Ansprache von Andreas Dlabaja, Enkel eines Buchenwaldhäftlings, aus Anlass des 63. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald am 13.04.2008 (auf dem ehemaligen Appellplatz)
17. April 2008
Sehr geehrte ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald.
Sehr geehrter Präsident des IKBD Bertrand Herz.
Sehr geehrter Direktor der Gedenkstätte Buchenwald Prof. Dr. Volkhard Knigge.
Liebe Freundinnen und liebe Freunde.
Ich möchte ihnen einiges über die ersten Österreicher berichten, die im September 1938
mit Transporten aus Dachau und direkt aus Wien nach Buchenwald gekommen sind und sozusagen die ersten Internationalen Insassen im Lager waren. Unter ihnen sind viele Prominente jüdischer Herkunft aus Kunst, Bildung und Wissenschaft.
Dazu eine kurze Vorgeschichte der Ereignisse zum Einmarsch der Hitlerarmee am 12.März 1938 in Österreich.
Der von den Nazis am 25. Juli 1934 versuchte, fehlgeschlagene Putsch, bei dem der faschistische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß getötet wurde, hinderte die Regierung nicht, schon zwei Jahre später ihre Außenpolitik mit der Hitler-Deutschlands gleichzuschalten, den Nazis innerhalb der Staatspartei, der Vaterländischen Front, eine Möglichkeit zu einer Art legaler Betätigung im so genannten Volkspolitischen Referat zu geben und deren Vertrauensleuten in die Regierung, Dr. Glais-Horstenau und in den Staatsrat Dr. Seyß-Inquart aufzunehmen. Am 12. Februar 1938 leitete Hitler den letzten Akt ein, indem er dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg in ultimativer Form eine totale Regierungsumbildung im Sinne der Nazis diktierte. Einen Monat später löste Hitler das Unternehmen Otto aus und befahl den Einmarsch der deutschen Armee in Österreich.
Sofort wurde mit Verhaftungen gegen bekannte Widerstandskämpfer begonnen.
Schon am 1. April 1938 ging der erste Transport – der so genannte „Prominententransport“ – mit Österreichern in das KZ Dachau. Unter den 151 Häftlingen befanden sich bekannte Politiker und Gegner des nationalsozialistischen Regimes: Christlichsoziale, Monarchisten, Sozialdemokraten, Kommunisten u. a.; etwa 50-60 Menschen waren jüdischer Religion oder Herkunft. Aus der Zusammensetzung dieses Transportes geht deutlich hervor, dass der Grund für die Festnahme dieser Männer und deren Deportation ins Konzentrationslager nicht nur in ihrer jüdischen Herkunft lag, sondern vor allem in der politischen Gesinnung derselben und in deren gegen die Nazis gerichteten Aktivitäten.
Von Anfang an waren die österreichischen Juden die vom nationalsozialistischen Regime am schärfsten verfolgte Gruppe. Zahlreiche Transporte nach Dachau folgten, u. a. am 31. Mai und am 3. Juni 1938 mit je 600 jüdischen Häftlingen; schließlich erreichten die KZ- Einweisungen aus Österreich während des Novemberpogroms 1938 einen ersten Höhepunkt, als 3.700 Juden aus Wien in das KZ Dachau gebracht wurden. Weitere Transporte mit österreichischen Juden gingen in das KZ Buchenwald.
Am 23. und 24. September 1938 wurden weitere 1.000 in Wien festgenommene Juden nach Buchenwald eingeliefert, wo sie zunächst in Barackenuntergebracht waren, denen nichtjüdische Blockälteste vorstanden. Ab Jänner 1939 war dann die Ausübung dieser Funktionen auch jüdischen Häftlingen möglich.
Am 25. September 1938 traf, direkt aus Wien kommend, ein Transport mit 420
so genannten Polizeihäftlinge in Buchenwald ein.
Schon am Bahnhof vom Weimar wurden sie, beargwöhnt von schweigenden Leuten mit feindlichen Mienen, von herumschreienden SS-Leuten mit dem Rufe empfangen:“ Jede Unterhaltung ist verboten! Wer quatscht, kriegt ein paar in die Fresse! Bei Fluchtversuch wird sofort geschossen!“
Diesen ersten Österreichertransport folgte am 26. September1938 ein zweiter mit 2.200 österreichischen Juden und ein weiterer mit etwa 1.500 burgenländischer Zigeunern, die alle aus dem Konzentrationslager Dachau nach Buchenwald überstellt wurden.
