Ottomar Rothmann, Ehrenbürger dieser Stadt
7. Oktober 2011
Weimar ehrt Buchenwaldüberlebenden und Mitglied der VVN- BdA 2011 am Tag der Deutschen Einheit.
Es war ein großer Augenblick, als der Oberbürgermeister der Stadt Weimar, Stefan Wolf, unseren Kameraden Ottomar Rothmann vor über 200 Besuchern und Gästen am Tag der Deutschen Einheit 2011 die Urkunde der Ehrenbürgerschaft im Fürstenhaus zu Weimar übergab.
Am 18. Mai 2011 hatte der Weimarer Stadtrat beschlossen:
Ottomar Rothmann „…in besonderer Anerkennung seiner Verdienste um das Vermächtnis von Buchenwald zum EHRENBÜRGER der Stadt Weimar zu ernennen“.Damit ehrt die Stadt mit ihrer höchsten Auszeichnung einen Mitbürger, der mit zahlreichen Verdiensten und seiner Lebensleistung zur Bekämpfung von Faschismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beitrug, der als Überlebender des KZ Buchenwald über Jahrzehnte seine Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur an die Zeitgenossen und die Folgegenerationen übermittelt. Unermüdlich setzt er sich bis heute gegen Ungerechtigkeiten und für eine humane Zukunft ein.
Die Bekanntschaft mit der Stadt der Klassiker Goethe und Schiller machte er 1943 hinter dem Stacheldraht des faschistischen Konzentrationslagers Buchenwald, in welchem er als junger Mann als Schutzhäftling ohne ein Gerichtsurteil bis zu dessen Befreiung am 11. April 1945 inhaftiert war. Ottomar Rothmann überlebte durch das Widerstandspotential der politischen Mitgefangenen, welches in ihrer Organisationsstruktur speziell diesem KZ zu Eigen war. Solidarität war das Schlüsselwort, die in Buchenwald praktiziert, das Leben und Überleben in dieser Hölle ermöglichte. Der Schwur von Buchenwald, den er mit 21.000 Überlebendenden auf dem Appellplatz des KZ Buchenwald am 19. April 1945 leistete, bestimmte sein Leben bis heute.
Die heutige Festveranstaltung der Stadt Weimar (sie verdiente diesen Namen) zeigte sehr plastisch in einer bewegenden Darbietung von Schülerinnen und Schülern des Goethegymnasiums Weimar, wie weit sich Leben, Denken und Handeln Ottomar Rothmanns von dem der „normalen Deutschen“ im dritten Reich unterscheidet. Die künstlerisch- historische Lesung eines fiktiven Gesprächs des Firmeninhabers und den Angestellten der Erfurter Firma Topf & Söhne macht deutlich was „Technik ohne Moral“ den Ofenbauern von Auschwitz bedeutete, dass Wegsehen eine Mittäterschaft nicht ausschließt, dass Schweigen eine Verstrickung in Verbrechen von Diktaturen fördert.
Mit langer Tradition und aktuellem Handeln wehrt sich die Stadt Weimar gegen jeglichen Einfluss rechter Kräfte. Dies machte Stefan Wolf, der Oberbürgermeister Weimars, in seiner Festansprache deutlich und das würdigte auch Dirk Möller in seiner Laudatio zu Ehren von Ottomar Rothmann. Dessen Wirken in Weimar als Antifaschist hat hier seine Wurzeln und prägt auch das Gesicht dieser Stadt.
Es ist die 60. Ehrenbürgerwürde, welche die Stadt Weimar vergibt, mit der Ottomar Rothmann geehrt wird. Nach Henri Manhés 1958, Bruno Apitz 1961, Walter Barthel 1979 und Bertrand Hertz 2009 wird diese Auszeichnung 2011 zum fünften Mal einem Buchenwaldüberlebenden zu teil.
Im Anschluss an diese Veranstaltung trug sich Ottomar Rothmann in das goldene Buch der Stadt Weimar ein, wo er sich für diese Auszeichnung bedankte.
Porträt:
Ottomar Rothmann wurde am 6. Dezember 1921 in Magdeburg geboren und war das achte Kind der Eheleute Alma und Berthold Rothmann. Der Vater, überzeugter Sozialdemokrat, nahm großen Einfluss auf die Erziehung der Kinder. Sowohl die Geschwister als auch Ottomar wirkten in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit.
Leider hatte die Ehe der Eltern keinen Bestand. Für den Familienunterhalt stand der Mutter nach der Trennung nur eine geringe Wohlfahrtsunterstützung zur Verfügung. Ottomar verdingte sich neben seinem täglichen Schulbesuch als Laufbursche und steuerte seinen Wochenlohn dem Familienbudget bei.
Ab 1936 absolvierte er eine Lehre als Einzelhandels- und Großhandelskaufmann. Mit ihrer politischen Einstellung geriet die Familie Rothmann mit dem nationalsozialistischen Regime schon frühzeitig in Konflikt. Zwei seine Brüder wurden verhaftet und inhaftiert. Die Mutter geriet in Sippenhaft, als sich einer der Brüder nach seiner Entlassung einem erneuten Zugriff der Gestapo entzog.
Zu Beginn des Krieges lehnte sich auch Ottomar gegen die Nationalsozialisten auf. Mit seinem alten Kinderdruckkasten bedruckte er Zettel mit Aufschriften, sich gegen Hitler zu wenden und den Krieg zu beenden. Diese klebte er nach der Verdunkelung an Haustüren und Wände. Am 30. Januar 1943 verhafteten ihn zwei Polizisten und verbrachten ihn in das Magdeburger Polizeigefängnis. Einzelhaft und Gestapo- Verhöre schafften es nicht sein Schweigen zu brechen. Nach zehn Wochen erfolgte die Entlassung. Aber, an der Außentüre des Gefängnisses erwartete ihn die Gestapo, die ihn zwang einen Schutzhaftbefehl zu unterschreiben. Dieser begründete sich aus dem unbewiesenen Vorwurf „Verdacht und Vorbereitung zum Hochverrat und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“. Das bedeutete Konzentrationslager.
