Inklusives Gedenkprojekt „1000 Buchen“ 88. Pflanzaktion im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten zum 79. Jahrestag zur Selbstbefreiung des KZ Buchenwald

29. April 2024

Im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten zum 79. Jahrestages der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald wurden wieder 4 Erinnerungsbäume im Projekt 1000 Buchen des Lebenshilfewerks Weimar/Apolda gepflanzt. Damit erhielten wieder Opfer der NS-Schreckensherrschaft ein Gesicht.

Am Samstag 13. April bei der 88. Pflanzaktion im Landschaftspark Nohra waren zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer, u.a. auch aus Frankreich, Italien, Norwegen, Spanien, Tschechien, Ukraine anwesend, um der ehemaligen Häftlinge zu gedenken.

Justus Lencer, Aufsichtsratsvorsitzender des Lebenshilfe Werks Weimar Apolda, begrüßte die Baumpaten und Gäste.

Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Ralf Kirsten, Bürgermeister der Stadt Weimar und Roland Bodechtel, Bürgermeister der Gemeinde Grammetal, wiesen in ihren Grußworten mit eindringlichen Worten auf die Rechtsentwicklung in Deutschland hin. Es war zu spüren, dass dies nicht nur ihnen, sondern allen Anwesenden große Sorgen bereitet.

Sabine Stein, ehemalige Archivleiterin der Gedenkstätte Buchenwald informierte über die historische Bedeutung des Pflanzortes im Landschaftspark Dora. Dort wurde das erste Konzentrationslager Deutschlands errichtet und vom Flugplatz Nohra wurden nach der Lagerbefreiung von Buchenwald ehemalige Häftlinge zurück in ihre Heimat geflogen.

“ Vielleicht taucht bei einigen von Ihnen die Frage auf, warum wir heute hier, an diesem Ort die vier Erinnerungsbäume für ehemalige Häftlinge des KZ Buchenwald pflanzen. Einem Ort, der scheinbar nichts mit der Geschichte des Lagers zu tun hat – außer der Blick auf den Ettersberg mit dem Glockenturm zwischen den Bäumen. Doch es gibt mindestens vier Berührungspunkte zwischen dem Pflanzort und Buchenwald.
Der erste, und den möchte ich etwas ausführlicher beleuchten, betrifft den Standort des Sammellagers Nohra auf dem Gelände des heutigen Landschaftsparks.

Während der Jahre des 1. Weltkrieges entstand der Militärflugplatz Nohra.  Er wurde aber nach kurzer Nutzung im Zuge der Entmilitarisierung wieder stillgelegt und teilweise abgerissen. In einem der Restgebäude mietete sich 1928 die sogenannte Heimatschule Mitteldeutschland ein. Das war ein republikfeindlicher Verein mit völkischen und militaristischen Zielen. Die Heimatschule wurde von einem ehemaligen Reichswehroffizier geleitet. In den Jahren der großen Wirtschaftskrise rekrutierten sie junge Unterstützungsempfänger für einen Freiwilligen Arbeitsdienst. Die Heimatschule wurde zum Arbeitsdienstlager mit rechtsextremer Ausrichtung. Über hundert junge Arbeitsdienstwillige wurden hier mit körperlicher Arbeit und wehrsportlichen Übungen erzogen. „Deutsch sein heißt treu sein“, stand in goldenen Lettern über dem Eingang. Das Foto von einer Feier im Herbst 1932 zeigt einen Teil der Kursanten bereits mit Hakenkreuzbinden, die unter einer Hakenkreuzfahne posieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Thüringen bereits eine faschistische Regierung.

Mit der Machtübergabe an Hitler begann die brutale Unterdrückung der linken Gegner. Nach dem Reichstagsbrand entfesselten die Nationalsozialisten einen blutigen Terror gegen sie. Die Verordnung des Reichspräsidenten Hindenburg „zum Schutze von Volk und Staat“, die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“, setzte wesentliche Persönlichkeitsrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft und begründete einen nie beendeten Ausnahmezustand. Gegner konnten in Haft genommen werden, ohne Rechtsanspruch und Begründung. Aus Parteigliedern der NSDAP wie der SA oder der SS rekrutierte der faschistische Thüringer Staat Hilfspolizisten. Selbst die „Schüler“ der Heimatschule wurden zu Hilfspolizisten und Wachleuten, die unter dem Kommando der Weimarer Schutzpolizei standen. Sie bewachten das erste staatliche Konzentrationslager für sogenannte Schutzhäftlinge in Deutschland.

Noch am Tag der Reichstagsbrandverordnung wies das Thüringer Innenministerium alle Polizeistellen an, Kommunisten zu verhaften. Recht schnell fiel die Entscheidung, sie in den Räumen der Heimatschule Nohra zu inhaftieren. Bereits drei Tage später, am 3. März 1933, trafen die ersten Gefangenen in Nohra ein. Ihre Zahl stieg schnell auf 170 und nach einer Woche auf 220. Unter ihnen waren gewählte Stadt- und Gemeinderäte der KPD, Parteifunktionäre und sogar Landtagsabgeordnete, sechs der zehn kommunistischen Abgeordneten im Thüringer Landtag. Sie alle wurden in drei Räumen im Obergeschoss der Heimatschule mehr als beengt untergebracht. Willy Gebhardt/Jena, Leander Kröber/Meuselwitz, Richard Zimmermann/Jena, Arno Voigt /Großbreitenbach und Richard Eyermann/Bad Salzungen waren wenige Jahre später politische Häftlinge im KZ Buchenwald erneut inhaftiert.

