Ansprache von Guy Ducoloné aus Anlass des 63. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald am 13.04.2008 (auf dem ehemaligen Appellplatz)

17. April 2008

Vor 63 Jahren befreite Buchenwald sich selbst

Eine jährlich wiederkehrende Feier reicht nicht aus, um das Andenken an ein Ereignis zu bewahren.

Dennoch sind wir seit einigen Jahrzehnten, praktisch seit April 1945, als die Nazis auf dem Ettersberg besiegt wurden, zahlreich hier bei dieser Feier anwesend.

Ich hoffe und wünsche, daß sich die Menschheit noch lange an die nazistischen Verbrechen am deutschen Volk und den Völkern aller von der Nazi-Armee besetzten Länder erinnert.

Und wenn ich vom deutschen Volk spreche, dann denke ich auch an die Juden und die Sinti und Roma, die schuldig wurden, nur weil sie geboren waren.

Ich denke an die mutigen Frauen und Männer, die sich teilweise schon seit 1933 der faschistischen Ideologie widersetzten, einer Ideologie, die einfache Menschlichkeit ausschloß.

Diese Männer und Frauen, die seit Hitlers Machtergreifung in die Konzentrationslager Dachau und Oranienburg sowie zahlreiche kleinere Lager verschleppt wurden, wie Lichtenburg, dessen Insassen als erste nach Buchenwald kamen.

Die Nazis sperrten die Deutschen ein und töteten alle, die sich ihnen widersetzten.

Am 9. März 1939 erklärte Goebbels :

« Es gibt heute immer noch Menschen, die für Verräter den Nobelpreis verlangen. Aber wir betrachten einen Verräter an seinem Land als Verbrecher. »

Er dachte dabei vor allem an Carl von Ossietsky, seit 1932 in Haft und Nobelpreisträger 1936, der in Dachau im August 1938 stirbt und an Ernst Thälmann, der am 25. August 1944 in Buchenwald ermordet wird

1937 und 1938 werden zahlreiche neue Lager eröffnet.

Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück.

Man könnte sie „die Lager des kommenden Krieges“ nennen.

1938-1939 wurden Österreicher, Tschechen und Polen inhaftiert.

Sie treffen auf die im Mai 1938 eingelieferten Sinti und Roma und die nach dem 9. November 1938 verhafteten deutschen Juden.

Wenn man an diese Zeit erinnert, darf man nie vergessen, daß vor 75 Jahren im März die Machtergreifung durch Hitler am Anfang stand;

seine Rassenpolitik und die Glorifizierung des sogenannten « Herrenmenschen »

seine Politik der Annektierung und Besetzung der Länder Europas und die Zerstörung von allem – einschließlich des Menschen – was sich seiner Politik widersetzte.

Von Gedenken zu reden und diese Tatsachen zu vergessen oder herunterzuspielen, sie mit anderen Perioden zu vermischen, bedeutet, das Gedenken wesentlicher Bestandteile zu berauben.

Nimmt man die Geschichte nazistischer Konzentrationslager, stellt man fest, daß Buchenwald von 1942-1943 an eine Sonderstellung einnimmt.

Das hängt auch damit zusammen, daß die Häftlingsfunktionen nicht wie in den anderen Lagern von Verbrechern, Dieben und anderen Häftlingen mit grünem Winkel ausgeübt wurden, sondern von deutschen politischen Gefangenen.

Manche kritisieren diese Situation und vermuten oder behaupten, daß die politischen Häftlinge mit der SS zusammen gearbeitet hätten.

Es ist an der Zeit, dieses Gerede und die Unwahrheiten zu beenden.

Es wäre unverantwortlich, die Ehre dieser Männer zu beschmutzen.

Sie haben ganz im Gegenteil unter Einsatz ihres Lebens den richtigen Kampf geführt.

Natürlich war die innere Lagerverwaltung Zwängen unterworfen, aber niemand kann leugnen, daß sie folgende positive Auswirkungen hatte:

Einerseits nahm die SS weniger direkten Einfluß auf das Geschehen innerhalb des Stacheldrahtzauns

Und andererseits verringerte sich die Brutalität der Blockältesten und der Kapos gegenüber den Häftlingen beträchtlich.

Während die « Grünen » die Aggressionen der SS gegen die Häftlinge noch verstärkten, hatten die « Roten » das gleiche Ideal: Hitler zu bekämpfen.

Die « Roten » gestatteten und förderten die Bildung der – illegalen – nationalen Solidaritätskomitees.

Ohne sie, ohne diese Männer mit ihren Schwächen – einige waren seit 1933 in Haft – wäre es niemals möglich gewesen, den nationalen und internationalen Widerstand aufzubauen und zu organisieren, der zur Befreiung des Lagers führte.

