Bericht und Fotos vom 70. Jahrestag der Selbstbefreiung
21. August 2015
„ ‚Kameraden, wir sind frei!‘ Mit dem Schwur von Buchenwald in die Zukunft“
lautete das Thema für das 6. Treffen der Nachkommen, zu dem die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora aus Anlass des 70. Jahrestages der Selbstbefreiung und Befreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald eingeladen hatte. „Kameraden, wir sind frei!“ waren die Worte des Lagerältesten Hans Eiden, die über die Lautsprecheranlage in jeden Winkel des Lagers drangen. Für viele Häftlinge mögen diese Worte nicht fassbar gewesen sein. Für nicht wenige andere waren sie das Ergebnis des erbarmungslos gegen den deutschen Faschismus und im Besonderen gegen die SS im KZ Buchenwald geführten, disziplinierten illegalen Kampfes, der so viele Opfer gekostet hatte. Für alle war es die Stunde ersehnter Freiheit, die Stunde des Neubeginns.
Dem bedeutenden Ereignis des 70. Jahrestages der Selbstbefreiung und Befreiung Rechnung tragend hatte die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora ein anspruchsvolles Programm vorbereitet. Bereits am Freitag, dem 10. April 2015 organisierte Elke Pudszuhn eine Sonderführung für Mitglieder des Stadtsportbundes Gera. In diesem Rahmen sprachen Gisela Plessgott zur Biografie ihres Vaters Reinhold Lochmann und Wolf Stötzel zu der seines Vaters August Stötzel. Emotional berührend und faktenreich brachten beide zwei Menschen nahe, die als politische Häftlinge, illegal organisiert, sich selbst zu behaupten vermochten und aktiv gegen die SS Widerstand zu leisten fähig und in der Lage waren. Höhepunkt dieser Zusammenkunft im Torgebäude war die Übergabe des Nachlasses von Reinhold Lochmann durch seine Töchter Gisela Plessgott und Regina Grzam an die Leiterin des Archivs Gedenkstätte Buchenwald, Sabine Stein.
Neben persönlichen Dokumenten und Fotos übergaben die Töchter jene Häftlingsjacke mit dem Roten Winkel und der Häftlingsnummer 2455, mit der Reinhold Lochmann das Lager nach der Befreiung verlassen hatte. Sorgsam behütet, befand sich die Jacke bisher im Familienbesitz. Sabine Stein fand warmherzige anerkennende Worte für den Entschluss der Familie, den Nachlass in das Buchenwaldarchiv zu geben. Bei einem Rundgang auf dem Lagergelände gaben Elke Pudszuhn, Gisela Plessgott und Wolf Stötzel von ihren Vätern übermittelte Episoden aus dem Lageralltag wieder. Es ergaben sich vielfältige interessante Gespräche, an denen weitere Mitglieder der Lagerarbeitsgemeinschaft beteiligt waren. Immer wieder wurden Bezüge zu aktuellen Entwicklungen, zu Neofaschismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Rechtspopulismus in Deutschland und anderen europäischen Staaten hergestellt. Sowohl von den Geraer Gästen als auch von den Mitgliedern der Lagerarbeitsgemeinschaft wurde diese Begegnung sehr positiv bewertet.
Der Sonnabend, 11. April 2015, begann mit einem außerordentlichen Ereignis. Im Rahmen des Projekts „1 000 Buchen für Buchenwald“, geführt vom Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda e. V. wurden an der Ettersburger Straße, gegenüber dem Beginn der Blutstraße zur Erinnerung an Häftlinge des KZ Buchenwald zwölf Obstbäume gepflanzt. Gedenktafeln an den Baumscheiben werden künftig an
• die Kinder von Buchenwald
• die deutschen Häftlinge Walter Bartel Paul Böhme Emil Carlebach Otto Kipp Erich Loch Reinhold Lochmann August Stötzel
• die französischen Häftlinge Marcel Bloch-Dassault Marcel Paul Frédéric Henri Manhes
• den polnischen Häftling Stanisław (Władysław) Majchrzak
erinnern.
Im engen vertrauensvollen Zusammenwirken mit Martina Heller, der Projektleiterin „1 000 Buchen für Buchenwald“ vom Lebenshilfe- Werk Weimar/Apolda e. V., hatte Reinhold Loch von der Lagerarbeitsgemeinschaft dieses Ereignis umsichtig organisiert. Internationale Beachtung fand die Veranstaltung durch die Anwesenheit des Präsidenten des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos, Bertrand Herz, des Vorsitzenden des Beirates der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, Floréal Barrier, von Angehörigen ehemaliger Buchenwalder Häftlinge aus Frankreich und des Oberbürgermeisters der französischen Partnerstadt Blois, Marc Gricourt sowie Gästen aus Polen, Spanien, Italien und Norwegen. Eingestimmt durch das Blockflötenspiel der blinden Martina Rother, wurden die über zweihundertfünfzig Anwesenden vom Aufsichtsratsvorsitzenden des Lebenshilfe-Werks Weimar/Apolda e. V., Pfarrer Justus Lencer, begrüßt.Er hob die Bedeutsamkeit des Gemeinsamen hervor, das für die Häftlinge im Lager lebenswichtig gewesen sei, gleichermaßen für das Zusammenleben der Menschen unentbehrlich ist. „… Manchmal meinen wir, es gebe welche, die wir nicht dabei haben wollen. Das erleben wir immer wieder und das trifft uns dann, wenn wieder getrennt und geschieden wird. Aber auf unserem Weg der Erinnerung brauchen wir immer wieder Situationen und Stellen, wo wir uns dann erinnern, was war und bedenken, was sein könnte. Ich begrüße Sie ganz herzlich auf diesem Weg des Miteinandergehens, dass wir weiter fertig bringen, Solidarität zu üben und Gemeinschaft, dass wir wissen, warum das so ist, was die erleben mussten, die da oben [im KZ] waren und dass wir nicht vergessen, sondern immer weitergeben …“ Der Oberbürgermeister der Stadt Weimar, Stefan Wolf, nannte in seinem Grußwort die Baumpflanzaktion ein europäisches Friedensprojekt.