Am 5. März 1933 sollte die Reichstagswahl stattfinden, der Terror gegen Kommunisten diente der direkten Einschüchterung vor dem Wahlgang. Doch die Inhaftierten, noch nicht ganz ohne Rechte wie in späteren Konzentrationslagern, erzwangen ihre Wahlbeteiligung. So war das Dorf Nohra, der Ort der Stimmabgabe für das Lager, wohl der einzige Ort in Thüringen, wo am 5. März 1933 die KPD zur stärksten Partei wurde und die überwiegend nationalsozialistisch wählenden Heimatschüler und Dorfbewohner abhängte.

Fritz Sauckel, Gauleiter der NSDAP in Thüringen, inspizierte am Wahltag das sogenannte Sammellager Nohra, die Presse berichtete davon. Bis Ende März 1933 ging die Zahl der Insassen auf ein Viertel (60) zurück, Ende Juli 1933 wurde das Konzentrationslager Nohra aufgelöst.

Im historischen Rückblick – mit dem Wissen von Buchenwald und Auschwitz – erscheint es nurmehr als Episode einer langen Verbrechensgeschichte. Doch das Lager existierte zu einem Zeitpunkt, als diese Entwicklung noch nicht abzusehen und auch nicht unumkehrbar war. Zu wenige verteidigten die Verfassung und die Republik. Deshalb heißt es auch immer wieder: Wehret den Anfängen.

Nach der Befreiung des KZ Buchenwald nutzte die 9. Airforce der US Armee den Feldflugplatz Nohra bis zum Juli 1945.

Ausländische Delegationen, Pressevertreter und Militärs landeten mit ihren Maschinen, um das bereite Lager zu besichtigen. Aber auch ehemalige Häftlinge wurden über den Flugplatz in ihre Heimatländer zurückgeflogen. Am 27. April 1945 verließ der letzte Transport der französischen Kameraden das Lager, wie in einer Ausgabe der „Buchenwalder Nachrichten“, der Zeitung der befreiten Häftlinge berichtet wurde. Oberst Manheś, der Vorsitzende des französischen Komitees und Marcel Paul bestiegen hier das Flugzeug, welches sie nach Paris zurückbrachte. Über die Repatriierung belgischer Staatsangehöriger und die Überführung kranker befreiter Häftlinge durch das 120th Evacuation Hospital im April 1945 existiert in der Sammlung der Gedenkstätte eine Fotoserie.

Lassen Sie mich zum Schluss über ein mich sehr bewegendes Erlebnis sprechen. Nach Abzug der Amerikaner aus Thüringen nutzte die Rote Armee viele Jahre den Flugplatz als Hubschrauberbasis. Nach der politischen Wende verließen im Sommer 1992 die letzten 16 Kampfhubschrauber die Militärbasis. Am 12. August 1992, am späten Mittwochnachmittag, wir waren gerade auf dem Nachhauseweg zur Bushaltestelle, kreisten diese 16 Hubschrauber über dem Appellplatz. Einer von ihnen stand in der Luft und warf genau über dem Gelände des ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenenlagers einen Rosenstrauß ab. Danach zogen sie noch eine Schleife und flogen davon. Am Rosenstrauß war ein handgeschriebener Zettel befestigt. Seine Übersetzung lautet: „Ewiges Gedenken den Häftlingen von Buchenwald. Heute, am 12. August 1992, geben wir Euch – nach Russland fliegend – einen letzten Gruß und wir verneigen uns ein letztes Mal vor Euch. Die Piloten des Selbständigen Hubschrauberregiments „Unter Nohra“. Der Regimentskommandant Oberst N. Safronov“ Nikolaj Gennad’evič Safronov war zwischen 1990 und 1992 der Regimentskommandeur.

Sie sehen, den Pflanzort hier im Landschaftspark und Buchenwald verbindet einiges.“

Eindrucksvoll berichtete Gisela Döring, Landesvorsitzende der VVN-BdA Sachsen-Anhalt über das Leben von Robert Siewert und seine Einsatz zur Rettung der Kinder im KZ Buchenwald.

„Bäume wurden geschändet.
Ein Baum wird heute und hier zum Gedenken an Robert Siewert (1887-1973) gepflanzt. Der Politiker, Widerstandskämpfer und Gründungsmitglied der VVN war nach illegaler Tätigkeit gegen den faschistischen Terror acht Jahre Häftling im KZ Buchenwald.
Dr. Eugen Kogon, Mithäftling, bürgerlicher Demokrat, rühmte ihn  in seinem, schon 1947 erschienenem Buch „Der SS-Staat“, als „ein Beispiel der Sauberkeit, Menschlichkeit und persönlichen Mutes“.

