Rede von Rebecca Rinas
17. April 2010
Es gilt das gesprochene Wort
Zuerst möchte ich sagen, wie sehr ich den Besuch unserer anwesenden Gäste schätze, die zu dieser Veranstaltung heute kommen konnten, und ich will Sie herzlich in der Gedenkstätte begrüßen. Die Möglichkeit, Sie und Ihre Familien in den letzten paar Tagen kennen zu lernen und das Zusammenkommen von Leuten aus der ganzen Welt erleben zu können, ist bisher eine unvergessliche Erfahrung für mich gewesen.
Ich heiße Rebecca Rinas, komme aus den USA, und arbeite dieses Jahr als Freiwillige in der Gedenkstätte Buchenwald. Als die Verwaltung mich am Anfang gefragt hat, ob ich heute auf der Gedenkfeier sprechen wollte, war mein erster Gedanke, ehrlich gesagt, nein. So reagierte zunächst die scheue Seite in mir: Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, vor so vielen Leuten zu stehen und noch die Fähigkeit zu behalten, sprechen zu können.
Aber dann habe ich über die Gründe, warum ich als Freiwillige hierher gekommen bin, nachgedacht und festgestellt, dass, wenn ich jemals vor so vielen Menschen reden würde, die heutigen Gedenkfeierlichkeiten und ihre Bedeutung so wichtig für mich sind, dies doch zu tun.
Die Entscheidung als Freiwillige in der Gedenkstätte zu arbeiten habe ich mir nicht leicht gemacht. Vor allem auch deshalb, weil die Auseinandersetzung mit den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges nie im Vordergrund meines Studiums stand. Dies sind Dinge, denen ich mich aus komfortablem Abstand genähert habe. Ereignisse, die so entsetzlich und unglaublich sind, dass es zuweilen den Anschein hat, sie seien eher eine fiktionale Geschichte als die Realität. Tatsächlich, gibt es keine direkte Verbindung oder Erfahrung, die ich mit den Geschehnissen dieses Ortes teile. Niemand aus meiner Familie war Häftling oder Befreier. Ich habe an der Universität nicht Geschichte studiert, und ich bin nicht auf der Suche nach zukünftigen Berufsmöglichkeiten durch meinen Freiwilligendienst.
Aber mein Standpunkt ist folgender: Trotz der genannten Faktoren fühle ich mich mit der Gedenkstätte und der Arbeit verbunden, die hier geleistet wird. Wie ist das möglich? Es ist möglich weil sich die Idee, die hinter der Arbeit einer solchen Gedenkstätte steckt, nicht allein auf eine unmittelbare persönlichen Verbindung oder eine Erfahrung zu einem geschichtlichen Ereignis beschränkt. Vielmehr geht es um die Verbindung, die man zu seinen Mitmenschen aufbaut. Diese Verbindung – davon bin ich überzeugt – kann die Grenzen der ethnischen und nationalen Zugehörigkeit, der Religion, des Alters und des Geschlechts überwinden. Wir alle teilen etwas, wir alle sind gleich, und wir alle sollten zusammenarbeiten und lernen, einander zu verstehen, statt einander wegen oberflächlicher Differenzen zu hassen. Diese Idee ist es, die mich hierher gebracht hat.
Ich kann mich an die schockierten Gesichtsausdrücke meiner Freunde erinnern, als ich ihnen mitgeteilt habe, dass ich ein Jahr in der Gedenkstätte Buchenwald arbeiten werde. Die Gründe sind verständlich – die Vorstellungen, die man gewöhnlich mit einem ehemaligen Konzentrationslager assoziiert, sind so negativ. Wie könnte ich es Ihnen erklären, dass hier zu arbeiten nicht bedeutet, dass ich für ein Jahr ständig unter Depressionen leiden würde? Natürlich gibt es traurige Aspekte, aber diese Traurigkeit wird durch eine unermessliche positive Einstellung und beeindruckende Begegnungen überwunden.
Die einzige Chance, die wir als Menschen haben, ist, zukünftige Generationen so aktiv wie möglich über die Fehler der Vergangenheit zu informieren, und darüber, was passieren kann, wenn wir den Verführungen von Hass, Propaganda und Rassismus erliegen. Jede Person, die wir auf diesem Weg erreichen, bringt neue Hoffnung für die Zukunft. Wir tun dies, idealistisch gesprochen, weil ich gern hoffen würde, dass Menschen sich auch dann miteinander verbunden fühlen können, wenn sie sich nicht persönlich kennen. Wir sollten nicht nur daran denken, wie wir die Welt friedlicher für unsere Familie und unsere Lieben machen können, sondern auch für die, die wir nicht kennen, einschließlich der Menschen, die noch nicht geboren sind. Ich kann mir nur wenige Dinge vorstellen, die so erstrebenswert sind wie diese.
Und so kann ich unseren Gästen sagen, dass es auch in meiner Generation Menschen gibt, die ihre Geschichte weiter in die Zukunft tragen werden, um Sie und Ihre Erinnerungen zu ehren und sicherzustellen, dass das, was Sie erlitten haben nicht bedeutungslos war und sein wird. Darüber hinaus werden wir versuchen, für die universelle Idee von Toleranz und Respekt einzustehen und sie zu verwirklichen. Und so möchte ich mich noch einmal bedanken, dass Sie heute hier sind und sich die Zeit genommen haben, Ihre Erfahrungen mit uns zu teilen und unsere Fragen zu beantworten. Dies bestärkt mich in der Hoffnung, dass es eine Möglichkeit gibt zusammen zu kommen, wenn wir nur unsere Herzen und unseren Geist offen halten.
Vielen Dank.
11.4.2010
Rebecca Rinas ist Internationale Freiwillige aus den USA an der Gedenkstätte Buchenwald
