Rede von Christine Lieberknecht

17. April 2010

Es gilt das gesprochene Wort

Ich begrüße ganz herzlich den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Prof. Lammert
Herrn Minister und Stiftungsratsvorsitzenden Matschie.
Und vor allem Sie, meine Damen und Herren ehemalige Buchenwald-Häftlinge, rund 87 an der Zahl, die Sie aus aller Welt mit Ihren Angehörigen angereist sind,
darunter ganz besonders die beiden heutigen Redner, Sie lieber Herr Präsident Betrand Herz und Sie, lieber Herr Jorge Semprun.

Eine ganz besondere Ehre ist es, die 13 Veteranen der US-Armee heute begrüßen zu dürfen, darunter den Großonkel des US-Präsidenten Barack Obama, Sie Mister Charles Payne, der 1945 ein Außenlager in Ohrdruf mit befreite, welcome and thanks!
Ich freue mich, dass zahlreiche Vertreter des Dipolmatischen Korps der Opferstaaten heute hier sind. Ein herzliches Willkommen den Vertretern der Bundeswehr und den Militärpfarrern.

Ich begrüße ganz herzlich unseren früheren Ministerpräsidenten Herrn Dr. Vogel und die zahlreichen Vertreter der Politik. Ich begrüße die Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften Sie, Herr Bischof  Dr. Wanke, ebenso Sie Herr Nossen und Herr Dr. Seidel.
Und vor allem begrüße ich Sie, verehrte Mitbürgerinnen und Bürger aus nah und fern! Sie stehen für bürgerschaftliches Engagement, für Geschichtsbewußtsein und Verantwortungsgefühl. Ich danke Ihnen, dass Sie wieder so zahlreich erschienen sind.

Erinnerung, meine Damen und Herren, ist das Unvergängliche der Vergangenheit. Ihr Schmerz, Ihre Leiden, Ihre Trauer, verehrte Überlebende der Hölle von Buchenwald, sie werden nie vergehen. Und wir haben die bleibende Aufgabe, die Erinnerung an all das unsagbar Schreckliche für alle Zeiten wach zu halten.
Das Gedenken an Buchenwald muss von Generation zu Generation wie eine Stafette weitergetragen werden.

Wir und unsere Nachfahren haben  die moralische Pflicht, das Vermächtnis des Buchenwald-Schwurs von 1945 einzulösen: „eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen“.

Ihr Vermächtnis, verehrte Häftlinge, gehört zum demokratischen Selbstverständnis des seit nunmehr zwei Jahrzehnten in Frieden und Freiheit wiedervereinigten demokratischen Deutschlands.

Und wir müssen alles dafür tun, dass die Jugend von heute und morgen zum Bewahrer dieses Vermächtnisses wird dass sie – die Jugend – für all die Häftlinge, für die Gequälten, Geschundenen, für die Ermordeten spricht, wenn eines Tages die Stimme auch des letzten Zeitzeugen verstummen wird.
Die Erinnerungskultur zu pflegen, das ist gemeinsame Aufgabe der Gesellschaft und der Politik.

Hier auf dem Appellplatz des Lagers Buchenwald, das Hannah Arendt als eines der „Laboratorien der Gewalt“ charakterisiert hat,  hier empfinden wir Deutsche das, was der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, zu Recht „Kollektivscham“ genannt hat.
Wir verneigen unser Haupt vor den Toten. Und wir stehen mit Achtung vor den letzten überlebenden Opfern. Und wir denken heute ganz besonders an die Kinder von Buchenwald. Viele davon, rund 50 der geretteten Kinder, die ihr Überleben nicht zuletzt dem Lagerwiderstand verdanken, sind heute aus den USA, Israel und Frankreich zu uns gekommen. Über 900 Kinder und Jugendliche konnten damals gerettet werden, darunter Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel und Stefan Jerzy Zweig.

Wir haben noch die ins Mark gehenden Worte von Oberrabiner Meir Lau anläßlich der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag im Ohr: “Ich erinnere mich an einen der letzten Tage in Buchenwald, als ein amerikanischer Offizier aus dem Jeep heraus einige der Schrecken von Buchenwald zeigte und sie Leuten aus Weimar erklärte. Er hob mich auf mit einer Hand. Ich war nicht einmal acht Jahre alt. Und er sagte zu den Leuten aus Weimar: Hier schaut euch euren Feind an, den Feind der nationalsozialistischen Partei. Gegen wen haben sie gekämpft? Wen wollten sie zerstören? Gefährdet dieses Kind die Existenz der nationalsozialistischen Partei?“
Ich glaube, es ist notwendig, dass wir der Jugend von heute solche persönlichen Eindrücke nicht ersparen.

An dieser Stelle spreche ich der Internationalen Jugendbegegnungsstätte für ihre hervorragende Bildungsarbeit meinen Dank aus. Erinnerung und Gedenken brauchen Wissen. Und forschendes Lernen am authentischen Ort ist besser, ist eindrucksvoller als der erhobene Zeigefinger!
Meine Damen und Herren! Die Erinnerungskultur wird bald eine andere sein. Bald nämlich werden – ich darf Sie, verehrter Herr Prof. Knigge zitieren –  „jene Veto-Instanzen fehlen, die gegen eine Verzerrung der Geschichte protestierten“.