Der von Idealen erfüllte Kommunist, Robert Siewert, rettete als Kapo Hunderten von überwiegend polnischen und jüdischen Kindern und Jugendlichen das Leben durch Arbeit und Ausbildung in dem von ihm geleiteten Baukommando I.
Zum gefährlichen politischen Häftling gestempelt, überlebte er seine von der SS geplante Hinrichtung im April 1945 in einem von seinen Mithäftlingen gesicherten Versteck.
Am 18. Mai 1945 traf er mit einer Gruppe ehemaliger Buchenwaldhäftlinge in Halle an der Saale ein.
Ohne sich zu schonen stellte er sich mit Sachkenntnis und Humanismus dem Wiederaufbau des materiell und geistig am Boden liegenden Landes zur Verfügung. Gegründet auf seine politische Integrität und sein charismatisches Auftreten gelang es ihm, besonders bei der Jugend, Mut und Zuversicht zu verbreiten, die Menschen aufzurichten und Nachsicht gegenüber sogenannten Mitläufern zu üben.
In hoher Regierungsverantwortung als 1. Vizepräsident der neu gebildeten Provinz Sachsen stehend hatte er, gemeinsam mit dem Präsidenten, Prof. Hübner, bürgerlicher Demokrat, hohen Anteil an der konsequenten Entnazifizierung, aber auch daran, junge Menschen als Neulehrer:innen und Volksrichter:innen zu gewinnen.

Später als Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt unterstützte er, im Zuge der Bodenreform, Hunderte von umgesiedelten Bauern beim Aufbau von Neubauernwirtschaften.
Im Gefolge von stalinistischen Repressionen , gegründet auf den Vorwurf der Zugehörigkeit zur kommunistischen Opposition in der Weimarer Republik, wurde Robert Siewert seiner Regierungsämter enthoben.
Langjährig war er danach in verantwortlichen Funktionen im Bauministerium der DDR tätig.

Als Mitglied des Präsidiums des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer:innen setzte er sich voll Engagement für den Aufbau von würdigen Gedenkstätten, besonders der ehemaligen KZ Sachsenhausen, Ravensbrück und Buchenwald ein.
Hochgeachtet von seinen ehemaligen Kameraden aus dem KZ Buchenwald arbeitete er ehrenamtlich als Präsidiumsmitglied der International Federation of Resistants Fighters (FIR).
Als Zeitzeuge, seinen sozialistischen Idealen treu geblieben, vermittelte er jungen Menschen lebendiges Wissen über das Wesen des deutschen Faschismus, machte ihnen Mut, sich dagegen zu wappnen und legte ihnen nahe, im Sinne der in den KZ und Zuchthäusern Ermordeten stets für Humanismus und Völkerverständigung einzutreten.“

Katinka Poensgen, Baumpatin des Erinnerungsbaumes für Karel Vrkoslav, schilderte die Freundschaft zwischen Karel Vrkoslav und ihrem Großvater Karl Vögtel, die in der gemeinsamen Lagerhaft gewachsen war.

„Karel Vrkoslav ist am 2. Mai 1902 geboren. Er lebte mit seiner Frau Anna in Jilemnice, im heutigen Tschechien. Dort war der gelernte Schmied in einer antifaschistischen bewaffneten Organisation aktiv.
Im Juni 1940 wurde Karel von den Nazis verhaftet und nach Dachau verschleppt. Von dort deportierten sie ihn im Dezember 1940 nach Buchenwald. Er bekam die Häftlingsnummer 1585 und wurde im Block 45 untergebracht, schräg hinter dem Block 39, in dem mein Großvater, Karl Vögtel, inhaftiert war.
Nach verschiedensten Arbeitskommandos wurde Karel ab dem 30. April 1942 in den Deutschen Ausrüstungswerken (DAW), einem Rüstungsbetrieb der SS, direkt angrenzend ans Häftlingsgelände, zur Zwangsarbeit verpflichtet. Mein Großvater, ein deutscher Kommunist, war dort bereits seit einigen Wochen als Schlossermeister im Einsatz. Spätestens hier haben die beiden, Karel und Karl, sich kennengelernt und angefreundet.
Nach der Befreiung kehrte Karel zu seine Frau Anna nach Jilemnice zurück und mein Großvater zu seiner Frau Luise nach Mettmann.
Bei meiner Recherche zum Leben meiner Großeltern habe ich Fotos und Briefe gefunden. In einem Brief, datiert auf den 28. April 1970 schreibt Karel: „Wir hatten am 11. und 12. April 70 Feierversammlung der Widerstandskämpfer in Prag aus verschiedenen KZ gehalten, auch von Buchenwald sind sehr viele von uns dabei…Viele Kameraden, die dich Karl, in Buchenwald gekannt haben und bei dir arbeiteten, sehr gerne an dich denken und dich herzlich grüßen.“
Je intensiver ich mich mit dieser Freundschaft beschäftigt habe – den Fotos aus dieser Zeit und den gegenseitigen Briefen, in denen auch etliches von Besuchen meiner Großeltern bei Karel und Anna in Jilemnice zu finden ist, umso tiefer war ich berührt. Hält sich doch in manchen Köpfen immer noch die Legende, die deutschen Kommunisten in Buchenwald wären nur auf ihren persönlichen Vorteil aus gewesen.
Letztes Jahr, bei der Baumpflanzung für meinen Großvater, kam mir die Idee, dass Karel unbedingt auch einen Baum braucht. Ob Anna und Karel Kinder hatten wusste ich nicht.
Ich habe Kontakt nach Jilemnice aufgenommen und per Zufall Václava Benesová per Mail kennengelernt. Sie hat den Bürgermeister von Jilemnice, David Hlavác, und das tschechische Fernsehen über die heutige Baumpflanzung für Karel informiert.
Václava hat sich auf Spurensuche begeben: So weiß ich jetzt, dass Anna und Karel einmal ein kleines Mädchen hatten, das direkt nach der Geburt gestorben ist. Weitere Kinder hatten sie nicht. Es gab einen Neffen, der leider auch nicht mehr lebt. Václava hat alte Menschen getroffen, die noch wussten, dass Karel bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv war und dass er Jäger war. Dass er gerne auf die Jagd ging, wusste ich bereits von den Briefen und Fotos. Einmal schrieb er meinen Großeltern: “Wildbrett haben wir da immer genug und manchmal ist schade schießen, besser anschauen“.
Auf dem Friedhof von Jilemnice gibt es kein Grab mehr. Wie lange Anna gelebt hat, weiß ich bis heute nicht. Karel ist am 17. September 1976 gestorben.
Vier Jahre vorher schrieb er zum Tod meines Großvaters an meine Oma: „Es tut dir freilich Schmerz und Weh, gerade wie auch uns hier, denn wir liebten Karl sehr wie einen sehr guten Freund schon in schlimmen Zeiten, wo man am besten Menschen kennen lernt, und werden drum ihn stets ehren. Wir waren ihm für seine Güte viel schuld, vor allem fühlte er die unmenschliche Ungerechtigkeit gegen ihn selbst, aber auch gegen uns, die einer anderen Nation gehörten. Ehre und ewigen Frieden seiner Seele! Wir müssen alle hin, aber nicht mit schwerer Sünde und Schande.“

