Internationale Überlebendenverbände des KZ Mittelbau-Dora drücken tiefe Besorgnis vor Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen aus

17. September 2023

Bei der bevorstehenden Stichwahl (Sonntag, 24. September 2023) werden dem AfD-Kandidaten Jörg Prophet realistische Chancen eingeräumt, Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen zu werden. Die Geschichte Nordhausens ist auf das engste mit der des KZ Mittelbau-Dora verbunden. 20.000 Häftlinge überlebten 1943 bis 1945 die Deportation in die Stadt nicht. Entsprechend alarmiert zeigen sich internationale Überlebendenverbände, zu denen sowohl die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora als auch die Stadt Nordhausen in den letzten Jahrzehnten enge Bindungen aufgebaut haben.

Nordhausen sei „einer der symbolträchtigsten Orte der nationalsozialistischen Verbrechen, und die Erinnerung daran muss in vollem Umfang bewahrt und verteidigt werden“, betont die Association Française Buchenwald Dora et Kommandos. Dies wird nun durch Äußerungen des AfD-Kandidaten in Frage gestellt.

Prophet inszeniert sich als sachorientierter Konservativer. Tatsächlich aber, darauf wiesen heute Gedenkstättenleiterin Anett Dremel und Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner vor internationalen Medienvertreter:innen hin, verbreitet er aber geschichtsrevisionistische Ideologie und unterscheidet sich geschichtspolitisch in keinerlei Hinsicht von seinem Thüringer Parteichef Björn Höcke. 2020 schrieb Prophet, bei der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora im April 1945 hätten die amerikanischen Soldaten „Morallosigkeit“ gezeigt und seien nur daran interessiert gewesen, „Technologien des Tötens“ in Besitz zu nehmen, „um die eigene Stellung in der Welt zu sichern“. Die demokratische Erinnerungskultur diskreditiert er als „Schuldkult“.

Den 8. Mai 1945 als den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zu benennen, lehnt Prophet als „sozialistisch“ ab. Den britischen Luftangriff auf Dresden („Morde von Dresden“) setzt er mit dem Vernichtungslager Auschwitz gleich, er verweist auf angebliche amerikanische Verbrechen in den Rheinwiesenlagern und behauptet, der Nationalsozialismus sei eine linke Diktatur gewesen – all dies klassische Schlagwörter extrem rechter revisionistischer Geschichtspolitik.

Die französische Comission Dora Ellrich verweist auf die engen Freundschaften zwischen Überlebenden und Nordhäuser:innen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind: „Unsere Reisen und unser Austausch haben [seit 1989] dazu beigetragen, in der schwer getroffenen Stadt Nordhausen […] eine andere Geschichte zu schreiben. Eine Geschichte des Austauschs, der Freundschaften und des Respekts. […] Sollten wir im Jahr 2023 erneut darauf verzichten müssen, diese schöne Region zu besuchen? Sollten wir verzichten müssen auf die Freundschaften und den Reichtum all dessen, was wir gemeinsam aufgebaut haben […]?“

Auch die frühere Nordhäuser Oberbürgermeisterin Barbara Rinke, die an dem Pressegespräch teilgenommen hat, betonte die Bedeutung der engen Beziehungen zwischen Stadt, Gedenkstätte und Überlebenden, die bei einer Wahl Prophets ernsthaft gefährdet seien. Das Internationale Komitee Buchenwald, Dora und Kommandos (IKBD) erklärt zudem: „Für das IKBD ist es unvorstellbar, dass die letzten Überlebenden der KZ-Lager und ihre Familien […] in Nordhausen von einem Bürgermeister aus den Reihen einer Partei begrüßt werden könnten, deren politisches Programm aus Aufrufen zur Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Nationalismus und Revisionismus besteht.“

Die israelische Organisation Irgun Sh’erit Hapleta, in der unter anderem zahlreiche ehemalige Häftlinge des KZ Mittelbau-Dora zusammengeschlossen sind, äußert ebenfalls ihre Besorgnis über die bevorstehenden Wahlen und stellt klar, dass eine Zusammenarbeit mit Jörg Prophet ausgeschlossen ist. Die vollständigen Stellungnahmen der Verbände finden Sie hier: https://www.dora.de/newsroom/aktuelle-meldungen/stellungnahmen-ob-wahl-verb%C3%A4nde

„Das internationale Ansehen Nordhausens würde durch die Wahl eines Geschichtsrevisionisten zum Oberbürgermeister schweren Schaden nehmen“, sagte Jens-Christian Wagner. „Verhindern können das die Wählerinnen und Wähler. Sie können dafür sorgen, dass Nordhausen eine vielfältige und weltoffene Stadt bleibt, die sich ihrer historischen Verantwortung bewusst ist“.