Rede Władysław Kożdoń zum 64. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald
2. Juni 2009
Übersetzung aus dem Polnischen
Sehr geehrte Gäste! Liebe Kameradinnen und Kameraden!
In diesem Jahr werden siebzig Jahre seit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges vergangen sein, des größten Kataklysmus in der Geschichte der Menschheit. Genau am Tag des Kriegsausbruches wurde ich siebzehn Jahre alt. Damals war ich ein junger, glücklicher Mensch. Obwohl die materiellen Bedingungen schwierig waren (mein Vater war Arbeiter in einem Bergwerk und hatte acht Kinder), sahen meine Zukunftsperspektiven sehr gut aus. Meine älteren Geschwister hatten die Mittelschule bereits abgeschlossen und waren berufstätig, und ich hatte die begründete Hoffnung, nach dem Schulabschluss studieren zu können und eine Hochschulausbildung zu absolvieren, was für ein Arbeiterkind der Gipfel aller Träume war. Auch glaubte ich, dass Polen nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit von klugen, kompetenten und ehrlichen Leuten regiert würde, die für seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung sorgen, und die herrliche und tapfere Armee für seine Sicherheit bürgen und es gegen die Gelüste der bösen Feinde verteidigen könnte. Allgemeiner gesagt: Ich glaubte die Welt sei gut, schön und klug.
Ich bemühte mich, nach den Worten eines Liedes zu handeln:
Hand in Hand strebe ein Leben lang voller Hoffnung, Lebenslust,
leuchte mit deiner Tat, fliege wie ein Adler in die Welt der Wahrheit, des Schönen und der Tugend.
Der Krieg war in meiner Vorstellung eine Zeit der großen Abenteuer und der Heldentaten zur Verteidigung des Vaterlandes.
Der erste Tag des Septembers 1939 war der Tag, an dem meine Träume zu Trümmern gingen. Ich sah, wie alle Machtorgane in Panik flüchteten. Ich sah, wie die polnische Armee von panischer Angst erfasst flüchtete. Ich sah die den Himmel beherrschenden deutschen Flugzeuge, die langen Reihen deutscher Panzer auf den Chausseen – und ich sah die zufriedenen und selbstsicheren Eroberer.
Am 19. September 1939 wurde ich wegen meiner Tätigkeit in der polnischen Pfadfinderbewegung verhaftet und zusammen mit meinem Vater in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Nun befand ich mich in einem Reich, in dem Hass und Grausamkeit regierten. Ich will keine Zeit mit der Beschreibung meiner Erlebnisse verlieren und nicht die Grausamkeiten beschreiben, deren Zeuge ich wurde, sondern das hervorheben, was es mir erlaubte, auch weiterhin an die Existenz des Guten zu glauben. In der Hölle von Buchenwald begegnete ich so guten und edlen Menschen, wie ich sie später nie mehr im Leben traf, vielleicht deshalb, weil es im normalen Leben nicht nötig ist, solche Eigenschaften zu zeigen. Niemals vergesse ich Häftlinge wie Robert Siewert, Kurt Wabbel oder Max Girndt. Ich erinnere mich auch an Helmut, der Sanitäter war und rote Haare hatte. Dank der Charaktereigenschaften dieser Menschen glaubte ich daran, dass die Quelle allen Übels der Nazismus war, und dass die Bekämpfung des Nazismus alle Menschen auf der Welt besser machen würde. Auf der Kundgebung am 13. April 1945, zwei Tage nach der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen, schwor ich aufrichtig zusammen mit den anderen, dass die Vernichtung des Nazismus unsere Losung und der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit unser Ziel ist.
Schon bald sollte ich erfahren, dass man die Losung von Frieden und Freiheit verkünden und gleichzeitig Unfrieden auf der ganzen Welt sähen und ein ganzes Land in ein großes Konzentrationslager verwandeln kann. Jetzt gibt es junge Menschen, die glauben, dass die Vernichtung des Kommunismus der ganzen Welt Glück und Frieden bringt.
Ich kann nach meinen Erfahrungen aus vielen Jahren mit ganzer Entschiedenheit feststellen, dass Menschen die Quelle allen Übels sind. Von Natur aus schlechte Menschen werden in der allerbesten Gesellschaftsordnung Böses tun. Es fällt mir schwer, an den guten Charakter eines Menschen zu glauben, der sehend wie Millionen Menschen Hungers sterben für sein geliebtes Hündchen ein herrliches Grabmal errichten lässt. Deshalb auch meine ich, dass der Kampf mit dem Bösen unaufhörlich geführt werden muss, dass alle guten Menschen die Mittel der Demokratie nutzen müssen, um böse und raffgierige Menschen zu entlarven und ihnen die Möglichkeiten nehmen müssen, auf Gesetzgebung und Regierungen Einfluss zu nehmen.
Zum Schluss möchte ich den Mitarbeitern der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald für ihre Arbeit und ihr Engagement für die Bewahrung der Erinnerung an die Opfer des Nazismus danken. Ich habe im letzten Jahrzehnt mehrfach an Feierlichkeiten aus Anlass der Jahrestage teilgenommen und immer einen so freundschaftlichen und herzlichen Empfang erfahren, dass ich mich an meine besten Freunde aus vergangenen Zeiten erinnert fühle.
Władysław Kożdoń
F.d.R.d.Ü.
30.03.2009
Dr. Dieter Rudolf