Nach der im September1938 erfolgten Einlieferung österreichischer Häftlinge begann auch deren Wirken in Buchenwald.
Und so will ich auch von einigen Österreichern berichten und deren gedenken, die hier in Buchenwald ihr Leben lassen mussten.
Josef Kende wurde am 24. Oktober 1938 das erste österreichische Opfer im KZ Buchenwald.
Der junge österreichische Dichter Jura Soyfer war 1938 bei dem Versuch, in die Schweiz zu emigrieren, festgenommen und in das Konzentrationslager Dachau deportiert worden. Dort schrieb er, die am Eingangstor zu diesem KZ in schmiedeeisernen Lettern angebrachten Worte „Arbeit macht frei“ zum Thema nehmend, das „Dachaulied“. Noch im gleichen Jahr wurde Jura Soyfer nach Buchenwald überstellt. Anfang 1939 erkrankte er und wurde in die damalige Baracke Nr.2, der Vorläuferin des Reviers, eingeliefert. Als Leichenträger hat er sich wahrscheinlich eine Typhusinfektion zugezogen. Es trat im Befinden Soyfers wohl eine Besserung ein, was ihn hoffen ließ, den für ihn bereits vorliegenden Entlassungsbescheid entgegennehmen zu können, aber eine plötzlich hinzugekommene Lungenentzündung verschlechterte seinen Zustand zusehends. In der Nacht vom 15. zum 16. Februar 1939 starb dieser hervorragende Mensch, die Freiheit so nahe vor seinen Augen.
Nun wollen wir noch eines großen Österreichers gedenken der zwar nicht in Buchenwald gestorben ist, sondern im Jahre 1942 nach Auschwitz deportiert wurde.
Sein Name: Dr. Fritz Beda-Löhner.
Sein Beruf: Dichter und Librettist von Franz Lehar und der Verfasser des Textes unseres Buchenwaldliedes
In Auschwitz wurde er krank. Als er sich beim Revier zwecks Behandlung anstellte, wurde an ihm das an so vielen Häftlingen praktizierte Todesspiel gespielt, nämlich das Tot prügeln.
Noch vor seinem Tode soll er gerufen haben: “Ich will nicht sterben, ich habe der Welt noch so viel zu geben … “. Er starb am 4. Dezember 1942 im 60. Lebensjahr.
Der Komponist des Buchenwaldliedes, Hermann Leopoldi hatte das Glück, noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges und dem Eintritt verschärfter Bedingungen aus dem KZ entlassen zu werden. Er emigrierte in die USA und kehrte erst nach dem Zusammenbruch des Hitlerfaschismus wieder nach Österreich zurück. Im Alter von 71 Jahren ist er am 28.Juni 1959 in Wien gestorben.
Ab dem Novemberpogrom 1938 waren nahezu jeden Tag und oft mehrere jüdische Opfer zu beklagen. Während 1938/39 noch Entlassungen von jüdischen KZ-Häftlingen – bei Vorliegen von Einreisedokumenten für andere Länder – möglich waren, setzte nach Kriegsausbruch 1939 im KZ Buchenwald ein permanenter Massenmord an Juden ein, der als Vorstufe des Holocaust anzusehen ist.
Und daher sehe ich es als meine Verpflichtung, auch als Enkelgeneration, im Gedenken an meine Vorfahren, meines Großvaters, der zwar Buchenwald überlebt hat, aber noch vor meiner Geburt, 1970, an den Spätfolgen verstorben ist, sowohl an meinen Urgroßvater, der im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet wurde und meine Urgroßmutter, die nach Minsk deportiert wurde und dort vergast wurde, immer und allezeit und allerorts den Schwur von Buchenwald getreu zu folgen.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.
Redner: Andreas Dlabaja, geb. 5.5.1971, verheiratet, 3 Kinder, Enkelsohn von Erich Dlabaja, Buchenwaldhäftling, verstorben 1970, Sohn von Albert Dlabaja, Obmann der österr. KZ-Vereinigung Buchenwald.