Hinrichtung in Poppenhausen
4. November 2014
Am 11. Mai 1942 ließ die SS an der Straße zwischen dem thüringischen Einöd und Poppenhausen zwanzig polnische Zwangsarbeiter als Vergeltungsmaßnahme öffentlich erhängen.
In Erinnerung an dieses unmenschliche Verbrechen fand am 11. Mai 2014 in Poppenhausen eine Gedenkveranstaltung statt.
Am dortigen Denkmal wurde eine Gedenktafel mit den Namen der Ermordeten eingeweiht.
Aus Polen erreichte uns dazu folgender Bericht, den wir mit geringfügigen stilistischen Veränderungen veröffentlichen.
20 Polen starben am Galgen in 2 Minuten Abständen
Adam Szczerkowski, Vater von Alina Augustyniak und Krystyna Figwer, beide wohnhaft in Bielawa, sowie Kazimiera Bromblik aus Glogau, wurde zusammen mit anderen neunzehn Polen an einem Galgen in Poppenhausen (Thüringen, Deutschland) am 11. Mai 1942 öffentlich erhängt.
Seine Familie erfuhr von der schrecklichen Hinrichtung erst nach 71 Jahren, im Dezember vorigen Jahres [2013]. Am letzten Sonntag konnten die Enkel von Adam Szczerkowski mit vier weiteren polnischen Familien Blumen am Mahnmal auf dem Hinrichtungsort niederlegen.
Schwere Sklavenarbeit
Adam Szczerkowski war mein Urgroßvater. Ich kannte ihn nur von einem Lichtbild im Hause meiner Großmutter Alina Augustyniak und aus ihren Erzählungen. Es war ihr geliebter Papa.
Drei Schwestern: Alina, Kazimiera und Krystyna waren in Frankreich geboren, wo ihr Vater als Bergarbeiter tätig war. Sie lebten dort im Wohlstand, aber litten am Heimweh. Sie kehrten nach Działoszyn in der Woiwodschaft Łódź heim, und zwar ein Jahr vor dem Kriegsausbruch.
Unser Großvater wurde am 15. August 1939 zum Militärdienst einberufen und kam in die deutsche Gefangenschaft. Er wurde in ein Kriegsgefangenlager in Thüringen eingesperrt, arbeitete in einer Braunkohlengrube und in einem Bauernhaushalt.
Bis Februar 1942 schickte er Briefe, Fotos und sogar kleine Geschenke für die Töchter.
»Ich bekam eine Puppe, aber konnte sie nicht behalten, weil meine Mutter sie verkaufen musste, um Lebensmittel zu kaufen«, erzählt Kazimiera Bromblik.
Später gab es keine Nachrichten mehr. Die Familie versuchte über das Rote Kreuz eine Nachricht zu bekommen, aber ohne Erfolg.
Am 17. August 1949 wurde Adam Szczerkowski mit dem Datum am 9. Mai 1946 gerichtlich zum Verstorbenen erklärt.
Für einen Deutschen mussten zwanzig Polen sterben
Seit dem Kriegsende war meine Familie überzeugt, dass Adam im Krieg gefallen war. Erst im Dezember 2013 erfuhren wir die schreckliche Wahrheit.
Poppenhausen ist ein Stadtteil von Hellingen in Thüringen. Hier verlief die Zonengrenze zwischen BRD und DDR.
Im Walde zwischen Poppenhausen und Einöd kam es im Frühling 1942 zur schrecklichen Tragödie.
Der thüringische Korbflechter Albin Gottwalt war Polizist geworden und als Oberwachtmeister wegen Brutalität bekannt.
Als er polnische Zwangsarbeiter, Jan Sowka und Nikolaus Stadnik mit einigen polnischen Mädchen traf, schlug er sie bis zur Bewusstlosigkeit. Warum Gottwalt so brutal die jungen Polen schlug, weiß niemand. Jan Sowka sprach fließend Deutsch (er war in einer polnischen Familie in Schweiz geboren).
Die Opfer Gottwalts rächten sich bald blutig: Am 26. April 1942 trafen sie ihn im Walde und stachen ihn nieder und verscharrten die Leiche. Die Polen nahmen das Fahrrad und seinen neuen Anzug mit, versteckten ihre blutbefleckte Arbeitskleidung und verschwanden. Sie versuchten einzeln in das besetzte Polen zu fliehen.
Nach elf Tagen wurde Sowka auf dem Bahnhof in Bamberg erkannt und festgenommen. Er trug einen zu großen Mantel und einen Tirolerhut.
Nikolaus Stadnik wurde nicht gefasst.
Mit der Hinrichtung Sowkas sollte ein abschreckendes Beispiel geschaffen werden und für einen toten Deutschen sollten zwanzig Polen sterben.
Drei Galgen
Neunzehn polnische Häftlinge wurden mit drei LKWs aus dem um 180 Kilometer entfernten Konzentrationslager Buchenwald gebracht, unter ihnen mein Urgroßvater, der 37-jährige Adam Szczerkowski, der älteste von neunzehn Todgeweihten.
Die SS-Leute stellten zwei Galgen zur Gruppenhinrichtung auf und einen separaten Galgen für den 19-jährigen Jan Sowka.
»Ich stehe heute an derselben Stelle, wo vor zweiundsiebzig Jahren meine Tränen flossen, wo ich beim Tod meines Freundes zuschauen musste«, sagte der 95-jährige Kazimierz Grzybowski, der einzige noch lebende Augenzeuge der Tragödie.