Margret Rest und ihre Tochter Annette Magdeburg machten uns mit dem bewegtenLeben ihres Vaters/Großvaters Willi Rattai Buchenwaldhäftling-Nr.4 vertraut.

Annette Magdeburg: “ Mit  19 Jahren habe ich mein Abitur gemacht und startete in eine Ausbildung. Meine Zukunft war aufregend und hoffnungsvoll.
Mein Opa Willi Rattai, Bergarbeitersohn aus Essen, war ebenfalls 19 Jahre, als die Nazis die Macht übertragen bekamen. Da er schon vor 1933 aktiv im kommunistischen Jugendverband in seinem Stadtteil den aufkommenden Faschismus bekämpft hatte, musste er sofort in die Illegalität gehen.
Aber schon im August wurde er verhaftet und im Essener Polizeipräsidium 3 Wochen fürchterlich gefoltert. Dann kam er, ohne jegliches Gerichtsurteil, 1 Jahr in Gefängniseinzelhaft. Erst dann verurteilte ihn das Oberlandesgericht Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 2 ¼ Jahren Haft. Die Strafe saß er mit vielen anderen jungen Genossen aus dem Ruhrgebiet im Gefängnis in Bochum ab.
Als ihn seine Mutter nach Strafende abholen wollte, bekam sie ihn nicht zu Gesicht.
Er wurde am Heiligen Abend 1935 in eines der berüchtigten Moorlager nach Esterwegen bei Papenburg gebracht. Die schwere Arbeit setzt ihm dort sehr zu. Alte Freunde aus der Heimat, die schon länger inhaftiert waren, halfen ihm jedoch immer wieder auf.
Im Juli 1936 erfolgte die Überführung in das KZ Sachsenhausen, wo er anfangs im Klinkerwerk Schwerstarbeit leisten musste, später kam er in die Effektenkammer.
Nach genau einem Jahr, am 15. Juli 1937 gehörte er zu den ersten Häftlingen, die hier nach Buchenwald kamen. Seine Häftlingsnummer war die 16. Die ersten Häftlinge mussten zuerst den Zaun ziehen, der sie selber einsperrte. In der Baracke 13 wurde er bis zum 21. Dezember 1937 inhaftiert.
Dann erfolgte aber plötzlich die Entlassung nach Hause, wo er sich jedoch jeden 2. Tag bei der Gestapo melden musste.
Als am 1. September 1939 Deutschland den Krieg begann, wurde er an seinem Arbeitsplatz verhaftet. Im Gestapokeller in Essen sah er viele seiner Genossen, die dann in der Folge in den Folterkammern der Nazis umkamen. Bis Weihnachten dann noch einmal Haft im KZ Sachsenhausen
Da die faschistische Wehrmacht Soldaten brauchte, wurde er erneut gemustert. Beim ersten Mal war er als wehrunwürdig eingestuft worden, jetzt aber musste er in den Krieg ziehen.
Als Deutschland 1945 befreit wurde, hatten die Faschisten meinem Opa fast die ganze Jugend gestohlen.“

