»Einspruch!« – Notizen von einer Konferenz der VVN-BdA

29. April 2010

»Einspruch!« – Notizen von einer Konferenz der VVN-BdA

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen«, prangte vom Transparent hinter der Podiumsbühne des Audi Max der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten haben zu einer zweitägigen geschichtspolitischen Konferenz anlässlich des 8. Mai geladen, die (trotz herrlichem Wetter) erstaunlich stark und – ebenso erfreulich – hälftig von jungen Leuten besucht worden ist. Es könne und dürfe keine Relativierung und Bagatellisierung der Verbrechen des Faschismus geben, so der Konsens. Eine Gleichsetzung der Nazidiktatur mit der DDR verbiete sich.
Caritas

»Alle Totalitarismustheorien sind nicht geeignet, die empirische Wirklichkeit sowohl des Faschismus wie des Kommunismus hinreichend zu erklären«, so FU-Professor Wolfgang Wippermann. Thomas Lutz von der Topographie des Terrors in Berlin hat nichts gegen Vergleiche, erhob aber auch »Einspruch!« gegen das in Brüssel artikulierte und von der Birthler-Behörde wie der Stiftung Aufarbeitung unterstützte Ansinnen, einen europäischen »Gedenktag für alle Opfer von Diktaturen und Totalitarismen« einzuführen – auserkoren ist dafür der 23. August, der Tag, an dem der »Hitler-Stalin-Pakt« geschlossen wurde. »Das ist der fieseste geschichtsrevisionistische Vorstoß«, urteilte Kurt Pätzold.

Der Faschismusforscher sprach in der zweiten Tagungssektion, die »Einspruch!« gegen eine Rede von Bundespräsident Köhler erhob: »Wir trauern um alle Opfer, weil wir gerecht gegen alle Völker sein wollen, auch gegen unser eigenes.« Pätzold verwies auf die verdrängte Vertreibung und Flucht von Juden und Andersdenkenden aus Nazideutschland schon 1933 (!) und aus den ersten »angeschlossenen« und »heimgeholten« Territorien (Saarland, Österreich, Sudetengebiet). Heinrich Fink, Vorsitzender der VVN-BdA, sieht revanchistische Tendenzen in Vertriebenenverbänden noch heute. Dem müsse Widerstand entgegengesetzt werden, mit »Aufklärung, Aufklärung und nochmals Aufklärung«. Holger Politt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung erklärte, dass die Polen ihre Identität nach wie vor stark über die traumatischen Erlebnisse unter der deutschen Okkupation definieren. Aber auch der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 spiele in der Wahrnehmung eine große Rolle, wogegen die eigene Beteiligung an der Zerschlagung der CSR in Folge des Münchener Abkommens 1938 ausgeblendet werde.

Der dritte »Einspruch!« richtete sich gegen die Behauptung, es sei nicht von einer verbrecherischen Geschichte der deutschen Gebirgstruppen zu sprechen. Rosario Bentivegna, ehemaliger Angehöriger des italienischen Widerstandes, der Historiker Hannes Heer (Wehrmachtsausstellung) und der Bundessprecher der VVN-BdA Ulrich Sander konterten mit historischen Fakten und polemisierten gegen Apologie hinsichtlich des Angriffskrieges auf Afghanistan.

Der vierte »Einspruch!« galt der Gedenkstättenpolitik in der Bundesrepublik. Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, konzedierte Fortschritte in jüngster Zeit, die sich großteils bürgerschaftlichem Engagement verdanken. Staatliches Selbstlob »vorbildlicher Erinnerungskultur« sei fehl am Platz angesichts solcher »Unerträglichkeiten« wie der Verwehrung viel zu spät erfolgter Zwangsarbeiterentschädigung an bestimmte Opfergruppen (sowjetische Kriegsgefangene). Garbe wie auch Peter Fischer vom Zentralrat der Juden freuten sich aber, dass der geschichtsrevisionistische Generalangriff, der sächsische Sonderweg gesetzlicher Gleichsetzung von Nazidiktatur und DDR auf Bundesebene zurückgewiesen worden ist. Fischer betonte: »Völkermord und Vernichtungskrieg der Nazis waren ein Zivilisationsbruch und meilenweit vom Unrecht in der DDR entfernt – eine Galaxis davon entfernt.« Idiotisch nannte er Formulierungen wie die von Hubertus Knabe, Hohenschönhausen sei das Dachau des Kommunismus.

Fischer stritt sich zwar etwas mit Rosel Vadehra-Jonas, Vorstandsmitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück, die mangelnde Sensibilität, Ignoranz und Arroganz der Gedenkstättenstiftungen und Expertenkommissionen gegenüber den KZ-Überlebenden konstatierte: »Manches konnte nur verhindert werden dank der Proteste aus dem Ausland.« Und gleiches auch hinsichtlich der Kinder und Enkel jener beklagte – »Die Eigenschaft Häftling ist nicht erblich«, zitierte sie den Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel. Doch ähnliche Taktlosigkeit hat Fischer selbst jüngst in Ravensbrück und »noch schlimmer« in Sachsenhausen erlebt. Abgesehen davon, dass »die jüdischen Repräsentanten nicht einmal begrüßt wurden«, habe man ihnen christliche Choräle zugemutet: »Wissen Sie, wie es in einer jüdischen Seele brennt, und sicher auch in einer anständigen kommunistischen, wenn an der Station Z zu hören ist: ›Israel, hoffe auf den Herrn, denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung‹?«

Klarer »Einspruch!« kam auch von Silvio Peritore vom Zentralrat der Sinti und Roma: keine Verwischung von Ursache und Wirkung, Opfern und Tätern, keine Gleichsetzung von Menschenrechtsverletzungen gestern und heute mit NS-Vernichtungspraktiken sowie Einbindung der Opferverbände in die Gedenkpolitik: »Die Würde der Opfer muss dabei immer Maßstab sein!« Veteranen saßen diesmal nicht im Podium, meldeten sich aber in der Diskussion und hatten mit dem Auschwitz-Überlebenden Adam König das letzte Wort.

Neues Deutschland Von Karlen Vesper 27.04.2010 / Feuilleton