Es folgte die Überführung nach Halle in das Polizeigefängnis „Alte Mühle“, wo er 10 Tage lang Zeuge von Folter und Misshandlungen an Mitgefangenen wurde. Dann der Abtransport in das KZ Buchenwald. Was ihn im Konzentrationslager erwartete vermittelte ihm bei seiner Ankunft ein SS Mann durch Schläge, „Sachsengruß“ und andere Schikanen. Als Häftling mit der Nummer 6028 kam er in den Block 17, den Quarantäne und Zugangsblock. Der Blockälteste war der Kommunist Theo Eul und Blockschreiber war Otto Storch, der schon seit 1933 als Kommunist inhaftiert und einer der zuerst eingelieferten Buchenwaldhäftlinge war. Otto Storch hatte großen Einfluss auf Ottomar. Zunächst ließ er ihn überprüfen, ohne dass es Ottomar bemerkte. Als sich herausstellte, dass die von ihm gemachten Angaben stimmten, er verschwiegen und zuverlässig war, wurde er als Stubendienst und Blockschreiber eingesetzt. Seine Aufgaben waren: Die Häftlingsregistratur, die Vergabe von Häftlingsnummern und die Ausgabe von Winkeln, die Verlegung von Häftlingen in anderer Blocks oder in den Krankenbau, die Häftlingspost für die Außenkommandos.
Damit hatte Ottomar Kontakte zu den meisten Blockältesten, die zu diesem Zeitpunkt beinahe alle Kommunisten waren, sowie Zugang in die übrigen Lagerbereiche im Hauptlager. Bei dieser Tätigkeit erhielt er zwangsläufig Einblick in Aktionen des illegalen Lagerwiderstandes, ohne über die Einzelheiten der Organisationsstruktur informiert zu sein. Schnell bekam er mit, dass der SS Blockführer Schramm aus Faulheit oder Boshaftigkeit häufig die Häftlingspost unterschlug. Es gelang ihm Schramm davon zu überzeugen, dass er diese Arbeit zu dessen „Entlastung“ übernahm. Jetzt konnte er die Post holen, Briefe und Bilder (was verboten war) an die Häftlinge seines Blocks und denen der Außenkommandos weiterleiten. Für viele oft der letzte Strohhalm zum Überleben. Ottomar war unter dem Einsatz seines Lebens an zahlreichen Rettungs- und Solidaritätsaktionen des illegalen Lagerwiederstandes beteiligt und übte im Rahmen seines Wirkungsfeldes Solidarität gegenüber seinen Mithäftlingen aus. Er bewahrte Häftlinge vor Todestransporten bzw. vor deren Liquidierung, in dem er Veränderungen in den Karteien vornahm. Er versteckte Franz Neumeister vor dem sicheren Zugriff der SS in seiner Baracke.
Als politischen Höhepunkt in seinem Leben nennt er ein Ereignis im Januar 1945, als ihm Otto Storch übermittelte, dass ihn die Kameraden als Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands aufgenommen hatten. Da war er 23 Jahre alt. Ottomar erlebte am 11. April 1945 die Befreiung des Konzentrationslagers. Ein internationales Lagerkomitee hatte die Macht übernommen. Mit 21000 überlebenden Kameraden leistete er am 19. April 1945 den Schwur von Buchenwald.
In der Nachkriegszeit beteiligte sich Ottomar als Mitglied des „Anti- Nazi Komitees“ an der Entnazifizierung im Umfeld von Weimar. Er wirkte mit am Aufbau einer Kriminalpolizei in Weimar und der Schaffung ziviler Strukturen. 1947 ehelichte er Christel, eine Umsiedlerin aus Ostpreußen mit der er noch heute glücklich verheiratet ist. Aus dieser Ehe gehen zwei Söhne hervor. In der Folgezeit wirkte er beim Wiederaufbau der Wirtschaft und der Versorgung der Bevölkerung Thüringens in verantwortungsvollen Positionen erfolgreich mit.
Als ihm im November 1974 der Vorschlag unterbreit wurde, die Leitung der im Entstehen begriffenen pädagogischen Abteilung in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald zu übernehmen, sagte er nach gründlicher Überlegung zu. Beim Aufbau dieser Abteilung und der Befähigung ihrer Mitarbeiter erwarb er sich große Verdienste. Besonderen Wert legte er auf die Vorbereitung und Durchführung politisch zielgerichteter und qualitativ hochwertiger Führungen von Jugendgruppen und ausländischen Gästen, deren Zahl in diesen Jahren stark anstieg.
Seine Arbeit brachte es mit sich, dass er viele internationale Persönlichkeiten kennenlernte, darunter hochrangige Staatsgäste. Auch nach seiner Pensionierung 1986 blieb Ottomar Rothmann der Gedenkstätte verbunden. Als Mitglied des Häftlingsbeirates der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald/ Mittelbau- Dora nimmt er Einfluss auf deren Arbeit. Seit 1979 arbeitete Ottomar Rothmann mit Gruppen der „Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste“ zusammen. Er wurde ein geschätzter Gesprächspartner für sie.
Bis heute tritt er ständig in Zeitzeugengesprächen mit Jugendlichen auf. Als langjähriges Mitglied des Thüringer Verbandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und als gefragter Redner zu antifaschistischen Gedenkveranstaltungen steht er auch im fortgeschrittenen Alter mitten im gesellschaftlichen Leben.