Margret Rest: “ Nach dem Krieg setzte sich mein Vater, Willi Rattai sofort gegen die alten und neuen Nazis ein. Er wurde Gründungsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in NRW und war lange ihr Vorsitzender in Essen. Bis zu seinem Tod 1997 handelte er nach der Maxime: Die Verpflichtung, den Faschismus  mit seinen Wurzeln auszurotten, steht nach wie vor!
Mein Vater und seine Kameraden sind nicht mehr unter uns, so dass wir, ihre Kinder , Enkelkinder und andere Nachkommen ihre Arbeit übernehmen müssen. Heute, mehr denn je!“

Falk Bindheim, Gewerkschaftssekretär IG Metall Jena-Saalfeld gab den Gästen einen Einblick in die Zwangsarbeit bei Carl Zeiss.

„Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Zuallererst möchte ich mich für die Einladung und die Möglichkeit hier sprechen zu können bedanken.

Mein Name ist Falk Bindheim, ich arbeite als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall in der Region Saalfeld-Jena-Gera und bin unter anderem für die ZEISS Betriebe in Jena zuständig.

Reinhold hat mich eingeladen zum Thema Zwangsarbeit bei ZEISS etwas zu sagen und mir und den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten, Aktiven und Betriebsräten bei ZEISS damit die unschätzbare wertvolle Aufgabe mit auf den Weg gegeben erneut zu Gedenken und zu Erinnern. Für diesen Stein, den du lieber Reinhold und alle die an diesem großartigen Projekt beteiligt sind, angestoßen hast, möchte ich mich ein zweites Mal bedanken.

ZEISS hat sich in seiner Geschichte als Unternehmen seit der Gründung der ZEISS Stiftung im Jahr 1889 eine besondere soziale Verantwortung in die Unternehmensphilosophie geschrieben. ZEISS als Stiftungsunternehmen hatte eine für damalige Verhältnisse sehr liberale Einstellpolitik und über das Statut auch eine gewisse Absicherung für die Autonomie des Unternehmens gegenüber staatlichen und privaten Einflüssen.
Anfängliche Angriffe auf das Statut konnten noch abgewehrt werden – natürlich wurde versucht ZEISS in eine NS- konforme staatlich gelenkte Organisation umzuwandeln. Nach dem die Geschäftsleitung sich ihren Status behaupten konnte und viel stärker noch Verlauf des Krieges hat, war man aber um ein gutes Verhältnis mit den Machthabern bemüht.
Die Geschäftsleitung passte sich an und trug auch weitreichende Änderungen im Stiftungsstatut mit. Der massive Einsatz von Zwangsarbeit in den Unternehmen der ZEISS Stiftung hat gegen die eigenen Prinzipien des Unternehmens verstoßen.

So gesehen hat ZEISS im Dritten Reich die Stiftungsverfassung gegen Angriffe von außen verteidigt, einen Teil der Grundsätze aber auch abgelegt und hat sich vor allem auf wirtschaftliche Interessen beschränkt.
Bei ZEISS ließ sich die Produktion während des Krieges nur mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern steigern, ein großer Teil der Stammbelegschaft war zur Wehrmacht eingezogen.
Kriegsgefangene und sogenannte Zivilarbeiter – verschleppt oder angeworben – waren im Grunde die einzigen verfügbaren zusätzlichen Arbeitskräfte. Zusätzlich machten die Produktionsprozesse bei ZEISS einen hohen Anteil an Facharbeiten notwendig und auch die Neuerrichtung von Ausweichstätten in den besetzten Gebieten spielte bei ZEISS keine Rolle.

Wie in der gesamten deutschen Wirtschaft begann der systematische Zwangsarbeitereinsatz mit der Besetzung Frankreichs, Belgiens und der Niederlande im Sommer 1940.
Waren es am Anfang noch Kriegsgefangene in den Stiftungsbetrieben wurden es nach und nach immer mehr Zivilarbeiter aus den besetzten Ländern.
Ab 1942 dann auch immer mehr Zwangsarbeiter aus den besetzten Ostgebieten – sogenannte Ostarbeiter.

Im September 1942 klagte die ZEISS Geschäftsführung an den Generalbevollmächtigten des NS-Regimes in Thüringen der für die Arbeitseinsätze zuständig war: „Mit Ostarbeitern lässt sich auf Dauer kein hochwertiges Messgerät herstellen.“

Skrupel die Zwangsarbeiter einzusetzen, obwohl es gegen das Völkerrecht verstößt und auch die Haager Landkriegsordnung den Einsatz von kriegsgefangenen zur Zwangsarbeit verbietet, hatte man in der ZEISS GF allerdings nicht.
Zusätzlich hatte man bei ZEISS durch die eigene Betriebsordnung auch eine kollektive Regelung die Zwangsarbeiter von der Stammbelegschaft ausgrenzte. Das galt auch für Deutsche, die während des Krieges eingestellt worden waren. Auch diese waren von den Bestimmungen des Statuts ausgeschlossen – befristete Beschäftigte sah das Statut nicht vor.
Bei ZEISS rechtfertigte man den Ausschluss nach dem Krieg damit, dass auch der Stifter Ernst Abbe, wenn er das Wesen des total geführten und absoluten Krieges je kennengelernt hätte, befristet für den Krieg Beschäftigte von den Bestimmungen des Statuts ausgeschlossen hätte.

