„Deutscher – Jude – Kommunist“ – Kurt Julius Goldstein, André Goldstein über seinen Vater
Deutscher-Jude-Kommunist – so beschrieb er sich zeitlebens selbst.
Deutsch war seine Nationalität, Sprache und Kultur.
Jüdisch waren seine Wurzeln.
Kommunist war er aus Überzeugung.
Unser Vater, Schwiegervater, Groß- und Urgroßvater Julius Goldstein wurde am 3. November 1914 als jüngstes von 4 Kindern der jüdischen Kaufleute Emil und Ida Goldstein in Dortmund-Scharnhorst geboren.
Sein Vater meldete sich als Freiwilliger zum Militärdienst für Kaiser und Vaterland; und er kam schwer verwundet aus dem Krieg zurück. An den Folgen seiner Kriegsverletzungen verstarb er bereits 1920.
So keimten bereits in jungen Jahren bei unserem Vater pazifistische Ideen. Später schloss er sich dem jüdischen Jugendbund „Kameraden“ an. Sein weiterer Weg führte in die Sozialdemokratische Arbeiterjugend SAJ.
Nachdem die Sozialdemokraten aber entgegen ihren Wahlversprechen im Wahlkampf 1928 dann im Reichstag doch für den Bau der Panzerkreuzer A und B stimmten wandte er sich enttäuscht von diesen ab und fand den Weg zu den Jungkommunisten. Sein politischer Ziehvater war hier Max Reimann, der spätere Vorsitzende der KPD. Hier erhielt er auch seinen 2. Vornamen „Kurt“ als Decknamen, denn im Preußen der 20er Jahre war es Gymnasiasten verboten, Mitglied der kommunistischen Partei zu sein.
Schon als 14-jähriger machte er seine ersten Erfahrungen mit dem Antisemitismus – als Schüler auf dem Gymnasium in Hamm.
1933 – nach der Machtergreifung durch Hitler – musste er in die Illegalität.
Seine „12-jährige Reise von Deutschland nach Deutschland“ führte ihn über Luxemburg und Frankreich nach Palästina. Hier schloss er sich der KP Palästinas an und arbeitete auf dem Bau.
Als im Jahr 1936 General Franco mit Unterstützung von Hitlerdeutschland und Mussolinis Italien gegen die demokratisch gewählte sozialistische Regierung der spanischen Republik putschte gab es für ihn nur eines – er musste dorthin, um in den Reihen der Internationalen Brigaden mit der Waffe in der Hand gegen die Faschisten zu kämpfen. Er trat diese Reise gegen die Entscheidung der KP Palästinas an, die ihn nicht gehen lassen wollte.
Er nahm an verschiedenen Schlachten teil, war Richtkanonier und Polit-Kommissar, wurde verwundet.
Nachdem die spanische Republik der Übermacht der spanischen, deutschen und italienischen Faschisten unterlegen war, gehörte er zu den letzten Interbrigadisten, die die Pyrenäen nach Frankreich überschritten. Er wurde in Südfrankreich interniert und im Jahr 1942 von der Vichy-Regierung an Deutschland ausgeliefert. So kam er nach Auschwitz und erhielt die Häftlingsnummer 58866.
In Auschwitz-Birkenau angekommen meldete er sich auf Anraten eines dort auch inhaftierten Interbrigadisten am nächsten Tag für das Kommando im Außenlager Jawischowitz. Hier leistete er Sklavenarbeit in einer Steinkohlengrube.
Im Januar 1945 – als die Rote Armee immer näher rückte – wurde auch er auf den Todesmarsch nach Westen geschickt. Er war einer der knapp 500 von 3.000 seines Transportes, die mehr tot als lebendig im KZ Buchenwald ankamen.
Hier wurde er bei der Registrierung der Neuankömmlinge wieder von einem ehemaligen Interbrigadisten erkannt, der die illegale Organisation informierte. Die Genossen fanden einen Weg, ihn vor einem erneuten Todesmarsch zu bewahren und er erlebte den Tag der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald am 11. April 1945 als im Angesicht der herannahenden 3. US-Armee die SS-Mannschaften fluchtartig das Lager verließen.
Nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus nahm er seine politische Arbeit wieder auf. Zunächst in Thüringen, wo er die antifaschistischen Jugendausschüsse mitbegründete. Später in seiner Heimat – im Ruhrgebiet als Jungendsekretär der KPD. So war er der erste Vorsitzende der FDJ der Bundesrepublik.
Auf dem 1. Deutschlandtreffen der Jugend 1950 in Berlin traf er unsere Mutter.
1951 siedelte er in die DDR über, heiratete unsere Mutter Margot und zog mit ihr seine 5 Söhne auf.
Hier wirkte er zunächst im ZK der SED, später war er Chefredakteur und Intendant des Deutschlandsenders und von Stimme der DDR.
Die Verwirklichung des Schwurs von Buchenwald war ihm zeitlebens Antrieb.
Bis ins hohe Alter suchte er das Gespräch mit Schülern und der Gewerkschaftsjugend, um über seine Erfahrungen mit Intoleranz und Gleichgültigkeit, Rassenhass und Antisemitismus, Neonazismus und Rechtsradikalismus zu diskutieren. Von 1982 bis 1991 war er Sekretär der Internationalen Vereinigung der Widerstandskämpfer FIR. Nach 1990 wurde er Ehrenpräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, das dank seiner Initiative und Hartnäckigkeit seit 2003 seinen Sitz in Berlin in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand hat und Ehrenvorsitzender der VVN-BdA.
1996 verlieh ihm der spanische König in Anerkennung seiner Verdienste als Interbrigadist die spanische Ehrenbürgerschaft.
Eines der Ziele seiner politischen Arbeit war die Gleichbehandlung aller Opfergruppen des verbrecherischen nationalsozialistischen Systems. So setzte er sich unermüdlich ein für die Errichtung der Mahnmale für die Sinti und Roma und die Homosexuellen gleichberechtigt zum Holocaust-Mahnmal in Berlin. Ebenfalls großen Anteil hatte er an der Diskussion zur Entschädigung der Zwangsarbeiter.
Und er hatte den Mut, eine Klage gegen die Vereinigten Staaten von Amerika wegen der unterlassenen Zerstörung der Zufahrtswege zum Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz im Jahr 1944 – was die massenhafte Deportation der 400.000 ungarischen Juden nach Auschwitz erst ermöglichte – anzustrengen.
In seiner vielbeachteten Rede zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 2005 sagte er:
„Wenn wir es heute erleben, dass in unserem Vaterland Nazis wieder in Parlamenten sitzen, dass sie auf den Straßen demonstrieren, auch gegen den Wiederaufbau einer Synagoge in Bochum, die von Nazis 1938 selbst zerstört worden ist und dass das höchste deutsche Gericht diese Aufmärsche zulässt, weil es das Gut der Meinungsfreiheit höher setzt, dann sage ich: Für uns ist all dies unerträglich, wir leiden darunter…“
Würde er auf die heutige Situation schauen – er würde die richtigen Worte finden zu solchen Dingen, wie z.B. das Tragen eines sogenannten „Arschgeweihs“ durch einen bekannten Neonazi, das das Tor eines Konzentrationslagers zeigt, was lediglich mit einer Bewährungsstrafe durch das zuständige Amtsgericht geahndet wurde.
Auch die Konflikte in der Welt, das Aufkommen von Fremdenhass und Intoleranz in Deutschland und der Europäischen Union angesichts der auch durch die westlichen Staaten mitverursachten Flüchtlingskrise würde ihn zu deutlichen Statements veranlassen.
Ebenso die neuerlichen Versuche einer Frau Geipel und anderer, die Rolle der Roten Kapos umzudeuten, würden ihn auf den Plan rufen.
Anlässlich seiner Beisetzung im Jahr 2007 sagte der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees Christoph Heubner: „Kurt – wir vermissen dich….“
Dem kann ich nichts hinzufügen.
Wer mehr über Kurt Julius Goldstein erfahren möchte, dem sei das Buch „Nr. 58866 – Judenkönig“ von Rosemarie Schuder und Rudolf Hirsch empfohlen.