Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler im Widerstand und Konzentrationslager.
29. September 2009
Eine Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora im Neuen Museum Weimar
Es begann mit einem Anruf im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald vor sechs Jahren. Eine Mitarbeiterin der Stiftung Bauhaus Dessau erkundigte sich, ob es möglich sei, daß ein Häftling am Tage seiner Entlassung im Jahr 1939 mit einem Möbelwagen das Konzentrationslager Buchenwald verlassen konnte. Diese Frage – zunächst ohne weitere Erklärungen für deren Anlaß – mußte verneint werden. Eine E-Mail, wenige Tage später, verbunden mit Entwurfzeichnungen für Möbel, aquarellierten Raumskizzen und Fotos von Sessel, Stuhl und Tisch brachte Aufschluß. Es handelte sich um Teile des umfangreichen Nachlasses von Franz Ehrlich (1907–1984), der sich in der Stiftung Bauhaus Dessau befindet und mit dessen Erschließung gerade begonnen worden war.
Über den Bauhäusler Franz Ehrlich, der zwei Jahre seines Lebens als politischer Häftling im Konzentrationslager Buchenwald verbringen mußte, gab es im Archiv der Gedenkstätte bis Ende der 90er Jahre nur spärliche biografische Informationen. Im Kulturstadtjahr 1999 zeigte die Gedenkstätte Buchenwald eine Ausstellung mit dem Titel »Leben – Terror – Geist«, in der europäische Künstler und Intellektuelle, die Häftlinge des Lagers waren, mit ihren Lebensentwürfen vorgestellt wurden. In diesem Zusammenhang begann auch die Sammlung zur Person von Franz Ehrlich. Aufgrund der notwendigen Reduzierung des Gestaltungskonzeptes und der Anzahl der vorgestellten Biografien mußten die Kuratoren u. a. auch auf seine biografische Darstellung verzichten. Die oben erwähnte Anfrage aus Dessau war Anlaß, die vorhandenen Informationen zu ergänzen und zu vervollständigen.
Am 28. Dezember 1907 im Leipziger Osten geboren, besuchte Franz Ehrlich von 1914 bis 1922 die Volksschule. Frühzeitig entwickelten sich die technischen und künstlerischen Begabungen. Nach einer Lehre als Maschinenschlosser, der Arbeit als Maschinist und Heizer nahm er ein Ingenieurstudium auf. Angeregt durch den Besuch der Bauhausausstellung 1923 in Weimar, für den er einen Fußmarsch von Leipzig aus unternahm, faßte Franz Ehrlich den Entschluß, am Bauhaus zu studieren. Er wollte »nicht Architekt, Formgestalter oder Künstler werden, sondern Bauhäusler«. Im April 1927 nahm ihn Walter Gropius persönlich ins Bauhaus Dessau auf. Franz Ehrlich begann seine Ausbildung dort mi einer Lehre als Tischler. Er besuchte Kurse u. a. bei Paul Klee, Wassily Kandinsky und Joost Schmidt, arbeitete später sogar zeitweise im Büro von Walter Gropius und Hans Poelzig. 1930 schloß er das Studium mit dem Diplom für Architektur und Plastik ab. Seine Sozialisation und die Orientierung auf die Moderne prägten auch den politischen Menschen Ehrlich. In Leipzig und Dessau gehörte er der Sozialistischen Arbeiterjugend an; als Studierendenvertreter trat er mit einer Gruppe anderer Bauhausschüler zum kommunistischen Jugendverband über. Später wurde er Mitglied der KPD und stand früh im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1930 kehrte Franz Ehrlich wegen besserer Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten nach Leipzig zurück und erhielt eine einträgliche Beschäftigung als Typograf beim Verlag »Für die Frau« Otto Beyer zur Gestaltung sämtlicher Zeitschriften. Dort stellte er 1933/34 sein Atelier in der Felixstraße 3 als Redaktionsstube und Druckerei für die illegale Zeitung »Junge Garde« zur Verfügung. Am 19. August 1934 verhaftete ihn die Gestapo. Nach zehnmonatiger Untersuchungshaft erfolgte vor dem Oberlandesgericht Dresden die Verurteilung wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zu drei Jahren Zuchthaus. Während der Haftzeit im Zuchthaus Zwickau »Schloß Osterstein« entstanden 50 Arbeiten, vorwiegend Aquarelle, die als »Blätter aus der Haft« einen kleinen, aber beachtenswerten Teil im Gesamtschaffen von Franz Ehrlich einnehmen. »In meiner Freizeit habe ich gegen den Widerstand der gesamten Beamtenschaft mir eine bescheidene künstlerische Tätigkeit geschaffen, in der ich das gemalt habe, was ich wollte«, erinnert er sich 1947. Gleich nach der Entlassung im August 1937 nahm ihn die Gestapo in Schutzhaft, und Franz Ehrlich kam am 2. September 1937 in das erst wenige Wochen bestehende Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Durch die illegale Arbeit in Leipzig und dem Zuchthaus Zwickau war er kein Unbekannter unter den politischen Häftlingen und konnte deshalb bald aus dem Steinbruch in das Werkstättenaufbaukommando eingegliedert werden. SS- Bauleiter Robert Riedl, mit dem Lageraufbau völlig überfordert, erkannte die handwerklichen Fähigkeiten von Franz Ehrlich und ließ ihn als Architekt und Designer zu sich in das Baubüro versetzen. Im Winter 1937/38 mußten die Häftlinge das massive Lagereingangsgebäude mit den Arrestzellen bauen. Der Leiter des SS-Baubüros wollte ein Motto in das schmiedeeiserne Eingangstor einfügen und übertrug Franz Ehrlich den typografischen Entwurf für die Inschrift.