Der Einsatz von Zwangsarbeitern war durch behördliche Vorgaben reglementiert. Zwangsarbeiter aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden wurden besser bezahlt und waren weniger Zwängen ausgesetzt als Ostarbeiter, die in der Regel ihr Lager nicht verlassen durften und willkürlicher Gewalt ausgesetzt waren. Völlig entrechtet waren die KZ-Häftlinge die zur Rüstungsproduktion eingesetzt wurden.
ZEISS hatte keinen Einfluss auf die Grundmuster der Zwangsarbeit aber durch die Zuteilung von Essenrationen, der Organisation von Arbeit und der Ausgestaltung der Lager durchaus Spielraum.
Inwieweit ZEISS konkret die Zuweisung von Zwangsarbeitern verfolgt hat, lässt sich heute nicht mehr generell beantworten. Allerdings wusste ab 1942 jedes Unternehmen das, wenn es weitere Arbeitskräfte beantragt, nur noch Zwangsarbeiter zugewiesen werden konnten.
Bei den Zwangsarbeitern, die während der ersten Kriegsjahre bei ZEISS eingesetzt wurden, handelte es sich überwiegend um Menschen aus Belgien.
Insgesamt hat ZEISS während des Krieges rund 2300 Belgier als Zwangsarbeiter eingesetzt, die meisten davon Zivilarbeiter. Der Anteil der Kriegsgefangenen Zwangsarbeiter war bei ZEISS niedriger als in der gesamten deutschen Wirtschaft und auch der Einsatz von sogenannten Ostarbeitern war prozentual geringer. Insgesamt gab es einen hohen Anteil an Facharbeitern und angelernten Kräften die über Zwangsarbeit bei ZEISS ausgebeutet wurden.

Nach den Abschriften im Jenaer Stadtarchiv gab es bei ZEISS in Jena von 1940 bis 1945 insgesamt 8081 Zwangsarbeiter. Im Jenaer Glaswerk Schott waren es 3500. Zu Höchstzeiten des Zwangsarbeitereinsatzes, im Oktober 1944 entsprach der Anteil der Zwangsarbeiter an der Gesamtbelegschaft bei dem Glashersteller Schott 44%. Bei ZEISS lag der Anteil der bei 29%.
Die Behandlung der Zwangsarbeiter lag nicht allein an der Auslebung der behördlichen Anordnungen, sondern häufig auch an dem praktischen Verhalten von Betriebsleitern, Werkmeistern und Lageraufsehern. Vorstand und Geschäftsleitung hatten in der Regel sehr wenig mit dem konkreten Arbeitseinsatz von Zwangsarbeitern befasst.
Allerdings hat das Heinz Küppenbender – Teil der Geschäftsführung bei ZEISS seit 1941, nicht davon abgehalten vor wörtlich „falschen Sentimentalitäten“ im Umgang mit Zwangsarbeitern zu warnen. 
Weiterhin hat er als Teil der ZEISS GF die Verschleppung und den Einsatz von Zivilarbeitern in Deutschland ausdrücklich befürwortet, weil so: „ein höherer Wirkungsgrad“ bei ZEISS erzielt werden könne.

Allerdings wurden bei ZEISS wie bei SCHOTT Übergriffe und Gewalttaten gegenüber Zwangsarbeitern geahndet – keine Selbstverständlichkeit im Gegenteil, aber eben auch eine Seltenheit und prinzipiell war es allen Betrieben möglich. 
Der Betriebspolizist Ernst Fasold, wurde im März 1944 von einem Sondergericht in Weimar zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er als Aufseher für das Ostarbeiterlager bei ZEISS russische Zwangsarbeiter mit einem Gummiknüppel geschlagen hat und ihm die Unterschlagung von Lebensmitteln nachgewiesen wurde.
Bei SCHOTT hatte der Geschäftsführer Erich Schott jedem mit fristloser Entlassung gedroht, der Zwangsarbeiter schlägt – mindestens in einem Fall wurde ein sogenannter Ausländerbetreuer entlassen, weil er russische Zwangsarbeiter geschlagen hatte.

KZ-Häftlinge wurden in den Jenaer Stiftungsbetrieben nicht eingesetzt. Nachweislich aber bei vier Tochtergesellschaften.
Der massivste Einsatz KZ-Häftlingen zur Zwangsarbeit für ZEISS erfolgte bei ZEISS IKON in Dresden.
Im Goehle Werk und im Reick Werk mussten über 900 Frauen aus dem KZ Ravensbrück Zwangsarbeit leisten. Hauptsächlich für Zündvorrichtungen für die Rüstungsproduktion. Besonders schlimm entwickelte sich die Situation im Goehle Werk – hier gab es keine Stammbelegschaft, sondern ausschließlich den Einsatzes von Zwangsarbeitern.
Misshandlungen und die katastrophale Versorgungslage führten unzähligen Toten. Auch mehrere Fluchtversuche von Zwangsarbeitern und ein Hungerstreik der Frauen aus dem KZ Ravensbrück – legen Zeugnis ab über den unmenschlichen Zustand bei ZEISS IKON im Umgang mit Zwangsarbeit.

