TV-Duell zwischen Mario Voigt und Björn Höcke am heutigen Gedenktag der Befreiung von Buchenwald
12. April 2024
Das TV-Duell am 11.04.2024 – dem Tag der Selbstbefreiung und Befreiung des KZ Buchenwald – der Herren Voigt (Spitzenkandidat der CDU Thüringen) und Höcke (AfD) hat der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitee wie folgt kommentiert:
Ein besonderes TV-Duell, so will man uns weismachen: Ein Hochamt der Demokratie gewissermaßen. Und dennoch wissen alle, dass dieses Gespräch für beide Partner aus rein egozentrischen Motiven entstanden ist: Herr Voigt möchte etwas bekannter werden und sich als Hauptfigur in der thüringischen Politik positionieren. Dafür geht er gerne einen temporären Bund mit Herrn Höcke ein, der verkniffen und dennoch leichtfüßig aus der rechtsextremen Schmuddelecke der Gesellschaft in den Ring von Welt TV tänzeln darf -zwei wahrhaft ideologische Schwergewichte, die Thüringen aufmischen, wie es noch nie jemand geschafft hat, außer Welt-TV natürlich, das an diesem Tag das Erbe Axel Springers ganz besonders feiert.
Ach ja, da war doch noch was: Ja, an diesem 11. April im Jahr 1945 wurde das in Thüringen befindliche Lager Buchenwald befreit: Verdreckte, ausgehungerte und übriggebliebene Menschen entkamen in letzter Sekunde ihren deutschen Mördern: Sie verjagten sie und empfingen ihre amerikanischen Befreier genauso todmüde und traumatisiert wie in Auschwitz ihre Leidensgenossen die sowjetischen oder die Menschen in Bergen-Belsen ihre englischen Befreier empfangen hatten. Unter den Überlebenden, von denen die jüdischen und die der Sinti und Roma fast alle mutterseelenallein waren – alle ihre Familien waren in den Gaskammern der Nazis getötet worden – bestand nach diesen Befreiungen ein enges Band: Nationale Lagerkomitees von Überlebenden entstanden in vielen Ländern: Man suchte die Nähe, den Austausch, die gemeinsame Trauer und man suchte gemeinsam nach denen, auf deren Rückkehr man noch hoffte.
Jahre der Tränen, der abgrundtiefen Verzweiflung und auch des Hasses gegenüber den Tätern und all den Gleichgültigen in Deutschland, die alles gesehen und hatten geschehen lassen. Später entstanden auf der Grundlage der nationalen Komitees internationale Lagerkomitees, die die Arbeit erweiterten, die Überlebenden über Ländergrenzen zusammenführten und denen es sogar während der Zeiten des Kalten Krieges in Europa gelang die nationalen Komitees zusammenzuhalten -wie im Fall des Internationalen Auschwitz Komitees: Was man in Auschwitz, in Buchenwald, oder in Mittelbau-Dora gemeinsam durchlitten und ertragen hatte war stärker und verbindender als das, was einem die Ideologen des Kalten Krieges an Distanz verordnen wollten.
Jetzt waren sie „Überlebende“. Die neue Identität war kein Endstadium: Vielmehr mussten sie ihre Befreiung tagtäglich neu erkämpfen. Dabei entwickelten sie eine enge Bindung an den Tag ihrer Befreiung und zu den Orten ihres Leidens: Sie wollten – gerade an den Jahrestagen der Befreiung- als freie Menschen zu diesen Orten zurückkehren, sich selbst mussten und der Welt wollten sie sagen: Wir haben überlebt. Wir sind die Sieger der Geschichte. Wir werden auf die Welt aufpassen, damit „so etwas“ nicht wieder geschehen kann: Natürlich, die Überlebenden hätten mit Flugzeugen oder Bussen nach Deutschland reisen können, koordinierte Anreise zu den Gedenkfeierlichkeiten, bei denen sie sich gegenseitig in ihren Sprachen ihre Ängste und ihre Hoffnungen, ihre Forderungen und ihre Wut hätten mitteilen können, um dann -an den Deutschen vorbei- in geschlossenen Bussen diesen Ort der deutschen Schande schnellst möglichst wieder zu verlassen: Aber -und das ist ihre Größe – sie haben sich anders entschieden: Überlebende sind auf die Angehörigen und die Nachkommen der Täter zugegangen, sie haben Gesprächsangebote gemacht, in Schulen, in Kirchengemeinden, bei den Gewerkschaften: Sie haben erzählt und erzählt, über populistischen Hass, antisemitischen Terror, die Ideologie der Nazis, die Systematik der Vernichtung in den Lagern, die Gesichter der Täter und deren Verschwinden am Ende des Krieges. Sie haben beklagt, dass die Schuldigen wieder in der Mitte der Gesellschaft ihre Plätze fanden, dass kaum ein Gerichtsverfahren gegen die Täter eröffnet wurde, dass die Gleichgültigkeit eiseskalt weiterlebte.
Und sie haben erzählt über die Republik und die Demokratie und dass man sie schätzen und schützen muss. Ja, auf diese Weise und mit dieser Haltung haben die Überlebenden den Deutschen überhaupt erst die Tür zur Welt geöffnet und den Weg zurück in die Völkergemeinschaft geebnet. Und sie haben gehofft, dass die Deutschen und ganz besonders die jungen Deutschen nach der Wiedervereinigung den Satz leben würden, mit dem die ungarisch-jüdische Auschwitz-Überlebende Erszi Szemes jedes ihrer Zeitzeugengespräche beendete: „Ihr müsst die Republik behüten.“
Und nun also, am 11. April 2024, reisen Überlebende und ihre Nachkommen nach Weimar und Buchenwald, um am Tag ihrer Befreiung mit einem TV – Spektakel konfrontiert zu werden, das sich auch noch als besonderer Beitrag des Gedenkens kostümieren möchte. Die Überlebenden fragen sich, ob den Beteiligten klar ist, welche Irritationen und Verletzungen der Missbrauch dieses Tages und die Auslieferung dieses Termins an Herrn Höcke bei ihnen hervorrufen werden: Sie machen sich über die Rolle Herrn Höckes im europäischen Faschismus und dessen Pläne längst keine Illusionen mehr und es ist ihnen absolut unverständlich, wie Menschen in Thüringen bei der nächsten Wahl Höcke und seine braune Partei überhaupt in Betracht ziehen können, wo sie Buchenwald, Mittelbau-Dora und andere Gedenkstätten tagtäglich vor Augen haben. Die Überlebenden der Lager, unter ihnen die unvergessene Eva Fahidi aus Budapest, die vor wenigen Monaten starb, haben in Thüringen vor vielen Menschen gesprochen und ihnen berichtet, was ihnen widerfahren ist und welche politischen Kräfte dafür Verantwortung getragen haben. Das alles darf nicht vergebens gewesen sein.