Er war im selben Bauernhof angestellt. Herr Grzybowski wohnt in Frankreich, er kam nach dem Kriegsende dort hin, arbeitete im Bergbau. Seit einigen Jahren kommt er nach Poppenhausen zum Jahrestag der Hinrichtung. Er kam mit seinem Sohn und Enkel.
Sie starben im Abstand von zwei Minuten
Er erzählte uns von den Ereignissen am 11. Mai 1942:
Es war ein warmer, sonniger Tag. Um zehn Uhr wurden alle polnischen Zwangsarbeiter aus der Umgebung zusammengetrieben. Die Hinrichtung sollte sie einschüchtern. Der Galgen für Sowka stand genau an der Stelle, wo sich heute das 1966 errichtete Mahnmal befindet. Neben den polnischen Arbeitern standen Hitlerjungen und BDM-Mädchen sowie prominente Nazis und schaulustige Leute aus der Umgebung. Es waren etwa achthundert Leute anwesend.
Die Hinrichtung begann um 10:50 Uhr. Die Häftlinge aus dem KZ Buchenwald, in Handschellen, wurden in einer Reihe aufgestellt, vor ihnen stand allein Jan Sowka.
Alle zwei Minuten wurde ein Häftling erhängt, sie waren sofort tot. Sowka starb am Ende, er wurde langsam hochgezogen und starb etwa sechs Minuten lang.
Die Hinrichtung wurde vom örtlichen Fotografen Herbert Hoffmeister aus Heldenburg dokumentiert.
Die Leichen wurden auf einen LKW geworfen, nach Buchenwald gebracht und dort eingeäschert.
Die Henker kamen zuvor nach Heldenburg, wuschen sich die Hände im Brunnen am Marktplatz und besuchten das Gasthaus Zum goldenen Stern«, wo früher Gottwalt gewohnt hatte. Sie hatten sich über den Bürgermeister von Coburg lustig gemacht, der sich während der Hinrichtung erbrach.
Die Amerikaner zeigen die geheimen Dokumente
Um die Jahreswende 1966/1967 wurde am Ort der Hinrichtung ein Mahnmal errichtet. Die Namen der Opfer blieben jedoch unbekannt. Erst der Aktivist der antifaschistischen Bewegung in Thüringen, Herr Bernd Ahnicke begann die Geschichte zu erforschen. 1989 gaben die Amerikaner in Washington aufbewahrte Dokumente zu dem Verbrechen frei. Bernd Ahnicke fand alle Sterbeurkunden vom Standesamt, schrieb einige Artikel in der örtlichen Zeitung. Herrn Grzybowski machte er ausfindig. Er versuchte die Familien der Opfer in Polen zu finden. Die Namen der Ermordeten sollten auf einer Gedenktafel genannt werden.
Er traf Frau Ursula Banach, die Deutschlehrerin in der Technischen Berufsschule in Kolno (Polen) die mit großem Engagement bei der Suche geholfen hat. Sie schickte viele Briefe und E-mails, viele Telefonanrufe. Sie fand neun Familien, darunter auch die vom Adam Szczerkowski.
Fünf Familien kamen am vorigen Sonntag nach Poppenhausen, um Blumen unter der neuen Gedenktafel mit den Namen der Opfer zu legen.
Die Tränen der Trauer
Es kam auch die Familie von Bronisław Pokorski. Seine 97 Jahre alte Ehefrau Zofia lebt noch. Wegen des schlechten Gesundheitszustand konnte sie nicht mitkommen, aber sie schickte ihr Hochzeitsfoto mit folgendem Text af der Rückseite: »Viele Jahre lang wartete ich auf meinen Ehemann. Ich kannte sein Schicksal nicht. Heute kann ich für seine Seele beten. Das gibt mir Ruhe. Ich bete für alle, die in diesem Krieg gestorben sind.«
Zofia Pokorska wohnt mit ihrem Sohn unweit von Łódź. Zur Enthüllung der Gedenktafel kamen drei Generationen.
»Die Oma bekam 1967 eine kurze Nachricht, dass ihr Ehemann am 11. Mai 1942 gestorben war. Erst dank Ursula Banach erkannten wir die Wahrheit. Die Erinnerungen kamen wieder ans Licht«, sagte die Enkelin Anita Wawrzyniak.
Über den Tod von Leon Jaroch wusste seine nächste Familie nichts. Sie suchten ihn über das Polnische Rote Kreuz, die letzte Nachricht stammte vom August 1939. »Erst fanden wir einen Artikel in der >Gazeta Pomorska<. Schade, dass wir so spät erfuhren, die letzte Schwester von Leon Jaroch ist gerade gestorben. Wir werden auf unserem Familiengrabmal seinen Namen einmeißeln«, sagte Ursula Jaroch.
Wir vergessen nicht
Die Deutschen begehen jeden Jahrestag der Tragödie. Am letzten Sonntag waren die Bürgermeisterin von Bad Colberg-Heldburg, Frau Anita Schwarz, der Gemeinderat, Herr Thomas Müller, die Landesvorsitzende des Thüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Elke Pudszuhn, der Kustos der Gedenkstätte KZ Buchenwald, Dr. Harry Stein, anwesend. Es kam auch der Ehrenkonsul der Republik Polen in Weimar Herr Johannes Hoffmeister. Die Gedenktafel wurde von den Priestern der katholischen und evangelischen Konfession eingeweiht.
Und das alles verdanken wir Bernd Ahnicke und Ursula Banach, die das vorbereitet hatten. Es war auch ein Blasorchester anwesend.
Anna Augustyniak