Das waren die zugegeben stark verkürzten Schlaglichter auf die Geschichte von ZEISS im Dritten Reich und den Einsatz von Zwangsarbeit im ZEISS Konzern – dich ich euch und Ihnen heute nahelegen wollte.
Dabei sind auch diese Schlaglichter nur Teile der gesamten Geschichte von Gewerkschaften, Belegschaften und Unternehmen im Nationalsozialismus.
Die Frage nach der Bedeutung für unser Handeln im Hier und Heute für uns als Gewerkschaft ist dabei, und deshalb empfinde ich es auch als ein so großes Privileg heute hier sprechen zu können, eine ständige Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als politischer Mensch und dem Wollen & Handeln unserer Mitglieder als Gemeinschaft.
Diese Auseinandersetzung in die Zukunft zu übertragen – eine Zukunft und so formuliert es die Satzung der IG Metall einer weiteren Demokratisierung und Teilhabe Aller Menschen an Wirtschaft und Gesellschaft, und zwar unter Fernhalten von neofaschistischen, militaristischen und reaktionären Elementen ist sowohl Aufgabe als auch Ziel der IG Metall.

Wir haben heute hier durch euch und durch Sie meine sehr geehrten Damen und Herren die Möglichkeit bekommen diese Auseinandersetzung auch gemeinsam fortzuführen können.
Dafür am Schluss von mir noch ein herzliches Dankeschön.“

Reinhold Loch, zusammen mit seinen Brüdern Ulrich und Florian Baumpate für den Baum zur Erinnerung an alle Menschen, die während der Naziherrschaft Zwangsarbeit leisten musste, erinnerte daran, dass Zwangsarbeit vor aller Augen stattfand und an die Verstrickung der deutschen Wirtschaft in die unmenschliche Zwangsarbeit.

„Mein Name ist Reinhold Loch, ich bin Sohn des ehemaligen Buchenwaldhäftlings Erich Loch Häftlingsnummer 1393, bin Mitglied in der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V, koordiniere in ihrem Auftrag seit 2015 die Baumpflanzungen zu den Jahrestagen der Lagerbefreiung zwischen den Baumpaten und dem Lebenshilfe-Werk. Zusammen mit meinen Brüdern Ulrich und Florian pflanze ich den Erinnerungsbaum für alle Menschen, die Zwangsarbeit zur Aufrechterhaltung des deutschen Angriffskrieges leisten mussten.

Zwei Aspekte sind uns als Baumpaten besonders wichtig:

1. Zwangsarbeit gehörte zum Alltag der deutschen Bevölkerung und fand vor aller Augen statt.

2. Wem nutzte diese unmenschliche Zwangsarbeit? Auf der Erinnerungstafel sind stellvertretend für alle Profiteure drei Firmen genannt, nämlich Krupp, Siemens und BMW.

Wenn wir die aktuellen Kriege und Konflikte betrachten, müssen wir leider feststellen, dass viele der Firmen, die bereits unter der Naziherrschaft zu den Profiteuren gehörten, heute wieder an den Kriegen und Konflikten in aller Welt außerordentlich verdienen.

Herzlichen Dank an das Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda mit Frau Heller und Frau Jung, dass sie mit ihrem Projektteam 1000 Buchen für Buchenwald diese beeindruckende Pflanzzeremonie ermöglichen. Herzlichen Dank an alle Sprecherinnen und Sprecher, an alle Gäste  und ich hoffe darauf, viele von ihnen im nächsten Jahr zum 80. Jahrestages der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald wieder zu sehen.

Bleiben sie gesund und optimistisch. Im Ruhrpott sagt man am Ende „Glück auf““

Roswitha Loch zur Zwangsarbeit

„Da die Deutschen als Soldaten der Wehrmacht auf den Schlachtfeldern eingesetzt waren, setzte das NS-System zur Aufrechterhaltung und Ausweitung der Kriegswirtschaft zunehmend auf Zwangsarbeit. Nach Kriegsbeginn gab es ca. 8,4 Millionen zivile Zwangsarbeiter:innen aus Europa, ca. 4,6 Millionen Kriegsgefangene, sowie ca. 1,1 Millionen KZ-Häftlinge, die in einem unmenschlichen Unterdrückungs- und Ausbeutungssystem für das Deutsche Reich in der Großindustrie, in mittelständischen Betrieben, im Bergbau, in der Bauindustrie, in der Landwirtschaft, in staatlichen Institutionen und Betrieben sowie auch in Privathaushalten arbeiten mussten. Die Zahl der Zwangsarbeiter:innen in den besetzten Gebieten wird auf 13 Millionen geschätzt.

Diese europäische Dimension der Zwangsarbeit war geprägt von einem Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen Ausbeutungsinteressen und rassenideologischen Vorgaben. Innerhalb der Opfergruppe der Zwangsarbeiter:innen (z.B. sogenannte Asoziale, Sinti und Roma, Ostarbeiter, Arbeiter aus Westeuropa, sowjetische und andere Kriegsgefangene, Juden, Frauen, KZ-Häftlinge) gab es eine Hierarchie, die sich auf die brutalen und leidvollen Lebens- und Arbeitsbedingungen und somit auf die Überlebenschancen auswirkte. Am Ende der Hierarchie standen die KZ-Häftlinge.