Vom Jugendverein „Roter Baum“ e. V. Dresden gab Sven Keitel ein Geigensolo und Aaron Rohde las einen Text zum „Kinderbaum“, der von diesem Verein, der Partei DIE LINKE und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Sachsen – Dresden gestiftet wurde. Nach weiterem Flötenspiel von Martina Rother, der Übergabe von Urkunden an die Stifter der Bäume und abschließenden Worten von Martina Heller, dankte Peter Hochmuth im Auftrag des Vorsitzenden der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, Günter Pappenheim, dem Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda und Reinhold Loch für diese eindrucksvolle Veranstaltung. Die Ansprachen für die Kinder, für ehemalige deutsche, französische, polnische Häftlinge, derer mit der Baumpflanzaktion gedacht wird, sind in einer Broschüre dokumentiert. Am Nachmittag vereinte die Einweihung eines Gedenksteins für die spanischen Buchenwaldhäftlinge am ehemaligen Block 45 viele Menschen, darunter Mitglieder der Lagerarbeitsgemeinschaft und Freunde und Kämpfer der Spanischen Republik.
In Anwesenheit des spanischen Botschafters in Deutschland enthüllte Günter Pappenheim, Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, den Gedenkstein mit der Inschrift Zu Ehren und zum Gedenken an die Spanischen Republikaner, die in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurden. Für den Abend hatte die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald- Dora zu einem Konzert mit Barbara Thalheim in die Weimarer Jakobskirche eingeladen. Mit ihren Liedern und ihrer mitreißenden Interpretation begeisterte Barbara Thalheim das Konzertpublikum. Andere Mitglieder der Lagerarbeitsgemeinschaft und Gäste fanden sich im Hotel „Kaiserin Augusta“ zu Erfahrungsaustausch und gemütlichem Beisammensein bei „Rotem Wein und Roten Liedern“ zusammen.
Sonntag, der 12. April 2015, war geprägt durch das 6. Treffen der Nachkommen und dem nahezu zeitgleich im Deutschen Nationaltheater Weimar stattfindenden Europäischen Gedenkakt der Thüringer Landesregierung und des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos. Die deutschen Überlebenden Günter Pappenheim, Ottomar Rothmann, Gert Schramm und Klaus Trostorff nahmen an dem Gedenkakt teil, sodass das 6. Treffen der Nachkommen zum ersten Mal ohne die noch lebenden Kameraden stattfinden musste. Unsere Veranstaltung begann mit dem Einspiel einer DVD. Bildkünstlerische Arbeiten von Häftlingen, Fotos, Texte, Musik waren zu einer nachhaltig wirkenden, emotional beeindruckenden Montage zusammengestellt. Doris Zorn und Gerhard Hoffmann hatten dieses Einspiel inhaltlich, Carsten Wölk technisch vorbereitet. Mitgewirkt hatte Wolf Stötzel. Die Grußworte und der Vortrag von Kurt Pätzold sowie die Erklärung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens fanden breite Zustimmung. Der Gesang von Barbara Thalheim begeisterte die Anwesenden. Gemeinsam sangen alle zum Abschluss das Buchenwaldlied. Die anlässlich des Treffens gehaltenen Ansprachen werden wie die zugänglichen Reden, die im Deutschen Nationaltheater Weimar gehalten wurden in der Broschüre dokumentiert. Am Nachmittag fanden die Gedenkfeier des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos auf dem ehemaligen Appellplatz und das Gedenken am Glockenturm statt.
Neben den Reden, die auf dem ehemaligen Appellplatz gehalten wurden, beeindruckte die über zweitausend Anwesenden das Verlesen des Schwurs durch sechs ehemalige Häftlinge – Ottomar Rothmann aus Deutschland, Alojzy Maciak aus Polen, Edward Carter Edwards aus Kanada, Pavel Kohn aus Tschechien, Gaston Viens aus Frankreich und Boris Romantschenko aus der Ukraine. Den Höhepunkt der Gedenkfeier bildete die Rückgabe der Ziehharmonika an Günter Pappenheim, die er den französischen Buchenwaldkameraden zum Geschenk gemacht hatte. Die Rückgabe verbanden die Franzosen mit dem Wunsch, dass das Instrument und seine Geschichte in die neue ständige historische Ausstellung der Gedenkstätte Buchenwald aufgenommen wird.
Auf der Ziehharmonika hatte Günter Pappenheim für französische Zwangsarbeiter am 14. Juli 1943 die Marseillaise gespielt. Dafür wurde er im KZ Buchenwald inhaftiert. Die auf dem ehemaligen Appellplatz gehaltenen Reden sind ebenfalls in der Broschüre dokumentiert. Mitglieder der Lagerarbeitsgemeinschaft nahmen an der Ehrung am Glockenturm teil. Am Montag, dem 14. April 2015 gehörten Mitglieder der Lagerarbeitsgemeinschaft zu den Teilnehmern an der Gedenkveranstaltung in Mittelbau-Dora.
Gerhard Hoffmann
Die Broschüre „70. Jahrestag Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald 2015“ erscheint in der 37. Kalenderwoche 2015 und ist über die c/o Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V. VVN-BdA Bundesbüro Magdalenenstraße 19, 10365 Berlin zu beziehen.