkommen am 15. April 2018 in Buchenwald
19. April 2018
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
liebe Freundinnen und Freunde,
verehrte Damen und Herren,
die Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt, sind nicht vorteilhaft, muss ich gerade feststellen. Sehr gern wäre ich beim neunten Treffen der Nachkommen dabei gewesen. Meine gesundheitliche Verfasstheit schiebt dem leider einen Riegel vor. Gerade, weil ich nicht mit im Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald sein kann, grüße ich alle herzlich, die der Einladung zu diesem Treffen gefolgt sind. Dass die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora inzwischen ein neuntes Treffen durchführen kann und damit eine sehr nützliche Tradition entwickelte, stimmt zuversichtlich.
Meine Gedanken sind in Buchenwald auch oder vielleicht besonders deshalb, weil mich das Thema des Treffens persönlich sehr berührt, gehören doch viele Angehörige meiner Familie zu den Opfern der Schoah.
Unser Vater, Ludwig Pappenheim, war ein geachteter und vielseitig anerkannter Kommunalpolitiker der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Als Stadtrat und als Redakteur in Schmalkalden, als Abgeordneter des Kommunallandtages des Regierungsbezirks Kassel und ab 1920 des Provinziallandtages der preußischen Provinz Hessen-Nassau war er politisch tätig.
Er war konsequenter Gegner der Nazis und als solcher ihren Angriffen ausgesetzt. Eindeutig und unverhohlen war die öffentlich geäußerte Morddrohung »Schlagt die Judensau tot!« Im März 1933 wurde er inhaftiert und nach bestialischer Quälerei am 4. Januar 1934 im KZ Neusustrum ermordet. Die Hinterbliebenen waren geächtet und ständiger Drangsal ausgesetzt.
Mich verhafteten die Nazis im Juli 1943 und ich wurde dann der Häftling Nummer 22514 im
KZ Buchenwald. Mein Bruder Kurt wurde während einer so genannten »Auskämmaktion« im Oktober 1944 als »jüdischer Mischling« verhaftet und ins Zwangsarbeitslager Weißenfels-Halle gebracht.
Dass wir nach der Befreiung aufrichtig in antifaschistisch-demokratischem Sinn aktiv wurden, war nur folgerichtig.
Für mich war der Appell vom 19. April 1945 lebensbestimmend geworden. Wir 21.000 Überlebende des KZ Buchenwald, darunter unsere jüdischen Kameraden, schworen an diesem Tag, dass die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln unsere Losung und der Aufbau einer neuen Welt des Friedens un der Freiheit unser Ziel sei. Ja, das wurde für die meisten Kompass für’s Leben!
Wenn heute unterstellt wird, der Kerngedanke des Schwurs von Buchenwald stelle die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Frage und gefährde sie sogar, ist das eine unerträgliche Beleidigung der 56.000 Opfer, der Überlebenden des KZ Buchenwald und aller Antifaschisten.
Energisch weisen wir diese Unterstellung zurück.
Die solche üble Gedankengänge ausheckten, mögen uns erklären, was vernünftiger ist als eine Welt des Friedens und der Freiheit, die die Bekämpfung des Faschismus mit seinen Wurzeln impliziert. Die Ungeheuerlichkeit des Vorwurfs mahnt uns, im Bemühen um einen gerechtere Welt nicht nachzulassen und keinen Schritt zurückzuweichen. Dabei standhaft zu bleiben, verlangt, sich Wissen anzueignen, historische Zusammenhänge begreifen zu lernen und die Fähigkeit zu schlussfolgern auszuprägen.
Dazu möge unser Treffen der Nachkommen einen Beitrag leisten.
Ich bedanke mich bei allen, die durch ihre Spenden entscheidend helfen, dass die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora das Teffen der Nachkommen durchführen kann.
Mein Dank gilt allen, die die gebotene Möglichkeit unsreres Treffens annehmen und der Einladung folgen.
Besonders danke ich allen, die mit aufwändiger, intensiver ehrenamtlicher Arbeit das Treffen inhaltlich und organisatorisch vorbereiten. Dankbar und zuversichtlich stimmt mich, dass auch in diesem Jahr wieder junge Menschen in unserem Programm mitwirken.
Herzliche Grüße, vielen Dank und die besten Wünsche für gutes Gelingen und nachhaltige Wirkung.
Günter Pappenheim
April 2018