Der Alltag der Zwangsarbeiter:innen war von steigender Arbeitszeit (bei KZ Häftlingen 11-12- Stunden) bei Hungerrationen, mangelhafter Kleidung und Ausrüstung, Kälte, Gewalt und Furcht von Bestrafungen geprägt. Die Überlebenschancen hingen auch von Entscheidungen der Polizei, Justizbehörden und der SS ab. Sondergerichte beschlossen Todesurteile bei kleinsten Vergehen. Es gab Arbeitserziehungslager mit KZ-ähnlichen Bedingungen und die sogenannte Sonderbehandlung, d.h. Hinrichtung ohne Verfahren.
Zahlreiche nationale, regionale und kommunale Dienststellen, sowie NS-Organisationen (Rüstungsministerium, Arbeitsämter, Reichssicherheitshauptamt, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel) waren für die Organisation der Zwangsarbeit zuständig, um die steigenden Bedürfnisse der Rüstungsindustrie zu erfüllen.

Im Verlauf  des Krieges wurden zahlreiche KZ-Häftlinge außerhalb der Konzentrationslager in der Rüstungsproduktion eingesetzt. Dafür entstanden zahlreiche KZ-Außenlager in der Nähe der Arbeitsorte, so auch in unserer Heimatstadt Essen. In Buchenwald waren ab Juli 1942 Häftlinge im Gustloffwerk II eingesetzt und ab August 1943 in Dora zum Bau der sogenannten Wunderwaffe V2 in unterirdischen Stollen. Auf Grund der entsetzlichen Lebensbedingungen in Dora überlebten bis Ende März 1944 ca. 6.000 der etwa 17.000 bis dahin nach Dora deportierten Häftlinge nicht.
Zwangsarbeit gehörte zum Alltag der deutschen Bevölkerung, war allgegenwärtig und fand vor aller Augen statt. Es gab Täter, Helfer, Profiteure und Zuschauer.

Die Zwangsarbeiter:innen waren lange Zeit eine vergessene Opfergruppe. Der einzige zentrale Erinnerungsort in Deutschland und Europa ist das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide auf dem Gelände eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers mitten im Wohngebiet.

Beschämend ist der lange Weg bis zu einer Entschädigungsregelung und das lange fehlende Unrechtsbewusstsein. Zwar waren die Strafen für die Organisatoren im Nürnbergprozess hoch (Todesstrafe für Fritz Sauckel), jedoch fielen sie in den sogenannten Nachfolgeprozessen für Nutznießer wie Industrielle, Manager, Banker milder aus. In den westdeutschen Nachfolgeprozessen wurde Zwangsarbeit als unvermeidbare Begleiterscheinung des Krieges bewertet, die Verantwortlichen seien vom NS-Staat gezwungen worden, Zwangsarbeiter:innen einzusetzen.

Im Sommer 2000, erst 55 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, gründeten der deutsche Staat und 6.500 Unternehmen, bei weitem nicht alle Profiteure, die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit einem Entschädigungsfond, in den freiwillig 5 Milliarden DM eingezahlt wurden.

Der hier gepflanzte Baum steht für die Erinnerung an die Opfergruppe der Zwangsarbeiter:innen als gesellschaftliche Aufgabe.“

Rica Gottwald sang zum Abschluss die Mauthausenkantate mit dem Text von Iakovos Kamanellis und der Musik von Mikis Theodorakis. Mit großem Beifall für dieses Lied endete eine beeindruckende Pflanzzeremonie.                                                  

“ Die ich liebe, ist schön, unsagbar schön, ich seh sie vor mir in ihrem Sommerkleid mit einem Kamm im schwarzen Haar. Man hat sie fortgebracht, und keiner sieht, wie schön sie ist. Man hat sie fortgebracht, und keiner weiß wohin, wohin.
Ihr Mädchen von Auschwitz, ihr Mädchen von Dachau.
Ich frage, wer sie getroffen hat, ich frage, wer sie gesprochen hat, ich frage euch, wer sie sah, wer sie sah.
Wir trafen sie auf einer langen Reise. Ihr Kleidchen hatte sie verloren, lang schon zerbrochen war ihr Kamm.

Die ich liebe ist schön, unsagbar schön, wenn sie die Mutter sanft gestreichelt hat, wenn sie der Bruder zärtlich küsst. Man hat sie fortgebracht und keiner sieht, wie schön sie ist.
Man hat sie fortgebracht und keiner weiß wohin, wohin.
Ihr Mädchen von Mauthausen und ihr von Bergen-Belsen. Ich frage, wer sie getroffen hat, ich frage, wer sie gesprochen hat, ich frage euch, wer sie sah, wer sie sah.
Wir trafen sie auf kahlem Platz im Eiswind, ihr Arm trügende schwarze Nummer, ihr Herz schlug noch unterm gelben Stern“

Reinhold Loch