Mein Dank geht heute nicht nur an die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, sondern in diesem Jahr ganz besonders auch an die Bundesregierung, vor allem an Herrn Kulturstaatsminister Bernd Neumann für die großzügige Unterstützung dieses Treffens.
Ganz bewußt haben wir den 10-Jahres-Intervall bei dieser Gedenkfeier in der Mitte unterbrochen. Denn es wird wahrscheinlich die letzte Chance sein, dass sich so viele überlebende Häftlinge und Befreier hier treffen. Die Zeit der Zeitzeugen neigt sich mehr und mehr dem Ende zu. Umso mehr wissen wir die Bedeutung des heutigen Tages zu schätzen.

Es ist gut so, und das soll auch in Zukunft so bleiben, dass wir in Thüringen doppelt gedenken: bundesweit gedenken wir am 27. Januar am nationalen Holocaust-Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus. Und wir pflegen die Erinnerungskultur in Buchenwald, auf dem „Berg über der Stadt“, hier am „rauen Ort“, wie es Wulf Kirsten genannt hat.

Vom 7. bis 14. April halten wir in Weimar, Buchenwald und Mittelbau-Dora Gedenkveranstaltungen ab. Überlebende und Veteranen stellen sich als Zeitzeugen den Fragen der Jugendlichen in Thüringer Schulen.
Gestern hatte ich die Ehre, im Weimarer Hotel „Elephant“ den ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald, Bertrand Herz, Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos, und Floréal Barrier, Vorsitzender des Häftlingbeirates KZ Buchenwald der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, für ihre Verdienste um die Erinnerungskultur, um die Aufarbeitung, um die Aussöhnung und um die Völkerverständigung den Thüringer Verdienstorden zu verleihen.

Gestern ist auch im Weimarer Rathaus das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos dem Förderverein der Gedenkstätte Buchenwald beigetreten. Ein Meilenstein zu noch besserer Zusammenarbeit.   Morgen wird eine Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora stattfinden.
Während der Gedenkfeiern ist der „Elephant“, einst Nobelhotel des Führers,  Heimstätte und Treffpunkt für die Überlebenden und ihre Angehörigen, Heimstätte für die, die es früher nie hätten betreten, geschweige denn hier ihr Überleben, die Wiedergewinnung ihrer Freiheit und menschlichen Würde und die Zerschlagung der NS-Diktatur hätten feiern sollen. Völlig zu Recht betrachten die Überlebenden  dies als persönlichen Triumph, als Sieg der Menschlichkeit gegen die Barbarei.
Das ist ein Zeichen dafür, wem Würdigung und Ehre zukommt. Und es ist Ausdruck für die politische Kultur unseres Landes.

Der Freistaat Thüringen wird auch in Zukunft die wichtige Arbeit der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora nach Kräften unterstützen.
Als Orte gegen das Vergessen, als Gedächtnis-, Gedenk- und Lernorte tragen sie dazu bei, das dunkelste Kapitel unserer Geschichte aufzuarbeiten. Zugleich machen sie durch den Geist der Versöhnung und Völkerverständigung Frieden in Freiheit und eine demokratische Zukunftsgestaltung erst möglich.
Vergangenheit kann man nicht bewältigen, aber Gegenwart und Zukunft kann man gestalten. Wir müssen allerdings unsere Vergangenheirt aufarbeiten. Und das heißt für uns: die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen.

Nicht Verklärung und Verdrängung, sondern Aufarbeitung ist das Gebot der Stunde.   Noch immer sind Rechtsextremismus, Antisemitismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit Gefahren, gegen die wir uns heute energisch zur Wehr setzen müssen. Jede Form von Extremismus ist menschenverachtend, menschenfeindlich.

Mit unserer gemeinsamen Erklärung für ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Thüringen haben wir diese Legislaturperiode in Thüringen begonnen. Wir erarbeiten nun ein Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit.

Ich rufe daher von hier aus alle Demokraten dazu auf, allen Anfängen von Diktatur, Intoleranz und Unfreiheit, allen Anzeichen von Fanatismus oder Rassismus mutig die Stirn zu bieten.

Und: Födern wir bitte nach Kräften das Geschichtsbewusstsein. Geschichte gehört nicht nur in die Lehrpläne unserer Schulen. Sie muss Teil der Alltagskultur sein.
Nur wer sich seiner eigenen Geschichte und der Geschichte seiner Heimat bewusst ist, ist ein guter Botschafter für das Land.

Wir werden in wenigen Tagen, am 1. Mai, 90 Jahre Freistaat Thüringen feiern. Damals hat der erste Freistaat ähnlich hoffnungvoll begonnen wie 1990.  Aber – und das ist das Tragische – er ist in der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts geendet. Dies muss uns Mahnung sein. Denn die freiheitlich-demokratische Entwicklung seit 1990 ist alles andere als selbstverständlich.   Demokratie und Freiheit – diese Werte müssen täglich gelebt, täglich neu verteidigt werden.
Heute setzen wir ein Zeichen gegen das Vergessen, ein Zeichen gegen Gleichgültigkeit und Verdrängen. Aber auch ein Zeichen für Menschenwürde, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Es liegt in unserer Verantwortung, die richtige Lehre aus der Vergangenheit für eine bessere Zukunft zu ziehen.
Deswegen werden wir uns immer wieder an diesem Ort zum Gedenken und Erinnern, aber auch zur Ermahnung versammeln.
11.4.2010

Christine Lieberknecht ist Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen