„In der Hölle Kommunist und Mensch geblieben“ Andreas Retterath über seinen Vater Walter Retterath
Nach dem Besuch der Volksschule bis 1908 erlernte Walter Retterath das Maurerhandwerk bis 1911. Bereits während der Lehrzeit trat er der Sozialistischen Arbeiterjugend bei. Der Lehrling beteiligte sich 1910 an einem Bauarbeiterstreik und erkämpfte eine Erhöhung des Lehrlingsgeldes mit. Nach Abschluss der Lehre wurde er Mitglied des Deutschen Bauarbeiterverbandes. Damit begann er in der organisierten Arbeiterschaft für die sozialen und politischen Interessen der Arbeiter einzutreten.
Während seiner Wanderschaft, die ihn in verschiedene Gebiete Deutschlands führte, arbeitete er als Kessel- und Schornsteinmaurer. Er erhielt das Vertrauen seiner Kollegen als ihr Interessenvertreter und als Mitglied von Betriebsräten.
Im Reichstagswahlkampf 1912 war er aktiver Wahlhelfer in den Gebieten Herne-Recklinghausen, Süd Wattenscheid, wo er auch erste Erfahrungen mit der Polizei machte. In Chemnitz lernte er Fritz Heckert kennen, der ihn in die SPD aufnahm.
Im Ersten Weltkrieg musste er ab 1915 als so genannter „Unsicherer“ Soldat an die Westfront. Während der revolutionären Ereignisse im November 1918 wählten ihn die Kameraden seiner Batterie in den Groß-Brüsseler Soldatenrat.
1918 kehrte er nach Zeitz zurück und arbeitete dort in der Braunkohlengrube „Kurt“. In dieser Zeit wurde er Mitglied der USPD und wechselte 1920 in die KPD, der er bis 1945 angehörte. Aus der mit Anna Urlitz im April 1919 geschlossenen Ehe gingen die Kinder Anneliese, Gertraude und Hans hervor.
Walter Retterath nahm aktiv an den Kämpfen gegen den Kapp-Putsch und am Mitteldeutschen Aufstand teil. Danach war er bis 1932 in den verschiedensten Funktionen tätig und übernahm viele wichtige Aufgaben.
Aus gesundheitlichen Gründen nach Zeitz zurückgekehrt, setzte ihn seine Partei für die Reichstagswahl 1932 als Wahlleiter für Eilenburg, Delitzsch und Umgebung ein. Derart in der Öffentlichkeit bekannt, war Walter Retterath der Verfolgung ausgesetzt. Er verbüßte mehrere Haftstrafen, unter anderem wegen Pressevergehen und Herausgabe illegaler Flugblätter.
Nach dem Reichstagsbrand gehörte er am 28. Februar 1933 zu den ersten Opfern der Naziverfolgung, kam jedoch am 2. März eher unbeabsichtigt wieder frei. In der Nacht zum 6. März 1933 ergriffen ihn die Nazis erneut und nahmen ihn in so genannte Schutzhaft. Von Juni 1933 bis April 1934 war er Häftling im KZ Lichtenburg in Prettin bei Torgau. Ein Haftbefehl wurde erst am 12. April 1934 durch das Amtsgericht Halle/Saale erlassen und es begann die Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis „Fort Zinna“.
In Halle/Saale verurteilte ihn der 5. Senat des Kammergerichts Berlin im März 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu vier Jahren Zuchthaus, die er bis Februar 1938 im Zuchthaus „Roter Ochse“ in Halle/Saale verbüßen musste. Nach Beendigung der Haftstrafe überstellte ihn die Gestapo am 17. März 1938 in das KZ Buchenwald. Als politischer Häftling mit der Häftlingsnummer 1609 trug er den roten Winkel.
Als im April 1938 im KZ Buchenwald die Zeitzer Genossen die erste illegale Gruppe bildeten, gehörte Walter Retterath zu den Aktivisten im Parteiaktiv der KPD mit der Mitgliedsnummer 399.
Nachdem er bis 1943 in verschiedenen Kommandos arbeiten musste, integrierten ihn die Genossen in die Häftlings-Lagerfeuerwehr. Er hatte u. a. Feuerlöschgeräte zu kontrollieren und konnte dadurch in allen Lagerbereichen und auch außerhalb der Postenkette Informationen einholen, Verbindungen herstellen und vielfältige Aufgaben des illegalen internationalen Lagerkomitees erfüllen. Unter anderem konnte er mit Rudolf Breitscheid und seiner Frau sprechen, die in einer besonders gesicherten Baracke im SS-Bereich untergebracht waren.
Er wirkte unter anderem mit, Waffen, ein Maschinengewehr und hunderte Schuss Munition in das Lager zu schmuggeln, und war aktiv an den Aktionen zur Vorbereitung der Selbstbefreiung beteiligt. Wie für viele andere Häftlinge endeten für Walter Retterath am 11. April 1945 zwölf Jahre Haft in faschistischen Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Getreu dem auch von ihm geleisteten Schwur von Buchenwald beteiligte er sich in verschiedenen Funktionen am „Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“.
Nachdem Walter Retterath 1957 in den Ruhestand ging, war er bis an sein Lebensende vielseitig ehrenamtlich aktiv. Sein besonders Anliegen bestand darin, jungen Menschen historische Kenntnisse und seine Erfahrungen zu vermitteln. Vielfach wurde er mit hohen staatlichen Auszeichnungen in der DDR geehrt. Ehrungen in seiner Heimatstadt Zeitz wurden nach 1990 getilgt.