Die nazistische Diktatur ist durch ihre Barbarei und ihre Verbrechen, durch ihre Kriege und die grausame Besetzung der Völker Europas etwas ganz Besonderes und kann deshalb mit keiner anderen verglichen oder vermischt werden.

Buchenwald vermittelt ein typisches Bild eines Konzentrationslagers.

Es ist auch das Bild eines Lagers, in dem Tausende Häftlinge Tunnel gegraben haben, in denen die Kriegsindustrie untergebracht werden sollte, wie die V1 und V2 in Dora.

Aber es ist auch das Bild eines Konzentrationslagers, wo die Häftlinge die Evakuierung verlangsamen konnten und 20.000 von uns den Todesmarsch erspart haben, die dann als freie Menschen die amerikanischen Truppen begrüßen konnten.

Deshalb möchte ich als Vize-Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos unsere strikte Ablehnung jeder Vermischung zweier geschichtlicher Epochen zum Ausdruck bringen, die in Deutschland von einigen angestrebt wird.

Es handelt sich um die Zeit des Nazismus und die Zeit nach dem Krieg.

Der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald hat das zusammen mit den Direktoren der anderen Lager-Gedenkstätten unterstrichen.

Der Häftlingsbeirat der Gedenkstätte Buchenwald hat zu Recht sagen können, dass « jene, die eine Vermischung anstreben, die Bedeutung herabsetzen, die die nazistische Barbarei in der deutschen Geschichte hat. »

Ich füge hier noch hinzu, daß der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland an gleicher Stelle im Juli 2007 gesagt hat : « SED-Diktatur und Nazi-Regime haben nichts gemeinsam, und jeder Versuch, Parallelen herzustellen, ist eine himmelschreiende Relativierung der Entrechtung, Deportierung, und fabrikmässigen Ermordung von Millionen unschuldiger Männer, Frauen, und Kinder während der Nazi-Diktatur. »

Ich will meine Ausführungen zu diesem meines Erachtens für die historische Wahrheit in Europa entscheidenden Problem beenden, indem ich drei Sätze aus dem Memorandum zitiere, das von den französischen Verantwortlichen der Stiftung für das Gedenken an die Deportation, von den Präsidenten der Häftlingsverbände und ausnahmslos aller Lagergemeinschaften an die deutsche Bundeskanzlerin geschickt wurde.

Es heißt darin:

« Es erscheint unzulässig, unter derselben Gedenkpolitik historische Epochen zusammenzufassen, von denen eine die Ursache der anderen ist.

Die sowjetische Besetzung des Ostens Deutschlands ist die direkte Folge des nazistischen Angriffs auf die UdSSR im Juni 1941.

Die zwei Gedenkformen sind nicht auf eine Stufe zu stellen und sie in einem einheitlichen Dokument zu behandeln, wie dieser Gesetzesentwurf es tut, ist besonders schockierend. »

Es ist ganz und gar logisch – und diese Texte stellen das klar – daß die Erinnerung an eine geschichtliche Epoche nicht erlaubt, sie mit der Erinnerung an andere Epochen zu vermischen.

Und es ist ebensowenig erlaubt, ein ganzes Volk für die begangenen Verbrechen verantwortlich zu machen.

Diese Erinnerung und dieses Andenken müssen als das, was sie sind, bewahrt werden: in dem Zeitraum, in dem die Dinge geschehen sind und wer sie begangen hat und warum.

Die Epochen zu vermischen, bedeutet, sie gleichzusetzen und schließlich das Wesentliche zu vergessen.

Ihr jungen Deutschen, Franzosen, Österreicher, Polen, Russen oder Angehörige der Länder der ehemaligen Sowjetunion, wir alten Häftlinge aus ganz Europa können die Verbrechen nicht vergessen, die 12 Jahre lang begangen wurden.

Ein bedeutender französischer Intellektueller, Louis Martin-Chauffier, hat diesbezüglich geschrieben: « das Vergessen wäre ein Aufgeben ».

Die Gedenkstätten der Lager und die Tätigkeit der Stiftungen sind dazu da, unsere Wachsamkeit aufrecht zu erhalten.

Erinnern wir uns daran, daß Frauen, Kinder und Männer im Gas umgekommen sind. Daß in allen Lagern Männer und Frauen unter Hunger, Schlägen, Zwangsarbeit gelitten haben und körperliches Elend kennengelernt haben und dennoch – manchmal bis zum letzten Atemzug – den Willen nicht aufgegeben haben, gegen den Feind zu bestehen.

Der weithin sichtbare Glockenturm der Gedenkstätte Buchenwald ist eine gute Erinnerung an eine alte Geschichte, aber auch eine ständige Vision, die eine Wiederholung solcher Verbrechen verhindern soll.

Er erinnert auch daran, daß in diesem Lager die Häftlinge Teil hatten am Sieg über die Nazis.

Übersetzung: Franka Günther