Der Bauhäusler, der seine Ausbildung in Dessau bei Joost Schmidt und Herbert Bayer erhalten und beim Verlag Otto Beyer die »neue linie« typografisch umgesetzt hatte, führte den Auftrag in der ihm wichtigen Schrift aus. Nach seinen Entwürfen entstand als Kunstschmiedearbeit in der Schlosserwerkstatt des Lagers das Eingangsgebäude mit dem Schriftzug »JEDEM DAS SEINE«. Zur typografischen Umsetzung schreibt Professor Gerd Fleischmann auf Anfrage der Gedenkstätte: »Bauhaus, vor allem sein Lehrer und Schriftpromoter Joost Schmidt, stecken im J, dem runden M und dem runden N, wo Ehrlich einen (nicht ganz verständlichen und statisch auch nicht notwendigen) Kompromiß mit dem kleinen Anstrich eingegangen ist. Dazu paßt auch das runde A. Das M und N hat auch Bayer in seinem Entwurf einer Einheitsschrift. Das gerundete E findet sich in Systemschriftversuchen von Schwitters und Tschichold.« Die von Franz Ehrlich beabsichtigte subversive Form in der Gestaltung der Torinschrift erkannte die SS-Lagerführung nicht. Im Gegenteil, »das Tor war so zur Zufriedenheit der SS ausgefallen, daß wir das Tor für Sachsenhausen ebenfalls entwerfen und ausführen durften«, erinnerte er sich 1947.
Nach der Entlassung aus dem KZ Buchenwald am 14. Oktober 1939 und für »wehrunwürdig« erklärt, erhielt Franz Ehrlich eine Arbeitsverpflichtung als Angestellter der SS-Bauleitung Buchenwald (SS-Hauptamt Haushalt und Bauten). In dieser Stellung plante und projektierte er verschiedenste Lagergebäude, entwarf die Innenausstattung der Kommandanturwohnungen in Buchenwald und Sachsenhausen. Zeichnungen, Entwürfe und Mustermöbel stammen aus dieser Zeit. Damit erklärt sich auch die eingangs erwähnte Anfrage der Stiftung Bauhaus Dessau. Die in der dortigen Sammlung aufbewahrten Möbel sind die Mustermöbel für die Kommandantur und wurden tatsächlich im Möbelwagen aus Buchenwald abtransportiert.
»Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler in Widerstand und Konzentrationslager« ist eine von fünf geplanten Ausstellungen, die mit Unterstützung der Thüringer Landesregierung stattfinden. Sie wird von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora erarbeitet und im Neuen Museum in Weimar vom 2. August bis zum 11. Oktober 2009 gezeigt. Anders als die von der Stiftung Bauhaus Dessau aus Anlaß seines 100. Geburtstages gezeigte Schau »Franz Ehrlich. Der moderate Funktionalist« stellt die geplante Ausstellung die Jahre 1930 bis 1943 – die Jahre des Widerstandes, der Verfolgung und Haft in den Mittelpunkt. Das Lagertor des Konzentrationslagers Buchenwald, Franz Ehrlichs wichtigstes Artefakt dieser Zeit, wird im Zentrum stehen. Im Kontext eingeordnet sind 30 der bereits erwähnten »Blätter aus der Haft« und Entwurfszeichnungen aus dem Baubüro Buchenwald. Ergänzend soll eine plastische Arbeit gezeigt werden, die Ende der 30ger Jahre als Entwurf entstand, aber erst sehr viel später als Modell von ihm ausgeführt wurde – das Denkmal »Erinnerung an Buchenwald«. Nur eine Minderheit unter den Schülern und Lehrern des Bauhauses leistete aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Auf ihre Biografien wird im ersten Teil eingegangen.
Die Schau endet mit einer zweiten Ausstellung, die in diesem Kontext wie eine Hommage an das Meisterwerk Franz Ehrlichs wirkt: »-273,15°C = 0 Kelvin« – eine Medieninstallation von Nina Fischer und Maroan el Sani. Zu sehen ist eine verhaltene, mit Musik unterlegte Kamerafahrt durch das verlassene DDR –Rundfunkgebäude in der Berliner Nalepastraße, welches Franz Ehrlich 1951 bis 1955 entwarf.
Die Ausstellung »Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler im Widerstand und Konzentrationslager« wird nur einen schmalen Ausschnitt aus dem Gesamtwerk des Bauhaus-Schülers, Designers und Architekten, der gerade in jüngster Zeit neu entdeckt wird, vorstellen. Die Darstellung des gesamten Schaffens von Franz Ehrlich bleibt einem Forschungsprojekt der Stiftung Bauhaus Dessau vorbehalten. Sie bewahrt auch den umfangreichen Nachlaß des bislang wenig beachteten Bauhäuslers, dem unsere Ausstellung gewidmet ist.
Sabine Stein, erschienen in Thüringer Museumshefte 2/2008.